Kommentar:Die Stadt der Hoffnung

Nach einem Wochenende voll Angst und Schrecken gibt es immerhin eine positive Erkenntnis: Die Münchnerinnen und Münchner stehen zusammen, wenn es wirklich darauf ankommt.

Von Nina Bovensiepen

Es sind Tage der Trauer. Die schreckliche Tat von David S. hat München am vergangenen Wochenende in eine andere Stadt verwandelt. Zu den Trauergestecken und Kerzen, die Menschen zum Tatort beim Olympia-Einkaufszentrum gebracht haben, hat jemand eine Pappe gestellt, auf der nur ein Wort steht: Warum. Warum? Das ist die Frage, die nun nicht mehr weicht, weil grauenhaftes Massenmorden so nahe gekommen ist, wie es für die meisten, die jüngeren Münchner, noch nie war. Warum? Das wird im Kopf von Münchner Eltern kreisen, wenn sie ihren Kindern zu erklären versuchen, was nicht erklärlich ist. Warum? Das wird zunächst jedes Mal, mit der Zeit aber vielleicht seltener aufblitzen, wenn Menschen auf dem Weg zum Einkaufen im OEZ an dem Ort vorbeikommen, wo David S. auf Menschen schoss. Warum?

Auf die Frage gibt es keine Antwort, die befriedigt, aber etwas weniger quälend wird sie, wenn man schaut, was diese Tage für München auch waren: Tage der Hoffnung. Bereits am Freitagabend, als völlige Unklarheit herrschte, was in der Stadt los war, als in sozialen Netzwerken ein schlimmes Gerücht das nächste ablöste, checkten Münchner nicht nur ihre Smartphones, sondern sie übten sich in Mitmenschlichkeit. Unter dem Hashtag #offenetuer boten sie Gestrandeten und Ängstlichen an, unterzuschlüpfen, durchzuatmen, zusammenzurücken. Man hätte an solch einem Abend ja auf andere Gedanken kommen können: abzusperren, nur keinen Fremden einzulassen. Doch wie selbstverständlich kam sehr rasch ein münchnerischer Zug zum Vorschein, der sich so deutlich das letzte Mal gezeigt hat, als die Bewohner dieser Stadt am ersten Septemberwochenende 2015 andere Gestrandete herzlich begrüßten, Zehntausende Flüchtlinge. Das gab es sonst so nirgends. Jetzt, in einer beklemmenden Lage, kehrte es wieder, spontan und unkoordiniert. Einen Tag danach kamen viele Münchner nach Moosach, um Mitgefühl mit den Angehörigen und Freunden der Opfer zu zeigen. Der Vorrat an Empathie ist groß in dieser Stadt, das ist die optimistisch stimmende Erfahrung dieser Tage. Bleibt zu hoffen, dass der Speicher dieser guten Emotion lange nicht mehr in dem Maß angezapft werden muss, wie es nun wieder nötig war. Aber es ist beruhigend zu wissen, dass es diesen Vorrat gibt.

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