Kommentar:Die Opfer sind die Hilfsbedürftigen

Es ist bitter, dass immer mehr Sozialarbeiter in der täglichen Arbeit Aggression erleben. Die Idee, Hausbesuche nur noch in Begleitung von Sicherheitspersonal machen zu lassen, geht trotzdem zu weit

Von Thomas Anlauf

Üblicherweise stellt man sich Sozialarbeiter als unerschrockene Menschen vor, die auch unangenehmen Situationen gefasst gegenüber stehen. Sie sind in ihrer alltäglichen Arbeit mit Menschen in Not konfrontiert, mit Leuten, die aus der Bahn geworfen wurden und nicht mehr aus eigenen Stücken zurück in die Gesellschaft finden. Sozialarbeiter sollen helfen, den Weg zurück ins Leben aufweisen, wo es möglich ist. Nun spitzt sich die soziale Lage in München aber in jüngster Zeit derart zu, dass vielen Sozialarbeitern offenbar nicht nur die Arbeit über den Kopf wächst, sie sehen sich auch zunehmend verzweifelten und bisweilen sogar aggressiven Menschen gegenüber, die seit Jahren etwa auf eine reguläre Wohnung warten. Die Folge: Es gibt immer mehr Sozialarbeiter, die vor ihren Problemkunden Angst haben.

Das ist einerseits nur verständlich, wenn die Berichte so stimmen, dass die Aggression gegen Sozialarbeiter deutlich zugenommen hat. Sie müssen natürlich von ihrem Arbeitgeber so weit es geht vor Übergriffen geschützt werden. Doch ob der Einsatz von Bodyguards der richtige Weg ist, Sozialarbeitern beim Hausbesuch zur Seite zu stehen, ist schon fraglich. Es ist durchaus ein Unterschied, ob Sicherheitspersonal im Wohnungsamt eingesetzt wird, wo täglich Hunderte Menschen auf Hilfe hoffen und oftmals unverrichteter Dinge abziehen müssen, oder ob ein Sozialarbeiter einen Hausbesuch in einer Notunterkunft für Familien macht. In der Behörde kann allein wegen der schieren Menschenmenge die Stimmung schnell kippen und die Situation gefährlich werden. In einer Unterkunft geht es meist um relativ harmlose Beratungen.

Wenn es tatsächlich ein heikler Termin ist, bei dem es brenzlig werden könnte, etwa wenn ein Kind der überforderten Familie weggenommen werden muss, ist Sicherheitspersonal natürlich geboten. In vielen anderen Situationen sollte ein ausgebildeter Sozialarbeiter auch ohne Wachmann auskommen. Wer hätte kein mulmiges Gefühl, wenn ein Berater mitsamt Bodyguard in der eigenen, wenn auch noch so bescheidenen Wohnung steht? Man fühlt sich womöglich als potenzieller Täter. Dabei sind die Hilfsbedürftigen zuallererst Opfer.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: