Kolumne: After Eight:Von wegen stille Nacht

Sie verbringen Weihnachten immer noch zu Hause mit der Familie unterm Baum? Dann gehören Sie in München fast schon zu den Ausnahmen.

Beate Wild

Ein paar Tage vor dem Weihnachtsfest flattert unverhofft ein Umschlag aus durchsichtigem Papier ins Haus. Drinnen ist eine Postkarte. Auf der einen Seite steht in großen silbernen Lettern: "Wie immer." Auf der anderen steht viel kleiner: "White Christmas, Mittwoch, 24.12.08, 23.00 Uhr, P1."

Kolumne: After Eight: Tanzen im Club statt Sitzen unterm Weihnachtsbaum: In München keine Seltenheit.

Tanzen im Club statt Sitzen unterm Weihnachtsbaum: In München keine Seltenheit.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Eine Einladung für Heiligabend also. Vom P1? Ausgehen an diesem Familientag? Ist das nicht, ja, wie soll man sagen, etwas pietätlos? Und was heißt hier eigentlich "Wie immer"? Hängen an Weihnachten in den Kneipen nicht nur irgendwelche einsamen Seelen und traurige Gestalten ab? Mitnichten: Wer an Weihnachten auf die Piste geht, wird sich wundern, wie laut das Münchner Nachtleben in der Stillen Nacht so sein kann.

Generell sind es meistens Männer, die es an diesem Tag nach draußen zieht. Frauen hängen anscheinend doch mehr an der häuslichen Idylle. Im Großen und Ganzen kann man bei den Heiligabend-Nachtschwärmern drei verschiedene Typen beobachten.

Hautpsache gemütlich

Der erste Typ ist Teil einer Männer-Clique, meist unverheiratet und mittleren Alters. Das Weihnachtstreffen in der Kneipe ist für ihn schon Tradition geworden. Irgendwie sind gute Freunde ja auch wie Familie. Einige der Freunde wohnen nicht mehr in München und kommen nur über die Feiertage zurück in die Stadt. Dieser Freundeskreis trifft sich seit Jahren nach der Bescherung in einer "Boazn", also in einer kleinen, leicht schäbigen Kneipe, zum Beispiel in der "X-Bar" in Schwabing. Das Ambiente: Laute Rockmusik, schummriges Licht und ein Billardtisch. Es kann für dieses Männer-Treffen aber auch jede andere Bar gewählt werden, Hauptsache gemütlich.

Dann gibt es den zweiten Typus, das ist der ewige Partylöwe. Er geht auch während des restlichen Jahres fast jeden Tag aus. Er hat seine Stammkneipe und seinen Lieblingsclub. Auch am Heiligen Abend hält er es gar nicht zu Hause aus. Vermutlich wird er einen Abstecher in die "Favorit-Bar" machen, um dann in der "Ersten Liga" zu landen.

In dem Newsletter, den die "Favo", die kleine Individualisten-Bar in der Damenstiftstraße, an seine treue Fangemeinde verschickt hat, steht für den 24.12. auf dem Programm: "Weihnachten mit G. Rag, Autoskooter & Knoerten." Vermutlich sind das drei DJs, so genau weiß man das aber bei den kryptischen "Favo"-Rundmails nie. Aber egal, auf eines ist in der "Favorit-Bar" Verlass: Die Musik ist gut, die Atmosphäre lässig.

In der "Ersten Liga", dem Keller-Club am Sendlinger Tor, heißt das Partymotto mittwochs immer "Follow the white rabbit" - so auch am Weihnachtsmittwoch. Die Weisung, dem weißen Kaninchen zu folgen, ist übrigens dem Film "Matrix" entlehnt. Dort soll der Computerhacker Neo auch einem Hasen-Symbol folgen.

Aber das nur nebenbei. Für die "Liga" bedeutet dieses Motto eigentlich nur, dass die DJs eine Mischung aus allen möglichen Clubsounds auflegen. Gut tanzbare Musik also. Allerdings wird das Publikum dort bestimmt eher jung sein.

Dritter Typus: Der Weihnachts-Flaneur

Der dritte Typus, der an Heiligabend ausgeht, sucht dringend Zerstreuung, weil er mit der aktuellen Familienidylle gerade nichts anfangen kann. Entweder ist der Weihnachts-Flaneur vor kurzem von seinem Partner verlassen worden, hat sich mit der gesamten Familie zerstritten oder will sich - aus welchem Grund auch immer - ein klein wenig betrinken. Dieser Fall von Weihnachtsresignation ist in der "Registratur" bestens aufgehoben. Dort ist für dieses Jahr am Heiligen Abend, man höre und staune, sogar die beliebte "Zombocombo" anberaumt.

Für diejenigen, die das Pech haben, noch nie an dieser wilden Sause teilgenommen zu haben, sei kurz gesagt: Es handelt sich um eine monatlich stattfindende Party in der "Registratur". Die Fete findet jedes Mal unter einem anderen Motto statt. Die Themen der letzten Partys waren "Aerobic", "Beauty Contest" oder "Mediziner Kongress". Am 24.12. ist "Götterdämmerung" angesagt. Die Gäste sind aufgefordert, dem Motto entsprechend verkleidet zu kommen. Es gibt Spiele, Shows und eine Verlosung.

Das Außergewöhnliche an der Zombocombo ist, dass das Publikum stets interaktiv mit einbezogen wird, also Teil der Show ist. Die Zombocombo, so könnte man es in einem Satz sagen, ist das Gegenteil von Mainstream. Also perfekt für jemanden, der Ablenkung sucht.

Wem das alles für den Heiligen Abend doch etwas zu ausgefallen ist, dem bleiben ja noch weiße Weihnachten im "P1". Wie immer.

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