Kolumne: After Eight:Roxy Munich hat Fieber

Plötzlich schwärmen alle von München. Auf einmal ist unsere Stadt hip und cool. Die neue heimliche Hauptstadt? Da können wir Münchner nur müde lächeln.

Beate Wild

Als Münchner kennt man folgende Situation zu genüge: Wir sind zu Besuch in Berlin. Abends in einem Club kommen wir ins Gespräch mit ein paar Hauptstädtern. Genauer gesagt mit Leuten, die jetzt in Berlin leben, allerdings - wie sich später herausstellt - aufgewachsen sind in Castrop-Rauxel, Heidelberg und Lübbenau im Spreewald, also alles andere als Metropolen von Welt, aber das nur nebenbei.

Mit diesen Neu-Hauptstädtern kommt man früher oder später auf das Thema München - und wird sofort konfrontiert mit allerlei Vorurteilen. "Aus München kommst du, ah, dann wählst du sicherlich die CSU", sagt einer. Das Argument, dass Münchens Oberbürgermeister schon seit gefühlten 1000 Jahren von der SPD ist, scheint auch nach zehnminütiger Diskussion nicht zu fruchten.

Ein anderer sagt: "München, das ist ja so schrecklich Schickimicki. Alle kommen sich wahnsinnig toll und wichtig vor und rennen abends ins P1, wo sie schon eine VIP-Ecke reserviert haben." Bei näherem Nachfragen stellt sich heraus, dass dieser Typ noch nie in seinem Leben in München war.

Ein Mädchen in der Gruppe hat sich auch sofort auf München eingeschossen. "Da gibt es doch überhaupt keine Subkultur, die Leute sind alle total konform und außerdem materialistisch", sagt sie. Dass ihr letzter Besuch in unserer Stadt schon zehn Jahre her ist und sie sonst auch zu niemandem hier Kontakt hat, gibt sie erst nach einigem Hin und Her zu.

Und natürlich wird man als Münchner ständig mit dem Oktoberfest assoziiert. Viele folgern daraus, dass wir gerne mit Lederhosen und Dirndl herumlaufen, literweise Bier trinken und selbstverständlich nur Blasmusik hören.

So ist das: Kommt man als Münchner in eine andere Stadt, wird man erstmal mit den ganzen Vorurteilen konfrontiert. Das ist in Berlin so, in Hamburg, aber auch in Düsseldorf oder Köln. Alle scheinen sich ständig mit uns messen zu wollen. Und alle glauben Bescheid zu wissen, wie denn München so tickt. Und zwar: spießig, konservativ, schickimicki und ziemlich langweilig.

In der vergangenen Woche glaubt nun die Hamburger Wochenzeitung Zeit entdeckt zu haben, dass München in Wahrheit gar nicht so dröge ist, wie die Republik annimmt (Hier ist der Link zum Artikel "Report München"). Da kann man lesen: Ja, es sei wahr, München sei hip und cool, hier lebten tatsächlich interessante Menschen, die wirklich interessante Dinge tun, und im Übrigen habe München Berlin als tollste Stadt Deutschlands abgelöst. Von der neuen heimlichen Hauptstadt ist da die Rede. Zitat: "Und alles stimmt: München leuchtet, München hat Fieber, Roxy Munich."

Da können wir Münchner nur müde lächeln. Wir wissen das nämlich schon lange. Nur die anderen, die Berliner, Hamburger und Düsseldorfer wollten bisher nicht wahrnehmen, wie lässig unsere Stadt ist. Steckt da etwa Eifersucht dahinter? Neid?

Lesen Sie weiter auf Seite 2, woher Münchens Schickimicki-Image kommt.

"New Schwabing" und die neue Szene

Dass München gerade eine Hochphase erlebt, wie schon lange nicht mehr, ist für uns nichts Neues. Es stimmt, immer mehr Clubs ziehen in die Innenstadt. Das hat aber schon vor sechs Jahren angefangen, als sich das Funky Kitchen und die Registratur am Altstadtring ansiedelten. Dieses Jahr hat sich enorm viel getan, was das Nachtleben angeht, das ist richtig. Im November zieht jetzt sogar noch das Harry Klein von den Optimolwerken in die Sonnenstraße.

Insgesamt haben wir elf Club-Eröffnungen in diesem Jahr gezählt. Das ist ein Spitzenwert im Vergleich zu den Jahren davor, keine Frage. Schön, dass es außerhalb Münchens auch mal bemerkt wird, dass hier einiges los ist.

Das ganze Schickimicki-Image unserer Stadt stammt immer noch aus den achtziger Jahren, vor allem von einer gewissen Serie namens "Kir Royal". Im Rest Deutschlands scheint man immer noch zu glauben, es gebe hier reiche Industrielle à la Heinrich Haffenloher, der unbedingt zur Schickeria gehören will und deshalb den Klatschreporter Baby Schimmerlos so lange schmiert, bis sich dieser erweichen lässt (sein legendärer Spruch dabei: "Junge, ich scheiß dich zu mit meinem Geld"). Die Leute lesen einfach zu viel Michael Graeter, der von den alten Zeiten erzählt und Frauen immer noch "Hasen" nennt.

Dass das P1 immer noch die härteste Tür der Welt hat und die Münchner den Club in der Prinzregentenstraße 1 nach wie vor für das absolute Nonplusultra des Nachtlebens halten, glaubt man vielleicht noch in Castrop-Rauxel oder in Berlin. Dass die Realität seit Jahren ganz anders aussieht, wissen alle Münchner.

Schön auch, dass der Rest Deutschlands endlich mal erfährt, dass München eine Subkultur hat. Dass es Bars in Abrissgebäuden gibt, alternative Stadtgeburtstage in Biergärten, multimediale Ausstellungen junger kreativer Köpfe in Ladengeschäften, Modeschauen viel versprechender Nachwuchsdesigner in Hinterhöfen und ganz viele improvisierte Partys, die sich ausschließlich im Netz via Facebook und Twitter verbreiten.

Bisher glaubte man in Berlin wohl immer noch, dass wir unsere Klamotten ausschließlich aus den Nobel-Boutiquen in der Maximilianstraße beziehen, ein Jahres-Abo in der Oper haben und uns immer nur mit Champagner berauschen, oder wie ist der Artikel aus Hamburg sonst zu verstehen?

Ach, übrigens: Sehr lustig finden wir, dass "New Schwabing" zum neuen In-Viertel ausgerufen wird. Dass sich dort einiges Neues tut, ist zwar richtig, aber eines muss hier mal richtig gestellt werden: Die Schellingstraße, in der Klaus Lemke seinen neuen Film "Schmutziger Süden" gedreht hat und die angeblich der Dreh- und Angelpunkt, quasi das Epizentrum, des neuen Szeneviertels ist, liegt in der Maxvorstadt, nicht in Schwabing. Das ist ein elementarer Unterschied, zumindest für uns Münchner.

Und apropos: Das "Prinzip Dorf", das im besagten Artikel aus Hamburg so gelobt wird, hat auch Nachteile. Jeder kennt jeden in München, das stimmt, und das ist auch gut so. Aber manchmal wünscht man sich doch ein bisschen mehr Anonymität. Wer trifft schon gerne beim Joggen - verschwitzt, außer Atem und rotgesichtig - den gutaussehenden Barkeeper aus der Lieblingskneipe? Man kann quasi nie unbedarft zum Bäcker gehen, weil einem jederzeit der Chef, ein wichtiger Geschäftspartner oder sogar der Oberbürgermeister höchstpersönlich über den Weg laufen kann.

Außerdem kann man in München nichts, aber auch wirklich gar nichts geheim halten. Eine neue Liebschaft etwa? Chancenlos. Man wird garantiert am Tag nach dem ersten Date von sogar weitläufigen Bekannten angequatscht. Die Netzwerke funktionieren in München bestens, auch ganz ohne Facebook. Man kennt sich eben, trifft sich ständig und tratscht gerne über sich, aber vor allem über andere.

Deshalb, liebe Leute aus Castrop-Rauxel, Heidelberg und Lübbenau im Spreewald, ihr braucht jetzt gar nicht so eifersüchtig sein auf uns. Bleibt lieber in Berlin. München, das wäre einfach zu dörflich für euch.

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