Kolumne: After Eight:Heute geh' ich mal als Bayer

Früher konnte man noch in Jeans auf das Oktoberfest gehen. Heute kommt sogar jeder Saupreiß verkleidet als Parade-Bayer auf die Wiesn. Uns stinkt das!

Beate Wild

Unter den Einheimischen formiert sich langsam, aber sicher Widerstand. Mündlich, also Face-to-Face, und selbstverständlich auch im Netz, also via Facebook. Vor zwei Tagen war in der Statusmitteilung eines Freundes zu lesen: "Matthias muss sich beherrschen, dem nächsten Saupreißn in bayerischer Verkleidung nicht eine gscheide Watsch als Willkommensgruß mitzugeben." Die Liste der Kommentare darunter war lang: "Recht hast, ich fahr ja auch nicht nach Moskau mit Zobelmütze und Balalaika", stand da zum Beispiel. Genau, und wir verzichten im irischen Pub in der Regel auch auf unseren Schottenrock.

Kolumne: After Eight: Dass die Hasenohren nicht original bayerisch sind, scheint diesen Koreaner nicht zu stören.

Dass die Hasenohren nicht original bayerisch sind, scheint diesen Koreaner nicht zu stören.

(Foto: Foto: ddp)

Kaum einer geht mehr ohne Bayern-Kostüm respektive Tracht auf die Wiesn. Was wir schon lange befürchtet hatten, lange aber nicht akzeptieren wollten oder konnten: Die Wiesn ist der neue Karneval. Sozusagen die Münchner Version davon.

Dirndl und Lederhosen haben in diesem Jahr den Gipfel ihrer Beliebtheit erreicht - sehr zum Leidwesen vieler Münchner. Jeder Japaner, Australier und Saupreiß hat das Party-Outfit an. Meistens in einer äußerst billigen und schlechten Kopie, Made in Taiwan oder wo sonst der Stoff für ein paar Euro am Tag zusammengenäht wird. Man fühlt sich wie im Fasching. Alle verkleidet, mit dem Unterschied, dass alle die gleiche Verkleidung tragen - und zwar die eines Bayern.

Und in der Party-Uniform ist man doch gleich ein ganz anderer. Da wird man doch gleich viel lockerer und ist nicht mehr der korrekte Lehrer oder der steife Zahnarzt. Da grölt man sogar bei DJ Ötzi mit. Außerdem schweißt so ein Outfit zusammen. Und was soll's, für einen Abend mal den ausgeflippten Bayern markieren, das ist doch eine Gaudi.

Und was man zurzeit für Pseudo-Trachten zu Gesicht bekommt, ist eine Beleidigung des bayerischen Brauchtums! Da wird wild kombiniert: Eine Designer-Lederhose, dazu Timberland-Boots und eine Schickimicki-Sonnenbrille. Minikleidchen in grellen Farben werden Dirndl geschimpft, dazu tragen die Damen dann Adidas-Turnschuhe und Pippi-Langstrumpf-Zöpfe. Bavarian style, echt crazy!

Eine Userin schrieb auf der Facebook-Seite von München Extra: "Warum muss man Tracht tragen, wenn man kein Wort Deutsch kann? Kaufte doch ein männlicher Amerikaner eine Damen-Lederhose für die Wiesn, weil er keine Ahnung hat und die billiger war (gestern gesehen bei Kleidermarkt)." Dem bleibt nichts mehr hinzuzufügen.

Lesen Sie auf Seite 2, wie man sich gegen den Trachtenterror wehren kann.

Freischuss zum Abschuss

Ganz schlimm ist für die Münchner auch, dass die Trachtendeppen nicht auf der Wiesn bleiben, sondern auch die ganze Stadt mit ihren Kostümen nerven. Nichts gehört mehr uns Einheimischen. Sämtliche Bars und Clubs sind voll von Dirndln und Lederhosen. Sollen sie uns doch im Glockenbachviertel oder in Schwabing wenigstens damit verschonen und lieber in eine der großen Hallen zum Feiern gehen, zum Beispiel in die Alte Kongresshalle. Die ist nicht weit weg von der Wiesn und da ist das kostümierte Volk schön unter sich. Oder gleich in die Kulturfabrik, die liegt noch weiter außerhalb.

Gut, in vielen Lokalen sind Trachten durchaus erwünscht, ja fast schon Pflicht. Im "Oanser" kann man mit einer feschen Lederhosen bei den Madln durchaus landen, vielleicht sogar im ausladenden Dekolleté. Aber dass das P1 nicht unbedingt der Maßstab ist, was das Münchner Nachtleben angeht, wissen wir alle.

Kommt irgendwo eine Trachtengruppe ins Lokal, geht's dann so richtig rund. Der Alkohol fließt in Strömen. Für viele scheint die Kostümierung der Freischuss zum Abschuss zu sein. Nicht, dass man sich ohne Tracht nicht genauso gnadenlos betrinken könnte, aber vielen scheint es zu helfen, die Hemmungen fallen zu lassen. Das ist der Karnevals-Effekt, kennen wir aus Köln.

Diese After-Wiesn-Partys sind ein erschütterndes Beispiel dafür, was Alkohol aus Menschen machen kann. Sich mit Getränken zu bespritzen, auf der Bar zu strippen und allen Frauen im Vorbeigehen einen Klaps auf den Hintern oder sonst wohin zu geben, ist nur bedingt lustig. Gefährlich wird es übrigens, wenn man mit der Firma unterwegs ist. Da fällt man schon mal seinem Chef um den Hals, knutscht mit einem Kollegen und sagt der Neuen mal ganz ehrlich, was man von ihr hält.

Einige Bars und Clubs sind beim Thema Tracht jedoch unerbittlich. Da hat man schon die hübschesten Mädchen an der Tür der Favorit-Bar scheitern sehen, nur weil sie Dirndl trugen. Anfangs fanden wir das auch etwas totalitär, doch jetzt verstehen wir die Situation allmählich immer besser.

Dirndl und Lederhosen sind der absolute Mainstream geworden. Doch wie wir beobachten konnten, hat der Gegentrend schon eingesetzt. Wer als Münchner etwas auf sich hält, verweigert sich der Wiesn-Uniform. Irgendwie muss man sich ja wehren.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

Bookmark: www.sueddeutsche.de/aftereight

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