Kolumne: After Eight:Headbangen mit dem Pfarrer

Wer glaubt, Christen spielen nur Blockflöte, irrt gewaltig. Beim Kirchentag geht es ab mit Headbangen, Abmoshen und einem rockenden Pfarrer, der aussieht wie Ozzy Osbourne.

Beate Wild

Mittwochabend, Münchner Innenstadt. Der Plan: mit dem Fahrrad schnell die Innenstadt durchqueren, um rechtzeitig zu einer Verabredung in die Au zu kommen. Doch überall Menschenmassen, Straßensperrungen und Buden an den Straßenrändern. Ein Straßenfest? Ein Stadtgeburtstag? Oder schon die nächste Pokalfeier der Roten?

After Eight - Kolumne über das Nachtleben in München

Auf der Webpage der

Frischen Fische

schreibt Bandleader Pfarrer Hartmut Thumser (Mitte): "Rock war noch immer eine Ohrfeige für den Spießergeschmack".

(Foto: Foto: oh)

Ach nein, es ist ja Kirchentag! Über 125.000 Menschen sind in unsere Stadt eingefallen, um vier Tage lang ihren Glauben zu zelebrieren. Doch irgendetwas ist seltsam an diesem sogenannten "Abend der Begegnung". Aber was? Während wir uns durch die Menge schieben, fällt es uns plötzlich auf: Stille. Es ist diese Stille, die so anders ist als bei anderen Straßenfesten. Keine Musik, kein lautes Gerede, kein Gegröle.

Alle schlurfen schweigend durch die Budengassen, schauen ein bisschen in der Gegend herum oder kauen auf einem der Wurstbrote herum, die in den Buden verkauft werden. Sind die Christen so introvertierte, stille Zeitgenossen? Vom Weihrauch sediert? Oder bereits in anderen geistigen Sphären?

Dann kommen wir hinter das Geheimnis: Es wird kein Alkohol ausgeschenkt. Nirgendwo. Bei keiner einzigen Bude, bei keiner einzigen Veranstaltung. Alle vier Tage sind alkoholfrei.

Der Organisator des Kirchentags, Berd Baucks, meint dazu: "Nach unserer Erfahrung gehört Alkohol nicht zwingend zum Feiern und wir legen auch wert darauf, dass der Kirchentag sich von einem üblichen Volksfest unterscheidet." Dass sich der Kirchentag von einem Volksfest unterscheidet, ist zumindest gelungen.

Neugierig geworden, was denn auf dem Kirchentag sonst noch so alles los ist, blättern wir zu Hause in dem 720 Seiten dicken Programmwälzer. Überrascht stellen wir fest, dass neben den Veranstaltungen auf der Theresienwiese auch Events im Feierwerk und im Backstage stattfinden. Wir sind überrascht, was den Gläubigen da geboten wird. Etwa Bibel-Reggae-Gesänge, indisches Dhrupadspiel mit Obertongesang, Gospel-Darbietungen und Tänze aus Bali.

Mit Gospel kann man im Zusammenhang mit christlichen Inhalten ja noch etwas anfangen, aber Reggae? Ist das nicht die Kiffer-Musik aus Jamaika?

Dass Dhrupad ein hinduistischer Gesangsstil ist, haben wir erst durch Googeln herausgefunden. Wer sich für Obertongesang interessiert, dem seien einige äußerst aufschlussreiche Videos bei YouTube empfohlen. Und Tänze aus Bali? Was haben die denn auf einem ökumenischen Kirchentag zu suchen? Also nichts gegen Bali, aber der Zusammenhang erschließt sich uns irgendwie nicht. Na ja, wenn es ihnen Spaß macht, den Christen, warum eigentlich nicht?

Es treten zahlreiche Bands auf beim Kirchentag. Die Bandbreite reicht von den Chicken Swings (grooviger Bigband-Sound aus Würzburg) über Stairway to Heaven (Pop mit sakralem Bezug aus Osnabrück) und gipfelt in der Metalcore-Show, die ihre Performance mit den Worten beschreibt: "Our Hope Never Dies! Message mit Headbangen, Abmoshen und Circlepit."

Lesen Sie auf Seite 2, was es mit dem Pfarrer auf sich hat, der aussieht wie Ozzy Osbourne.

Mit schwarz lackierten Fingernägeln

Das waren noch Zeiten, als wir im Kindergarten mit der Blockflöte Kirchenlieder vorgetragen haben! Die Szene der christlichen Rocker ist in Deutschland klein - in den USA gibt es da wesentlich mehr davon. Eine der bekannteren deutschen Christ-Rock-Bands heißt Courts of Lord und kommt aus Meldorf an der Nordseeküste. Auch sie spielen in München. Ihr Motto: Hier gibt's Glauben auf die Fresse.

Ein anderer Rocker ist Henrick aus Frankfurt am Main. Im Programmheft steht, dass er und seine Jungs zeigen, dass man cool sein kann, ohne kalt zu sein. Oder die Söhne des Lichts, Rocker aus München, bei denen eine wirklich hübsche Blondine am Schlagzeug sitzt.

Am besten gefallen uns aber Die frischen Fische. Der Grundsatz der Münchner Band ist: Und es geht doch lauter. Außerdem bekennen sie: Wir glauben an Bass, Gitarre, Schlagzeug - und den lieben Gott. Bandleader ist Pfarrer Hartmut Thumser. Ein Blick auf die Webseite der Band offenbart eine unglaubliche Ähnlichkeit Thumsers mit dem Rock-Schock-Opa Ozzy Osbourne.

Lange schwarze Haare, dunkler Kajal, schwarz lackierte Fingernägel, blasser Teint. Der Gesangsstil des Pfarrers erinnert an Rammstein. Ein Titel der "Fische" heißt "Nimm mich fest (zur Brust)". Am Freitag spielen sie von 16 bis 18 Uhr im Backstage Werk. Ein Pflichttermin.

Wem dieses ganze Kirchentags-Programm dann doch etwas zu krass ist, dem seien an diesem Wochenende die Zombocombo in den Kammerspielen (Motto: Esoterik), das Bass-Art-Festival im Muffatwerk und im Forum im Deutschen Museum oder die Gomma-Super-Show im Maximiliansforum empfohlen.

Dort kommt es zwar äußerst seltsam rüber, wenn man auf der Tanzfläche headbangen, abmoshen oder einen Circlepit veranstalten will, aber dafür gibt es Bier. Versprochen.

Die Kolumne "After Eight" erscheint jeden Donnerstag auf "München Extra", dem Stadtportal von sueddeutsche.de.

Bookmark: www.sueddeutsche.de/aftereight

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