Koalition im Stadtrat:Regieren in einer Vernunftbeziehung - warum eigentlich?

Wiesn-Bierpreis

Es soll noch drei Jahre weitergehen mit der Koalition im Rathaus: Dafür haben sich Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD, links) und Josef Schmid (CSU) ausgesprochen.

(Foto: dpa)
  • Obwohl sie gegeneinander sticheln und inhaltlich für unterschiedliche Ziele stehen, wollen SPD und CSU im Münchner Rathaus weiter eng zusammenarbeiten.
  • Das haben die Spitzen beider Parteien bei einem Treffen zur Hälfte der Wahlperiode beschlossen.
  • In naher Zukunft stehen drei Themen an, bei denen sich zeigen wird, wie kompromissbereit beide Seiten sind.

Von Heiner Effern

Am Anfang der Rathauskoalition von CSU und SPD stand 2014 ein großer Vertrag, 20 gemeinsame politische Ziele füllten drei Seiten. Drei Jahre später, zur Hälfte der Wahlperiode, müssen 86 magere Wörter inklusive Überschrift als politische Botschaft an die Stadt reichen. Mehr umfasst die Mitteilung nicht, in der CSU und SPD erklären, dass sie weiter zusammenarbeiten wollen. Damit brachte das jüngste Krisentreffen zwar immerhin ein Ergebnis, mit dem mancher nach den Querelen der letzten Monate schon nicht mehr gerechnet hatte. Aber ob es dafür reicht, dass die beiden Immer-noch-Partner etwas für die Stadt voranbringen, muss sich erst zeigen.

Etwa zwei Stunden saßen die Bürgermeister Dieter Reiter (SPD), Josef Schmid (CSU) und Christine Strobl (SPD), die Fraktionschefs Alexander Reissl (SPD) und Manuel Pretzl (CSU) sowie die Münchner Parteivorsitzenden Claudia Tausend (SPD) und Ludwig Spaenle (CSU) sowie dessen Vertreter Georg Eisenreich zusammen.

Zuerst galt es auszuloten, ob die Spitzen im Rathaus es überhaupt schaffen, ihre persönlichen Animositäten auszuräumen. OB Reiter und Schmid hatten gegeneinander gestichelt, was das Zeug hielt, Pretzl und Reissl sich regelrecht angegiftet. Dabei ging es weniger um Politik, sondern um persönliche Rangeleien und Eitelkeiten, insbesondere beim eigentlich nebensächlichen Streit um die Wiesn und eine Bierpreisbremse.

Am Freitagabend sendeten SPD und CSU nun das Signal aus: Sie wollen es noch einmal miteinander versuchen. Das hat gewiss auch mit den Alternativen zu tun. Drei Jahre lang gäbe es ein Patt zwischen zwei gleichstarken Fraktionen, für jede Entscheidung hätten beide mehrere kleine Partner unter den Rathaus-Parteien von ihren Ideen überzeugen müssen.

Angesichts der dringend anstehenden Entscheidungen für eine Stadt, die dramatisch wachsen wird, wäre das eine Perspektive, die der Wähler wohl beiden großen Parteien nicht verziehen hätte. Folgerichtig verweist die Erklärung auf die etwa 300 000 Neubürger bis 2035 und die Felder, in denen SPD und CSU zusammenarbeiten wollen: Wohnungsbau, Verkehr, Bildungs-, Sozial- und kulturelle Infrastruktur, Investitionen. Als Klammer dient das Versprechen aus der Überschrift: "Wir übernehmen weiter gemeinsam Verantwortung für München."

Wohnen und Verkehr sind die wichtigsten Themen

Ob das gelingt, wird sich vor allem an zwei der wichtigsten Zukunftsthemen zeigen: Wohnen und Verkehr. Während die SPD und OB Reiter auf weiteren massiven Neubau von Wohnungen durch die Stadt setzen, rückte die CSU zumindest in öffentlichen Äußerungen davon deutlich vernehmbar ab. Reiter plant deshalb, die CSU in einem öffentlichen Hearing im Stadtrat zu einer klaren Position zu zwingen. Insbesondere die Wahlkämpfer für Bundes- und Landtag, die in ihren Vierteln Stimmung gegen die Stadtratsbeschlüsse für Neubauten machten, müsse die CSU einfangen.

Beim Verkehr stimmte die SPD den großen Strassenbauprojekten der CSU wie dem Tunnel an der Landshuter Allee zu. Doch Reiter will von sofort an den Schwerpunkt auf den öffentlichen Nahverkehr legen. Den Grundsatzbeschluss für die neue Innenstadtlinie der U-Bahn, die U9, will er unbedingt noch dieses Jahr verabschieden. Inwieweit die CSU ein bewusstes Zurückdrängen des Autoverkehrs hinnimmt, muss sich zeigen.

Eine dritte Hürde für eine weitere Kooperation könnten die Investitionen werden. Bisher einigten sich SPD und CSU stets, indem sie einfach alles beschlossen. Dafür wird das Geld nicht reichen, das ist schon jetzt klar. Wollen die beiden weiter regieren, müssen sie sich auf Prioritäten einigen, was zu schmerzlichen Kompromissen führen wird.

Inhaltliche und persönliche Differenzen

Zentrale Bedeutung für die Art der weiteren Zusammenarbeit kommt einem unauffälligen Passus in der Erklärung zu. Man werde weiter "auf der Basis des Kooperationsvertrages" zusammenarbeiten, steht da. Das klingt überflüssig, aber in dem Papier ist geregelt, wie sich SPD und CSU bei Streitfällen verhalten. Können sie sich bei Investitionen nicht einigen, greift ein mehrstufiges Beratungsverfahren. Scheitert dieses, gibt es zwei Optionen. Ist die Investitionssumme kleiner als 250 Millionen Euro, kann sich jeder eine Mehrheit suchen. Liegt sie darüber, müssen die Bürger in einem Ratsbegehren abstimmen. Der Haushalt muss in jedem Fall gemeinsam verabschiedet werden. Alles andere müssen die Partner künftig im Gespräch lösen - oder auch nicht.

Das Thema Sicherheit kommt in der Erklärung gar nicht vor, dürfte aber aufgrund der anstehenden Wahlkämpfe eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend wird sein, ob SPD und CSU im Streitfall und bei Abstimmungsniederlagen auch Nehmerqualitäten beweisen und inhaltliche Differenzen von persönlichen trennen können. Der erste Härtetest steht am 17. Mai an. Dann entscheidet der Stadtrat über die Bierpreisbremse und andere Vorschläge der CSU zum Oktoberfest.

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