Klinikum Großhadern:"Ich hatte nur noch diese eine Möglichkeit"

Bundesweite Patienten-Ausstellung startet in Großhadern im Eingangsbereich

Krebspatientin Sonja Wagner neben einem Aufsteller von ihr selbst.

(Foto: Florian Peljak)

Sie waren sterbenskrank - und sind heute voller Leben: Eine Ausstellung im Klinikum Großhadern zeigt Schicksale von Patienten, die Ärzte retten konnten.

Von Christina Hertel

"Gehen Sie nach Hause. Genießen Sie den Rest Ihres Lebens", sagte der Hausarzt zu Sonja Wagner. Sie werden sterben, sollte das heißen. Sie werden die nächsten Jahre, die nächsten Monate nicht überleben. Nicht sehen, wie der Sohn in die Schule kommt. Ihn nicht trösten bei der ersten schlechten Note. Und auch nicht beim ersten Liebeskummer. Sonja Wagners Diagnose: eine besonders aggressive Art von Brustkrebs. Fast zehn Zentimeter war der Tumor bereits groß. Dann entdeckten die Ärzte auch in der Leber mehrere Metastasen. Sie war 36, ihr Sohn zwei. Doch der Hausarzt irrte sich.

Vier Jahre ist es nun her, dass Sonja Wagner die Diagnose bekam. Im kommenden Herbst ist der erste Schultag ihres Sohnes. Bald will sie für ihn einen Ranzen kaufen. Sonja Wagner lebt - und das will sie zeigen. Ihre Geschichte ist Teil einer Ausstellung, die noch bis Dienstag, 4. April, im Klinikum Großhadern zu sehen ist. 33 außergewöhnliche Patientenschicksale werden dort gezeigt. Man erfährt von Geschwistern, die beide die gleichen Tumore im Gehirn hatten. Von einem Mädchen, das bereits mit 13 einen Schlaganfall erlitt. Und von einem Mann, den ein künstliches Herz, eine Pumpe, die von einer Batterie betrieben wird, am Leben hält.

Die Patienten kommen aus ganz Deutschland - Sonja Wagner ist eine von zwei Betroffenen aus München. Sie alle eint, dass sie in einer Uniklinik behandelt und durch neue Therapien und besonders gute Ärzte gerettet wurden. Der Verband der Deutschen Universitätsklinika will mit der Ausstellung zeigen, wie wichtig Forschung ist.

Die hat auch Sonja Wagner geholfen. Sie nahm 2012, nachdem die Chemotherapie nicht mehr wirkte, an einer Patientenstudie teil. Das Medikament, das sie rettete, war damals noch nicht zugelassen, mittlerweile wird es häufig verwendet. "Ich hatte nur noch diese eine Möglichkeit", sagt Wagner. Das Besondere an der neuen Therapie: Ein Antikörper bringt den Wirkstoff der Chemotherapie direkt zum Tumor. So kommt es zu fast keinen Nebenwirkungen und der Krebs wird gezielter bekämpft. Ganz besiegen kann das Medikament ihn zwar nicht, aufhalten und unschädlich machen allerdings schon.

Wagner kann jetzt ein normales Leben führen. Arbeiten, sich um ihren Sohn kümmern, Sport treiben, Freunde treffen. Doch sie muss wohl für immer Medikamente nehmen. Alle drei Wochen verabreichen ihr Ärzte das Mittel über eine Infusion im Krankenhaus. Danach ist sie schlapp, schläft Zuhause sofort ein. "Aber das ist eben nur ein Tag in drei Wochen."

Der Kampf gegen die Krankheit lohnt sich

Sonja Wagner erzählt das alles ohne Tränen in den Augen, ohne belegte Stimme. Sie lacht viel und man merkt: Sie ist keine Leidende, kein Opfer. Sie will eine positive Botschaft erzählen, dass es sich lohnt zu kämpfen. Und zu Spezialisten zu gehen. Denn, da ist sich Wagner sicher, irgendwo auf dem Land hätte sie diese Behandlung nicht bekommen. "Andere Ärzte wussten von der Studie gar nichts."

Leicht waren die vergangenen Jahre trotzdem nicht. Freunde wandten sich von ihr ab, weil sie das Leid nicht ertrugen. "Krebs heißt für viele gleich Tod. Aber man ist ja noch da", sagt Wagner. Wenn sie ihren Sohn in den Kindergarten brachte, fragten Eltern: "Wie lange lebst du eigentlich noch?" Andere wollten wissen, ob Krebs ansteckend ist. Wie dumm, dachte Wagner. Verletzt hat es sie trotzdem. An ihren Badspiegel klebte sie einen Smiley. Er sollte sie ans Lachen erinnern.

Nach der Krankheit ein anderer Mensch

Denn auch Wagners Körper veränderte sich. Sie verlor ihre Haare - für sie das Schlimmste, weil es die Krankheit sichtbar machte. "Wenn ich beim Duschen in die Haare griff, war es, als hätte ich lauter Algen in den Händen." Schließlich rasierte sie sich eine Glatze, trug von da an eine Perücke. Inzwischen sind die Haare wieder nachgewachsen. Aber schwarz, statt hellbraun. "Ich bin heute, vom Typ her, ganz anders", sagt Wagner. Und meint damit nicht nur das Äußerliche. "Ich bin härter geworden."

Zwei Tage die Woche arbeitet Wagner in einem Büro. Mehr schafft sie nicht. Während der Chemo wurde sie immer vergesslicher. Das ist heute zwar nicht mehr so, aber Zahlen kann sie sich noch immer nicht so gut merken. Und sie muss regelmäßig zur Physiotherapie. Sie bekommt Lymphdrainagen gegen das Wasser, das sich im Körper sammelt. Aber für sie, so scheint es zumindest, sind das Kleinigkeiten. Ihren 40. Geburtstag neulich feierte sie groß. "Ich dachte ja lange nicht, dass ich ihn erleben würde."

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