Moderne Medizin in München:Der Welt die Zähne zeigen

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Das Team der Dental Clinic Implaneo, von links nach rechts: Florian Stelzle, Hannes Wachtel, Wolfgang Bolz. (Foto: Sonja Marzoner)
  • Rund 22 Prozent aller Menschen über 65 Jahren leiden unter "failing dentition" - sie haben ihr Gebiss verloren.
  • Ärzte aus einer Praxis in Bogenhausen setzen auf eine neue Methode, um dritte Zähne auch in schwindenden Kieferknochen zu verankern.
  • Mit besonders langen Schrauben können sie Implantate besser einbauen und ihren Patienten zu einem neuen Gebiss verhelfen.

Von Stephan Handel

Es geht ja nicht nur ums Essen. Es geht ums Lachen und ums Sprechen, ums Küssen vielleicht sogar. Es geht darum, der Welt die Zähne zu zeigen - zeigen zu können. Das ist längst nicht so selbstverständlich, wie es klingt: Von "failing dentition" sprechen Zahnärzte, wenn Menschen ihr Gebiss verloren haben. Das betrifft immerhin 22 Prozent der Menschen über 65 Jahre. Vielen von ihnen ist mit einer herkömmlichen Prothese oder mit normalen Implantaten nicht zu helfen.

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Das liegt an einer ungünstigen Eigenschaft menschlicher Knochen, in diesen speziellen Fällen des Oberkiefers: Er bildet sich zurück, wenn er nicht beansprucht wird. Und er bildet sich zurück, wenn er falsch beansprucht wird. Und so sucht der Zahnarzt erfolglos nach einem Stück Knochen, das die Prothese halten kann, in dem die Implantate befestigt werden können.

"Zahnlosigkeit ist kein Unterschichten-Problem"

Die "Implaneo Dental Clinic" in Bogenhausen trägt ihr Versprechen auf selbstbewusste Art nach außen: Gediegenes dunkles Holz, Grünpflanzen, Teppiche, Kunst an den Wänden - das will keine Furcht einflößende, steril-weiße Zahnarztpraxis sein. Dass sie damit ihre Klientel verfehlen würden, bestreiten Wolfgang Bolz und Hannes Wachtel, die hier Chefs von neun Zahnärzten und insgesamt mehr als 80 Angestellten sind. "Zahnlosigkeit ist kein Unterschichten-Problem", sagt Wolfgang Bolz. "Der Grund dafür kann auch etwa ein Tumor im Mundraum sein."

Oder dann eben doch eine Dynamik, für die der Abwasch in der Studenten-WG als Beispiel dienen kann: Wenn jeder jederzeit seinen Teller sofort spülen würde, gäb's kein Problem. So aber lässt einer sein Geschirr stehen, der zweite hat keine Lust, den Dreck des anderen wegzuräumen, der nächste stellt sein Zeug ebenfalls einfach dazu - und schließlich ist der Porzellanberg so hoch, dass es ewig dauern würde, ihn abzutragen.

Das Problem Zahnlosigkeit hat in den meisten Fällen ebenfalls so angefangen: Versäumte Zahnarzt-Termine, keine Routine-Kontrollen, bei denen kleinere Defekte schnell und problemlos repariert werden können, all das wächst sich aus zu einem massiven Problem, das seiner eigenen Behebung entgegensteht - denn nun wachsen Angst und Scham und die Sorge, sich einer langwierigen, schmerzhaften und teuren Therapie unterziehen zu müssen.

Wahrscheinlich trifft deshalb der Werbespruch der Bogenhausener Implanteure genau den Nerv ihrer Klientel: "Feste dritte Zähne an einem Tag" versprechen sie - und dass der Patient, wenn er morgens operiert wird, abends schon wieder essen kann.

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Der Werkzeugkasten eines Zahnarztes ist groß.

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Das Team der Dental Clinic Implaneo, von links nach rechts: Florian Stelzle, Hannes Wachtel, Wolfgang Bolz.

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Am Röntgen-Bild untersuchen die Ärzte den Kiefer.

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Zahnersatz ist viel Arbeit: 16 Zahntechniker beschäftigt die Klinik.

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(Foto: Sonja Marzoner)

Sie fräsen und schleifen passgenau neue Zähne.

Das ist zweifelsohne eine Verbesserung. Denn sonst bleibt nur der Weg der Knochenrekonstruktion, also zum Beispiel die Versetzung von körpereigenem Material, etwa aus der Hüfte. Dieses muss aber erst einmal einwachsen, bevor der Zahnarzt weiter daran arbeiten kann. So dauert eine solche Behandlung leicht zwei Jahre - ebenfalls ein Hinderungsgrund für viele Menschen, die ihre Zähne verloren haben.

Schrauben bis ins Jochbein

Der Weg, den Wolfgang Bolz und Hartmut Wachtel gehen, ist ein anderer: Wenn dort, wo die Schrauben eigentlich hinsollen, kein Knochen mehr ist - dann müssen sie eben lang genug sein, um einen anderen Knochen zu erreichen. Deshalb sind die Titan-Schrauben, die bei den Zygoma-Implantaten verwendet werden, nicht einen bis eineinhalb Zentimeter lang, sondern drei oder mehr. Sie werden in das Jochbein geschraubt, das ist jener Teil des Schädels, der bei attraktiven Menschen die markanten Wangenknochen bildet und bei ihnen und allen anderen oben in den Augenhöhlen endet. Die Schrauben werden schräg hineingedreht, weil die so entstehende Kräfteverteilung stabilisierend auf den gesamten Apparat wirkt.

Die so angebrachten Schrauben treten im Mund als kleine Knöpfchen hervor, an denen dann die eigentlichen Zähne befestigt werden - das sieht aus wie das künstliche Gebiss, das abends in das Glas mit Kukident kommt, mit dem einen Unterschied, dass der Patient es nicht selbst entfernen kann und auch nicht muss. Die neuen Zähne anzufertigen, das ist allerdings kein leichtes Kunststück: Der Zahntechniker hat ja, wegen der Zahnlosigkeit des Patienten, kein Vorbild, was Stellung, Farbe und Größe der Beißer angeht. Das benötigt viel Erfahrung, Beratung, ausprobieren und Kommunikation, bis die Zahnreihe zum Menschen passt. Dabei sind nicht nur ästhetische Aspekte zu berücksichtigen: Falsch sitzende oder nicht richtig proportionierte Ersatzzähne können zum Beispiel Sprachfehler nach sich ziehen.

16 Zahntechniker arbeiten im Labor von Bolz und Wachtel, was den beiden Zahnärzten auch wichtig ist: "Externe Labors können uns nicht liefern, was wir brauchen", sagt Bolz. Was aber dort aus den Fräsen, Schleifmaschinen und 3-D-Druckern kommt, das sollte den Patienten zufriedenstellen - und ihn zu einem Menschen machen, der nicht nur wieder ohne Probleme essen kann, sondern auch lachen, reden, der Welt die Zähne zeigen. Hygiene ist natürlich vonnöten, vielleicht sogar ein bisschen mehr als bei gesunden eigenen Zähnen: Zahnbürste, kleine Bürstchen für die Zwischenräume, Zahnseide und Munddusche sollte der Patient täglich benutzen. Wenn er dann einmal im Jahr zur Kontrolle kommt - dabei entfernt der Arzt die Kauleiste von den Stiften -, dann bekommt er hinterher genau gesagt, an welchen Stellen er künftig gründlicher putzen muss, das kann der Arzt am Zustand des Zahnfleisches erkennen.

Risiken gibt es wie bei jeder Operation. In seltenen Fällen kommt es vor, dass die Implantate, die Schrauben nicht einheilen, dann muss nachoperiert werden. Nicht angewendet wird die Methode bei sehr alten, sehr kranken Menschen - da würden die Risiken den Nutzen übersteigen. Auch bei Knochenkrebs mit Metastasen können die Bogenhausener Ärzte nicht weiterhelfen. Das Ganze ist auch nicht billig: 15 000 bis 20 000 Euro kommen schnell zusammen, die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt nur die Kosten für eine gewöhnliche Totalprothese, das sind 300 bis 400 Euro. Das allerdings widerspricht dem Credo von Wolfgang Bolz und Hartmut Wachtel: "Niemand sollte sterben mit seinen Zähnen in einem Wasserglas", sagt Bolz.

© SZ vom 24.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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