Kliniken:Falscher Alarm

Kliniken: Schockraum in der Notaufnahme des Schwabinger Krankenhauses: Wer ernsthaft krank oder verletzt ist, wird in der Stadt auch versorgt.

Schockraum in der Notaufnahme des Schwabinger Krankenhauses: Wer ernsthaft krank oder verletzt ist, wird in der Stadt auch versorgt.

(Foto: Catherina Hess)

Die Notfallversorgung in der Stadt hat angeblich einen kritischen Punkt erreicht. Sieht man aber die Gründe für die Engpässe, wird klar: So schlimm ist es nicht

Von Stephan Handel

Ein Szenario von düsterer Grausamkeit: Rettungswagen, die durch die Stadt irren und nicht wissen, wo sie ihre todkranken Fahrgäste hinbringen sollen. Lange Schlangen vor den Notaufnahmen, die die Hilfesuchenden aber kaltlächelnd abweisen. Eine der reichsten Städte Europas, die nicht in der Lage ist, Notfall-Patienten angemessen, ausreichend, wohnortnah und fristgerecht zu versorgen.

Wenn das Szenario stimmen würde, dann wäre das allemal ein Anlass für die Stadtverantwortlichen, sich mit der Situation zu befassen. Am morgigen Mittwoch wird sich der Stadtrat mit einem Antrag der Fraktion "Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung" (bestehend aus FDP, Piraten und HUT) beschäftigen, der das Katastrophische schon in der Überschrift trägt: "Kritische Notfallversorgung der Münchner Bürger", ohne Fragezeichen. Wer jedoch die Antwort der Verwaltung auf die Fragen liest, der merkt schnell: Kann so schlimm nicht sein.

Vor allem könnte es sein, dass der Stadtrat der falsche Ansprechpartner ist. Es geht ja darum, ob denn in München ausreichend Kapazitäten für die Notfallversorgung bereitstehen - das zu ermitteln, zu beurteilen und für die Zukunft zu prognostizieren obliegt aber nicht der Stadt, sondern dem bayerischen Innenministerium. Die Bürgerinitiative Bums (Bürger für unser Münchner Stadtklinikum) unterstellt, schuld an der Notfall-Misere sei die Stadt und deren Bestreben, ihre Klinikums-GmbH zu sanieren - das ist eine bei genauerer Betrachtung nicht haltbare Verbindung zweier Gegebenheiten, die wenig miteinander zu tun haben.

Denn die Gründe für Engpässe in der Notfallversorgung liegen anderswo: Zum einen in der Jahreszeit - nicht nur werden im Winter mehr Menschen krank und suchen ärztliche Hilfe, der Krankenstand steigt auch beim Personal der Kliniken, was es oft schwer macht, die Dienstpläne auszufüllen. Dazu trägt auch der Pflege-Notstand bei: Die schönsten Intensiv-Betten nützen ja nichts, wenn keine Ärzte und Pfleger da sind, die die darin liegenden Patienten behandeln und betreuen würden. Zum dritten leiden die Notaufnahmen darunter, dass immer mehr Menschen sich nicht mehr fest an einen Hausarzt binden und deshalb bei kleineren Symptomen gleich ins Krankenhaus gehen anstatt in die Arztpraxis. Der ärztliche Bereitschaftsdienst für Fälle unterhalb der Notfall-Grenze wiederum liegt in der Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns - und ist dort, gelinde gesagt, nicht das Lieblingskind, was noch mehr Menschen in die Notaufnahmen bringt.

Eine im Februar veröffentlichte Studie im Auftrag der Gesellschaft für interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin kommt zu dem Schluss, dass 60 Prozent Patienten in Notaufnahmen nach der Behandlung nach Hause geschickt werden können - auch wenn die Hälfte dieser Fälle durchaus nicht in der Hausarztpraxis hätte versorgt werden können, weil zum Beispiel nur im Krankenhaus vorhandene Geräte benötigt werden. Die deutsche Krankenhausgesellschaft beklagt in diesem Zusammenhang die Finanzierung der ambulanten Versorgung: Durchschnittlich 120 Euro koste eine Behandlung, 32 Euro würden erstattet, so dass die Kliniken pro Patient 88 Euro draufzahlten - was bei bundesweit geschätzten zehn Millionen Patienten ein Defizit von fast einer Milliarde Euro nach sich zieht. Die ambulanten Patienten besetzen also nicht nur Kapazitäten, die den echten Notfällen dann nicht mehr zur Verfügung stehen - sie kosten die Kliniken auch viel Geld, das ansonsten für die Klinikausstattung verwendet werden könnte, zum Beispiel für einen Ausbau der Notfallversorgung.

Das alles wird der Stadtrat am Mittwoch hören. Trotzdem lädt Bums am Abend zu einer Diskussionsveranstaltung. Nicht auf das Podium geladen ist dabei Stephan Prückner, Leiter des Instituts für Notfallmedizin der LMU, der sich mit der Versorgungslage in München beschäftigt. Erst in der vergangenen Woche saß er an einem "Runden Tisch", zusammen mit Vertretern aus Ministerium, Stadt, Rettungszweckverband und Kliniken, um zusammenzutragen, was notwendig ist, um die Situation zu verbessern. Prückner sagt: "Hektik ist leider ein schlechter Berater."

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