Kitas:Was Eltern sich für die Kinderbetreuung wünschen, wird wichtiger

Eltern betreuen Kinder in Kita

Um die Rechtssicherheit künftig zu bezahlen, wäre theoretisch auch eine Erhöhung der Kita-Gebühren möglich.

(Foto: dpa)
  • Nur etwa 120 Familien klagten in den vergangenen drei Jahren wegen des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei.
  • Die Stadt München verlor ein Verfahren, weil sie den Rechtsanspruch einer Familie nicht erfüllt habe.
  • Der Verwaltungsgerichtshof will die Rechte der Eltern grundsätzlich stärken. Die Stadt München fürchtet finanzielle Schäden.

Von Heiner Effern und Melanie Staudinger

Wer sich an die Stadt wendet, muss einen Platz bekommen: Seit dem 1. August 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf eine Betreuung für Kinder unter drei Jahren. In der Praxis stellt sie das aber immer noch vor Schwierigkeiten. Die Kita-Suche gestaltet sich oft nervenaufreibend. Manche bekommen ein Angebot viel zu weit weg vom Arbeitsplatz. Andere müssen Monate überbrücken, weil ein Platz erst viel später verfügbar ist, als er gebraucht wird. Selbst der enorme Ausbau von 8858 Plätzen im Jahr 2008 auf aktuell 20 363 Plätze milderte diese Probleme nur, behob sie aber nicht.

Dennoch zeigten sich viele Familien geduldig. Nur etwa 120 klagten in den vergangenen drei Jahren, die Stadt verlor kein einziges Verfahren. Bis zum 21. Juli: Da verurteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erstmals die Stadt, weil sie den Rechtsanspruch einer Familie nicht erfüllt habe. Deren Anwältin Ingrid Hannemann-Heiter geht es aber um mehr als nur darum, dass die Mehrkosten der privaten Kita ihrer Mandanten erstattet werden. Sie will, dass die Kriterien für eine zumutbare Betreuung grundsätzlich geregelt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof machte bereits deutlich, dass er die Rechte der Eltern spürbar und grundsätzlich stärken will. Die Stadt fürchtet finanzielle Schäden und zieht vor das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Der Feriensenat des Stadtrats genehmigte dieses Vorgehen am Mittwoch einstimmig. Die SZ schildert die Knackpunkte des Rechtsstreits und was sich für die Eltern ändern könnte.

Wann ist der Rechtsanspruch erfüllt?

Bisher galt im Bildungsreferat: Wer einen Platz in einer Einrichtung hat, die vom Land gefördert wird, ist rechtskonform bedient. Unabhängig davon, wer der Träger ist, ob es eine Krippe oder eine Tagesmutter ist, ob die Stadt erfolgreich vermittelt oder die Familie selbst einen Platz gesucht und gefunden hat. Künftig muss nach Auffassung der Richter die Stadt formal einen Platz zu- oder nachweisen. Tut sie das nicht, müsste sie die Differenz der städtischen Kita-Tarife zu einem möglicherweise teureren privaten Anbieter bezahlen. Grundsätzlich gilt aber: Nur wer bei der Stadt um einen Platz anfragt und bei der Suche ausreichend mitwirkt, kann nachher klagen.

Krippe oder Tagespflege?

Ob das Kind unter drei Jahren von einer ausgebildeten Erzieherin in einer Krippe oder beispielsweise von einer Tagesmutter betreut wird, macht für die Stadt keinen Unterschied - Angebot sei Angebot. Die Richter hingegen gehen von einer Wahlfreiheit der Eltern aus. Bekämen sie nur Plätze für die Tagespflege zugewiesen, wünschten aber eine Krippe, dann sei der Rechtsanspruch nicht gewährleistet.

Kita-Zeit nach Wunsch oder Bedarf?

Entscheidend war bisher der "objektive Bedarf". Wenn ein Vater oder eine Mutter vormittags arbeitete und nachmittags frei hatte, reichte zum Beispiel ein Platz bis 13 oder 14 Uhr. Die Richter stellen den Wunsch der Eltern in den Mittelpunkt. Wollen diese eine Betreuung bis 17 Uhr, muss die Stadt ein passendes Angebot unterbreiten - unabhängig von Nachweisen für Berufstätigkeit oder Ähnlichem.

Wie lange darf der Weg zur Kita sein?

Es gilt die Faustregel: Maximal zumutbar ist für die Strecke von zu Hause zur Betreuung und weiter zum Arbeitsplatz eine Stunde. Die Verwaltungsrichter halten dies für völlig falsch, auch deshalb, weil diese Daumenregel für Großstädte ebenso angewandt werde wie für Landgemeinden. Im Verfahren hoben sie ausdrücklich die Idealvorstellung heraus, dass eine Einrichtung zu Fuß erreichbar sein müsse. Das wiederum hält die Stadt für nicht umsetzbar, weil gerade in der Innenstadt, wo der Betreuungsbedarf am größten ist, der Platz für neue Einrichtungen fehlt.

Werden Betreuungsplätze jetzt teurer?

In einer ersten Reaktion auf das Urteil fürchtete die Stadt zusätzliche Kosten in zweistelliger Millionenhöhe - um viele neue Betreuungsplätze einzurichten. Um die Rechtssicherheit künftig zu bezahlen, wäre theoretisch auch eine Erhöhung der Kita-Gebühren möglich. Das schließt Bildungsreferentin Beatrix Zurek aber derzeit aus. "Ich persönlich finde, dass die Gebührenstruktur beibehalten werden soll." Die Stadt vermutet aber, dass private Träger das Urteil ausnutzen und ihre Preise erhöhen könnten: Dann müsste die Stadt mehr zuzahlen, wenn eine Familie nur in einer solchen Einrichtung einen Platz bekommt. Manche Träger verlangen bis zu 2000 Euro im Monat. "Darf eine so teure Kita überhaupt förderfähig sein?", fragt hingegen Rechtsanwältin Hannemann-Heiter. Sie will eine Höchstgrenze für die monatlichen Elternbeiträge erreichen. Wer mehr verlangt, verliert die öffentliche Förderung und damit den Status als Einrichtung, die unter den Rechtsanspruch fällt.

Gibt es eine Gesetzesänderung?

Der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei ist schwammig formuliert. Bisher interpretierten die Gerichte den Gesetzestext stets zugunsten der Kommunen. Nun könnte Druck aufkommen, dass weitere Gesetze im Bund oder im Freistaat den Anspruch genauer definieren. Das ist ein Bestreben der jetzigen Klägerfamilie. "Wir wollen, dass der Gesetzgeber klar macht, welche Angebote zumutbar sind und welche nicht", sagt Hannemann-Heiter. Will heißen: Bund oder Freistaat sollen die Höhe der Gebühren und die Distanz zwischen Krippe und Wohnort genau definieren.

Wie geht es weiter?

Die Stadt rechnet damit, dass das Grundsatzurteil in Leipzig erst in etwa einem Jahr fällt. Bis dahin könnten weitere Verfahren verloren gehen. Dagegen darf das Bildungsreferat laut Stadtratsbeschluss Rechtsmittel einlegen.

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