Kirche startet Verfahren zur Seligsprechung:Warten auf ein Wunder

Ist die Seligsprechung noch zeitgemäß? Kardinal Reinhard Marx ist davon überzeugt, er glaubt an die Wirkung von Vorbildern. Bis die Verfahren für Fritz Gerlich und Romano Guardini beendet sind, werden aber noch viele Jahre vergehen

Von Jakob Wetzel

Das Leben ist nicht einfach in München im Mai 1948. Große Teile der Stadt liegen noch in Trümmern, der Schwarzmarkt blüht. Doch an jenem Sonntag unterbrechen die Menschen ihren mühseligen Alltag, um einen Toten zu ehren. Am 23. Mai 1948 zieht eine Prozession durch die Straßen; der zweieinhalb Jahre zuvor verstorbene Pater Rupert Mayer wird vom Ordensfriedhof der Jesuiten in Pullach in die Unterkirche des Bürgersaals an der Neuhauser Straße umgebettet. An jenem Sonntag seien 300 000 Menschen am Straßenrand gestanden, 30 000 weitere seien dem Sarg zu Fuß gefolgt, erzählt Gerd Jacob. Und der Zuspruch der Katholiken für Mayer, den "Apostel Münchens", sei bis heute ungebrochen.

Gerd Jacob ist Präfekt der Marianischen Männerkongregation, der auch Rupert Mayer angehört hat. Die Gemeinschaft hütet bis heute dessen Grab. Schon zu Lebzeiten ist der Jesuit in München wegen seines sozialen Einsatzes verehrt worden; weil er gegen die Nazis aufbegehrt hat, galt er außerdem als Vorbild für moralische Standhaftigkeit. Und noch heute sei Mayer "nie allein", sagt Jacob. "Wenn wir morgens um 9 Uhr aufsperren, stehen schon Leute da."

Rupert Mayer ist 1987 selig gesprochen worden, und wenn nun an diesem Samstag zum ersten Mal seit 29 Jahren wieder zwei neue Verfahren zur Seligsprechung in München beginnen, dann kommt man an seinem Beispiel schwer vorbei. Für Pater Mayer feierte Papst Johannes Paul II. 1987 einen Gottesdienst im Olympiastadion, der ein Ereignis war. Mayer sei daraufhin über München hinaus bekannt geworden, sagt Gerd Jacob. Er sei danach bestimmt auch häufiger in Bittgebete eingeschlossen worden. An seiner Verehrung in München aber habe sich nicht viel verändert. Der Jesuit war zuvor schon ein Vorbild gewesen, sein Grab bereits ein Wallfahrtsort.

Kirche startet Verfahren zur Seligsprechung: Der Journalist Fritz Gerlich (links) war ursprünglich selbst national eingestellt, kämpfte aber später energisch gegen Hitler. Im März 1933 wurde er von der SA verschleppt und später im KZ Dachau ermordet. Keinen Theologen zitiert Papst Franziskus so häufig wie Romano Guardini, der von 1948 bis 1964 an der Ludwig-Maximilians-Universität lehrte. Seine Vorlesungen waren so überfüllt wie seine Gottesdienste.

Der Journalist Fritz Gerlich (links) war ursprünglich selbst national eingestellt, kämpfte aber später energisch gegen Hitler. Im März 1933 wurde er von der SA verschleppt und später im KZ Dachau ermordet. Keinen Theologen zitiert Papst Franziskus so häufig wie Romano Guardini, der von 1948 bis 1964 an der Ludwig-Maximilians-Universität lehrte. Seine Vorlesungen waren so überfüllt wie seine Gottesdienste.

(Foto: Scherl/SZ-Photo, dpa)

Von diesem Samstag an gibt es nun also wieder zwei Kandidaten, und die Frage ist: Welches Ziel verfolgt die Kirche damit? Erzbischof Reinhard Marx eröffnet in einem Gottesdienst um 17.30 Uhr in der Frauenkirche die Seligsprechungsverfahren für den von den Nazis ermordeten Journalisten Fritz Gerlich und für den Religionsphilosophen Romano Guardini, einen der Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils. Nach Prüfungen im Erzbistum und im Vatikan entscheidet am Ende der Papst. Spricht er einen der beiden selig, kann der Betreffende fortan als Fürsprecher angerufen werden; zudem gilt die Seligsprechung als Vorstufe zur Heiligkeit.

Der Weg dorthin kann freilich viele Jahre dauern. Die Kirche kennt drei Wege zur Seligsprechung: Ein Kandidat muss seines Glaubens wegen ermordet worden, also als Märtyrer gestorben sein; dieser Frage geht die Kirche bei Gerlich nach. Oder er muss sein Leben aus religiösen Motiven für andere geopfert haben, dann muss zusätzlich auf seine Anrufung hin nachweislich ein Wunder passiert sein. Ein solches Wunder ist auch bei einem dritten Weg nötig, den die Kirche bei Guardini geht: In dem Fall muss sie klären, ob der Kandidat ein Leben in "heroischer Tugend" gelebt hat. Dazu gehören im Einzelnen sieben Tugenden: die drei "göttlichen Tugenden" Glaube, Hoffnung und Liebe, die in der Bibel verankert sind, sowie die vier klassischen Kardinaltugenden Mäßigung, Klugheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit.

Ihm persönlich würden beide Kandidaten imponieren, sagt Reinhard Marx. Gerlich, der nationalkonservative Herausgeber der Zeitung Der gerade Weg, sei zwar selber keinen solchen gegangen, habe aber doch klar erkannt, was falsch und was richtig ist. Er sei ein Kämpfer gewesen. Guardini sei da ein intellektueller Gegenpol: Der Philosoph habe versucht, Denken und Glauben zu verbinden - und habe dabei auch sehr an seiner Kirche gelitten. Guardini könne heute vielen ein Vorbild sein, die nicht nach einfachen Antworten suchen, sondern nach Wahrheit, sagt der Erzbischof, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist.

In dem, was nun folgt, spielt die persönliche Meinung des Kardinals jedoch keine Rolle. Katholische Seligsprechungsverfahren sind strikt formalisiert, und der Aufwand, den die Kirche betreibt, ist immens. Marx wird zum Abschluss des Gottesdienstes an diesem Samstag den Kirchenrichter Günther Ferg zum Bischöflichen Beauftragten für die Verfahren ernennen sowie den Dominikanerpater Christophe Holzer zum Kirchenanwalt, also gewissermaßen zum "Advocatus Diaboli". Gemeinsam werden sie Argumente für und wider die Seligsprechungen sammeln, werden sie Zeugen befragen, mögliche Wunder, die auf die Fürsprache der Kandidaten zurückzuführen sein sollen, untersuchen, und Hinweise von den Gläubigen überprüfen, die sich die Kirche etwa unter der E-Mail-Adresse seligsprechungen@eomuc.de erhofft.

Die E-Mail: Zu dem jahrhundertealten Verfahren scheint sie kaum zu passen. Doch Seligsprechungen seien noch immer zeitgemäß, findet Marx. Es gehe ja nicht darum, einen neuen Personenkult zu begründen. Zugegeben: Die Begriffe wirkten für zeitgenössische Ohren womöglich fremd. Auch ökumenisch sei das Verfahren nicht. Bei allen Gemeinsamkeiten, die im Reformationsjahr 2017 im Vordergrund standen, habe er mit Heinrich Bedford-Strohm, dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland und bayerischen Landesbischof, noch gar nicht über die Seligsprechungsprozesse gesprochen, er wolle das aber noch tun, sagt Marx. Und natürlich seien Selige und Heilige in der Vergangenheit vielfach überhöht worden. Doch das sei eigentlich nicht im Sinne der Kirche. "Je mehr wir jemanden überhöhen, desto mehr stellen sich die Menschen doch die Frage: Was hat das alles mit mir zu tun?" Dabei gehe es eben darum: Die Kirche wolle Vorbilder als solche benennen.

Diese Suche nach Vorbildern sei auch heute noch wichtig, findet Marx. "Das kirchliche Leben ist anders geworden, die Suche nach Orientierung aber nicht." Selige und Heilige könnten nicht nur Seelentröster und Fürsprecher im Gebet sein. Sondern sie seien auch Beispiele für Menschen, die das Evangelium konkret vorgelebt, also die christliche Botschaft verkörpert haben.

Deshalb gehe es nun erst einmal darum, sich mit den Kandidaten zu beschäftigen, sagt Marx. Ein Stück weit sei bereits der Weg das Ziel: Man wolle die Lebensumstände der Kandidaten erforschen und auch Zeitzeugen wie den ehemaligen Papst Benedikt XVI. befragen, der Guardini immer wieder in seinen Ansprachen zitiert hat.

Die Initiative komme außerdem in beiden Fällen nicht aus der Kirche, sondern von der Basis, betont Marx. Tatsächlich setzen sich katholische Journalistenverbände wie der Bayerische Presseclub seit Jahren für Gerlichs Seligsprechung ein. Guardini hatte anfangs vor allem in Italien Fürsprecher, mittlerweile auch in Deutschland.

"Als Kind fand ich die Allerheiligen-Litanei mit allen diesen vielen Namen erst einmal langweilig", erzählt Marx. Als er älter geworden sei, habe er sich aber mit den einzelnen Personen beschäftigt. "Mit dem Ergebnis: Das ist doch eine Versammlung von tollen Leuten, von Thomas von Aquin bis zu Edith Stein." Bis sich entscheidet, ob diese Liste um einen oder mehrere Münchner Kandidaten erweitert wird, werden jedoch noch viele Jahre vergehen - ob nun um Romano Guardini, um Fritz Gerlich oder etwa um den "Apostel Münchens", Pater Rupert Mayer. Das Verfahren, einen Seligen heilig zu sprechen, ist ebenso aufwendig wie eine Seligsprechung. Und es muss in jedem Fall ein Wunder nachgewiesen werden.

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