Kirche in Ismaning:Von wegen Nächstenliebe

Eine fünfköpfige Familie aus Ismaning gerät in finanzielle Not. Ihr Vermieter, die katholische Kirche, nimmt dies zum Anlass, das Ehepaar samt Kindern aus dem Haus zu drängen - ausgerechnet zu Weihnachten.

Von Ruth Eisenreich, Ismaning

Wie war das noch mal mit der christlichen Nächstenliebe? Ausgerechnet in der Vorweihnachtszeit scheint der katholischen Kirche die Bedeutung dieses Begriffs entfallen zu sein. Das behaupten jedenfalls Monika und Heinrich B. aus Ismaning: Der Pfarrer der örtlichen Kirche St. Johann Baptist wolle sie und ihre drei Kinder aus ihrem Haus werfen - mit äußerst unchristlichen Mitteln.

Ein penibel aufgeräumtes, ganz in Weiß und Beige gehaltenes Wohnzimmer in einer Doppelhaushälfte, Topfpflanzen am Boden, Blick in einen kleinen Garten, flauschige weiße Felle auf den Sofas. Hier sitzen Monika und Heinrich B. und schildern die Geschichte ihrer drohenden Obdachlosigkeit.

Bis vor einem Jahr lief demnach alles ganz normal im Leben der Familie. Monika B. arbeitete bei einem gemeinnützigen Verein, Heinrich B. bei einem Sanierungsunternehmen. Die beiden Teenagersöhne gingen zur Schule, die kleine Tochter in den Kindergarten. Doch Anfang 2014 verloren beide Eltern kurz hintereinander ihre Jobs - sie, weil ihre Abteilung aufgelöst wurde, er, weil sein Arbeitgeber insolvent wurde. Das Arbeitslosengeld reichte kaum aus für den Lebensunterhalt der fünfköpfigen Familie und so bat man den Hausbesitzer, die Kirchenstiftung der Pfarrei St. Johann Baptist Ismaning, um eine Mietminderung. Diese wurde der Familie im September auch gewährt - doch es gab einen Haken.

Denn einige Monate später, Ende November, erreichte die Familie ein Brief von der Erzdiözese München. Betreff: "Aufforderung zur Rückgabe des Mietobjektes". Bis spätestens 2. Januar 2015 müsse die Familie das Haus geräumt haben, heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Der Brief sei für ihn und seine Frau völlig überraschend gekommen, sagt Heinrich B.

Was in dem Nachtrag steht

Dabei ist der "Nachtrag zum Mietvertrag" vom September, den B. auf den gläsernen Couchtisch legt, eigentlich unmissverständlich: Für ein halbes Jahr, steht darin unter Punkt zwei, erlasse "die Pfarrkirchenstiftung einen Teil der Miete, um Familie B. entgegenzukommen". Punkt eins aber heißt "Mietaufhebungsvereinbarung". Und darin steht: "Im beiderseitigen Einvernehmen" werde das Mietverhältnis zum 31.12.2014 aufgehoben. Bis 1. Januar müssten die Mieter ausziehen. Auf der zweiten Seite schließlich die Unterschriften von Monika und Heinrich B.

Auch wenn beide unterschrieben haben, das Ehepaar B. fühlt sich trotzdem von der Kirche hintergangen. Denn der Nachtrag sei ihm nicht auf regulärem Weg zugestellt worden. Stattdessen sei eines Tages der Kirchenpfleger der Pfarrei unangekündigt mit dem Papier vor der Tür gestanden und habe das Paar zur Unterschrift gedrängt.

Der Nachtrag ermögliche die beantragte Mietminderung, habe dieser behauptet - so schildert es das Ehepaar. Der Punkt mit der Kündigung sei eine reine Formsache, notwendig für die Vertragsänderung. Und weiter: Der Mietvertrag werde selbstverständlich über das Jahr 2014 hinaus verlängert.

"Der Kirchenpfleger hat uns ins Gesicht gelogen"

"Wenn man der Kirche nicht vertrauen kann, wem dann?", will Heinrich B. damals nach eigenen Worten gedacht haben. Deswegen hätten er und seine Frau trotz ihrer Zweifel unterschrieben. "Der Kirchenpfleger hat uns direkt ins Gesicht gelogen", sagt Monika B. und hält sich mit beiden Händen an ihrer Kaffeetasse fest.

Der Kirchenpfleger will auf Nachfrage nichts zu dem Vorwurf sagen, er bestätigt nur, dass er den Nachtrag zum Mietvertrag persönlich vorbeibrachte. Familie B. vermutet nun: Der Pfarrer wolle sie loswerden, um die Miete erhöhen zu können. Die lag nämlich um mehrere hundert Euro unter dem ortsüblichen Preis. "Gott hätte so etwas nicht getan", sagt Monika B., "wo bleibt da die Moral der Kirche?"

Wie die Kirche das Geschehen schildert

Die katholische Kirche sieht die Geschichte völlig anders. Im Laufe der vergangenen Jahre sei die Familie mehrmals über Monate hinweg mit der Miete im Verzug gewesen, sagt Christoph Kappes, der Sprecher der Erzdiözese München. Heinrich B. bestätigt, dass es Mietrückstände gegeben hat. Seit 2013, da sind sich beide Seiten einig, sind die Schulden jedoch beglichen.

Aber für die Kirche galt die Familie seither offenbar als unzuverlässiger Mieter. Auch eine kirchliche Stiftung sei gesetzlich verpflichtet, mit dem ihr anvertrauten Geld ordentlich zu wirtschaften, sagt Kappes. Zudem suche man derzeit eine Unterkunft für eine siebenköpfige Familie mit einem behinderten Kind.

Laut dem Sprecher der Erzdiözese hat sich die Kirche also ganz und gar nicht unchristlich verhalten, im Gegenteil: Der Pfarrer habe den B.s mehrmals Hilfe bei der Suche nach einem günstigeren Haus angeboten, doch die Familie habe nicht reagiert. (Das Ehepaar B. hingegen sagt, es habe immer wieder um Gespräche mit dem Pfarrer gebeten, sei aber abgewimmelt worden). Der Nachtrag mit der Mietminderung und der Mietaufhebung war laut Kappes der Versuch einer gütlichen Einigung. "Wir wollten die Familie nicht von jetzt auf gleich auf die Straße setzen."

Ein Formfehler könnte der Familie helfen

Da wird Familie B. nach derzeitigem Stand auch tatsächlich nicht landen. Zumindest vorerst nicht. Sie hat einen Anwalt eingeschaltet, der die Kündigung angefochten hat. Weil der Kirchenpfleger sie der Familie zu Hause vorbeigebracht hat, handle es sich um ein "Haustürgeschäft", für das besondere Widerrufsrechte gelten, so die juristische Argumentation. Ein Formfehler könnte Familie B. zugute kommen: Weil die Pfarrei Ismaning im Vertrag die Widerrufsbelehrung vergessen hat, ist die Frist für den Widerruf noch nicht abgelaufen.

Die Erzdiözese hat auf den Brief des Anwalts bereits geantwortet: Sie will den Fall erneut prüfen und hat vorläufig die Räumungsfrist für das Haus bis Ende April verlängert. Monika und Heinrich B. können also nicht nur Weihnachten in ihrem Wohnzimmer mit den weißen Möbeln feiern, mindestens einmal noch können sie auch die Ostereier für ihre Kinder in ihrem kleinen Garten in Ismaning verstecken.

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