Kiosk in München:"Niemand soll hungern müssen"

Kiosk Lazos

Bedürftige behandelt Mehmet Kücük am Kiosk wie ganz normale Kunden: Auch wer gerade kein Geld hat, bekommt eine Mahlzeit.

(Foto: Sonja Marzoner)
  • Wer Hunger hat aber gerade kein Geld, kann bei Mehmet Kücüks Kiosk anschreiben lassen - oder auch einfach gar nicht bezahlen.
  • Der 45-Jährige gibt seinen Kiosk im März auf - aber nicht, weil das Geschäft schlecht lief.

Von Andreas Schubert

Der Mann hat viel gesehen in seinem Leben und auch einige Niederlagen erlebt. Aus dem Nichts hatte sich Mehmet Kücük zum Manager einer Elektrofirma in Istanbul hochgearbeitet, doch nach zwei gescheiterten Ehen war er finanziell ruiniert und psychisch am Ende. Dennoch hat sich der 45-Jährige immer wieder aufgerappelt - mithilfe seiner heutigen Lebensgefährtin. Die eröffnete vor fünf Jahren einen Kiosk, dessen inoffizieller Chef er heute ist. Und es liegt wohl auch daran, dass er der Gesellschaft, die es ihm ermöglichte, wieder aufzustehen, zumindest in einem kleinen Rahmen etwas zurückgeben will.

Wer an Kücüks Kiosk an der Ecke Poccistraße/Lindwurmstraße etwas essen will, aber nicht bezahlen kann, bekommt die Mahlzeit geschenkt oder kann zumindest anschreiben lassen. An einer Glasscheibe hängt ein Zettel, auf dem steht: "Liebe Gäste, Sie haben Hunger, aber kein Geld? Bei uns können sie essen und später bezahlen oder aber Gott vergelts. Niemand soll hungern müssen." Doch jetzt, nach fünf Jahren, gibt Mehmet Kücük den Kiosk auf.

Der Kiosk läuft gut

"Es ist nicht so, dass wir pleite sind", sagt Kücük gleich zu Beginn des Gesprächs. "Letzte Woche kam einer und sagte, ist doch kein Wunder, dass ihr aufhören müsst, wo ihr doch das Essen herschenkt", erzählt Kücük. Im Gegenteil, der Kiosk laufe gut, und das Angebot auf kostenloses Essen werde von maximal zwei Leuten am Tag in Anspruch genommen. "Es wird nicht missbraucht, den meisten, die um Essen bitten, ist es peinlich." Deshalb habe er auch nie ein großes Tamtam aus seinem Angebot gemacht, und die Bedürftigen wie ganz normale Kunden behandelt. Und viele, die gerade kein Geld hätten, um ihre Mahlzeit zu bezahlen, kämen später wieder vorbei und beglichen ihre Rechnung- für die Kunden Mehmet Kücüks ist das auch eine Ehrensache.

Mehmet Kücük wurde in der Türkei in der Nähe von Istanbul geboren und kam als Sechsjähriger nach München. Hierher kehrte er auch nach einem zweijährigen Intermezzo in Istanbul wieder zurück. Doch Jobs und Reisen führten ihn in Länder, in denen ihm großes Elend begegnete, wo die Kluft zwischen Reichtum und Armut deutlicher zu sehen ist als hierzulande. Kücük bezieht sich auf Länder wie Dubai oder Katar, wo viele Arbeiter wenig verdienen und in unwürdigen Quartieren hausen.

Kein Ersatz für die Tafel, aber eine Ergänzung

Doch auch hier, wo die Menschen "einigermaßen gut versorgt" seien, wie der Kiosk-Betreiber sagt, gebe es zu viele arme Menschen, die sich zum Beispiel mit Flaschensammeln über Wasser halten müssten. Ein Ersatz für die Tafel, wo bedürftige Menschen sich mit Lebensmittel versorgen können, wolle er aber bewusst nicht sein. Eher eine Ergänzung und ein Vorbild für andere Geschäftsleute, von denen sich seiner Meinung nach jeder im Kleinen engagieren sollte.

Dass er mit seinem Kiosk aufhört, liegt daran, dass er künftig zu wenig Zeit dafür hätte. Seine Mutter, erzählt er, sei ein Pflegefall geworden. Da sie wieder in der Nähe von Istanbul lebe, hätten er und seine drei Brüder beschlossen, dass sich jeder abwechselnd für jeweils ein Vierteljahr an Ort und Stelle um die Mutter kümmere. München wolle er nicht dauerhaft verlassen. "Hier leben meine Kinder, hier ist mein Leben", sagt Mehmet Kücük. Was er künftig beruflich vorhabe, wisse er noch nicht. "Jetzt will ich erst einmal eine Auszeit", sagt er. "Irgendwas ergibt sich dann schon." Fest steht bisher nur Eines: Am 20. März wird Kücük an seinem Kiosk eine Abschiedsfeier geben.

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