Kinobesuch im Multiplex:Das Nacho-Popcorn-Maxi-Package-Erlebnis

14 Filme, 14 Ausfluchten aus dem Alltag: Zwischen gehetztem Ticketkauf, drangvoller Enge und dem Geruch von verwesendem Speiseöl ist das Publilkum im Mathäser-Kino entschlossen zur Fröhlichkeit.

Von Tanja Rest

Um drei Minuten nach acht legen unten auf der Bayerstraße zwei Frauen einen Zahn zu. Oben: 54...52...50. Schnell jetzt. 47...44. Schnell!! 42. Im Eilschritt hinein in die Kunstlichtkatakomben (nicht rennen, rennen wäre un-feierabendlich), Rolltreppe rauf, rechts abbiegen zum Ticket-Counter. Schlangen. (Mist.) 36...35...32. "Du, noch 32." - "Was?" - "Karten." Wartenwartenwarten.

Die Kids am Schalter wie das Bodenpersonal von British Airways, dunkle Hose, Hemd hellblau, "m"-Logo rot eingestickt, rote Krawatte (Mann), rotes Tuch (Frau); dahinter 14 Monitore mit Daten. Daten, die Namen sein könnten von Flugzielen, Abflugzeiten von Flugzeugen, paarsekündlich schmelzende Last-Minute-Kontingente. Nix wie weg hier; Askaban, Shrek-Land, England 6. Jahrhundert. Draußen Niesel. Beam me Goddamn up, Scotty! ...12.

Handgepäck am Popcorn-Counter

"Hallo-o!" - "Nummer Dreihundertelf. Wir ham reserviert." - "Zwei Tickets, Hinterereihemitte für ,I, Robot'. - "Ja, wir, sind ein bisschen äh spät dran." - "Kein Problem. Macht siebzehn Euro." Klick, eingecheckt. (Handgepäck? Gibt's am Popcorn-Counter.) 12...10. "Hab' ich doch gesagt, das klappt." 20.17 Uhr in der Mathäser-Abfertigungshalle. Countdown läuft.

14 Monitore, 14 Säle, 14 Zielfilmorte. Titelflugfantasie: Mit dem (T)Raumschiff Surprise von Garfield nach King Arthur, Zwischenstopp in Shrek 2 und über die City of God in den Girls Club, für den es in diesem Moment noch 88...85 Tickets gibt. Das rückwärts laufende Zählwerk ist der Schrittmacher der Multiplexe.

Süßliches Aroma in der Luft

Qualvolle Enge. In der Luft das süßliche Aroma von umgewälzter Luft, Schweiß und verwesendem Speiseöl. Dazu ein vielhundertstimmiges, im Grundton zur Fröhlichkeit entschlossenes Summen, in dem die Misstöne des Tages schwimmen wie Fettaugen auf einer klaren Brühe. Letzte Vorbereitungen. Konzentriertes Saugen an der Zigarette davor. Run aufs Klo, damit das Powerade nachher nicht auf die Blase drückt.

Ein junges Paar, erstes Date offensichtlich, schaut ins "m"-Kinomagazin, überbrückt die Peinlichkeit des Schweigens blätternd, bevor ihnen gleich Will Smith das Reden abnimmt. Auf der Titelseite des Magazins wendet Milla Jovovich die Augen ab vom "Hit im September: Voll auf die Nüsse".

Parka und gelackte Haarspitzen

Das potenzielle Septemberhit-Publikum ist eher jung, eher nicht Cinéma francaise, dafür Blockbuster-affin. Typ Clockhouse-Jeans zum Parka, Langarm-shirt mit Aufdruck ("Teen Monster"), Turnschuhe; gelackte Haarspitzen der Jungs gesträubt, tarnfarbene Schultertasche der Mädchen auf einer Pobacke wippend. Die paar Feinen stehen herum wie Meissner Porzellantässchen im Ein-Euro-Laden, nesteln am Hermès-Tuch und schämen sich.

20.30 Uhr. Ein Dicker jongliert seine Ringe rüber zur Fresstheke. Fast Food zum Fast Film. Das Package-Prinzip der Speisekarte ist so geheimnisvoll verschachtelt wie ein Plot von David Lynch: Package = Kombination eines Softdrinks mit Popcorn, Nachos oder beidem. Package-Typen insofern: "Popcorn", "Nachos", "Alles drin"; in den Größen "Classic", "Maxi" und "Partner". Soweit klar.

"Alles drin Package Maxi" aber nicht Maxi Softdrink + Maxi Popcorn + Maxi Nachos. Sondern zwei Softdrinks + Popcorn groß + Nachos normal. Garantiert immerhin Schlürf-, Wühl-, und Malm-Geräusche, mit denen die Langnese-Werbung bis zur ersten Schlüsselszene konsequent überlärmt werden kann.

Nostalgie-Anfall

Unverzeihlicher Nostalgie-Anfall um 20.41 Uhr. Zeit haben fürs Kino! In einer einzigen Schlange eine Viertelstunde warten, nicht reserviert haben, nicht "Nummer 488" sagen, sondern "ein Mal ,Taxi Driver' bitte, ist vorne noch Platz?"

Acht Mark zahlen. Kein Computerausdruck, sondern ein winzigrosa Karton, den eine krumme 75-Jährige mit Damenbart entzwei reißt, mit nichts als diesem Schnipsel in der Hand den Saal betreten. Nicht mal ahnen, wie ein Nacho-Package mit Käsesauce riecht.

Kurz vor 21 Uhr im Mathäser-Terminal: eine sich ausbreitende Art von Leere. Der Chef-Steward hat die Bordkarten mechanisch durchgenickt, Rolltreppen haben die Kino-Passagiere nach oben geschaufelt. Ein Putzmann beseitigt, was vom Warten übrig blieb: Kippen, Flaschen, Nacho-Splitter. Stress-Partikel.

Neben einer Topfpalme steht eine Frau, die ein bisschen aussieht wie Meryl Streep, sie steht alleine da, sie raucht und ascht in die Hydrokultur. An der Palme hängt noch das Schild: "Lord Howe Island. Für Dekorationszwecke bestimmt. Eignet sich nicht zum Verzehr."

Der Hunger nach Frischluft wird größer.

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