Kino:Der blinde Zuschauer

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Kino für sehbehinderte Menschen? Hörfilme machen's möglich. In einer Reihe stellt das Filmmuseum die Technik der Audiodeskription vor, bei der eine Stimme in knappen Worten beschreibt, was auf der Leinwand passiert

Von Bernhard Blöchl

Neulich lief in München ein Stummfilm für Blinde. In "The Battle of The Century (Alles in Schlagsahne)", einem fragmentarisch erhaltenen Klassiker von 1927, zettelten Stan Laurel und Oliver Hardy eine gigantische Tortenschlacht an, jeder bewarf jeden, die ganze Straße verwandelte sich in einen zuckersüßen Kampfplatz. Und auch wenn die sehbehinderten Menschen im Publikum sich weder an Dick und Doofs Slapstick-Talenten, noch an ihren Stimmen erfreuen konnten, so amüsierten sie sich ganz offensichtlich, zuckten zusammen, fieberten mit, kicherten. Hinterher sagte eine blinde Frau den bemerkenswerten Satz: "Jetzt weiß ich endlich, wie das ausschaut."

Stummfilme für Blinde, oder allgemein: Kino für Blinde - was zunächst nach schlechtem Scherz oder geschmackloser Groteske klingt, ist in Wahrheit Teil eines spannenden Experiments, das das Filmmuseum München in diesen Tagen wagt. Bis Mittwoch, 22. April, läuft hier die Reihe "Audiodeskription im Kino", ein Hörfilm-Projekt, das im Rahmen der Initiative "Projekt Inklusion im Kulturreferat" angeboten wird. Audiodeskription bedeutet, dass nachträglich eine Sprechstimme in den Film eingearbeitet wird, eine Stimme, die in knappen Worten beschreibt, was auf der Leinwand vor sich geht. Protagonisten, Mimik und Gestik, Setting, Kostüme sowie etwaige eingeblendete Texte oder Tafeln. Wenn alle visuellen Aspekte, die für das Verständnis der Geschichte wichtig sind, beschrieben werden (filmästhetische Details ausgeklammert), verwandelt sich der Film in einen Hörfilm. Beim Stummfilm, bei dem nur eine Klaviermelodie erklingt, ist für die Erklärstimme viel Raum; bei Spielfilmen mit Sprache und Geräuschen müssen die wenigen Pausen in der Audiospur bei der Produktion geschickt genutzt werden. Das ist eine Frage des Timings. Immerhin sollen Gags oder überraschende Momente nicht kaputtgeredet oder zu früh verraten werden.

"Wir wollen die Audiodeskription als Kunstform darstellen, als komplexes Handwerk", sagt Claudia Engelhardt vom Filmmuseum. Der Publikumszuspruch sei zwar noch gering, aber Experimente wie dieses bräuchten Zeit, betont sie und verweist bereits auf eine mögliche Fortsetzung der Reihe im Herbst. Die im April gezeigten Werke, darunter zwei Laurel-und-Hardy-Filme sowie Percy Adlons Liebeserklärung "Mein München" (an diesem Dienstag um 18.30 Uhr), sind speziell für die Reihe von der gemeinnützigen Gesellschaft Deutsche Hörfilm mit professioneller Audiodeskription versehen worden. Lediglich der Stummfilm "Vom Reiche der sechs Punkte" (22.4.) ist bereits 2008 mit dem Deutschen Hörfilmpreis ausgezeichnet worden.

Audiodeskription sei bei weitem noch kein Standard, erklärt Engelhardt. Jedoch sind bereits Apps für Smartphones ("Greta & Starks") erhältlich, die blinden Menschen Kinoerlebnisse ermöglichen sollen, und dabei spielt immer auch das Gemeinschaftserlebnis eine Rolle. Mitunter stellen Kinobetreiber Funkkopfhörer zur Verfügung. Und seit ein paar Jahren müssen alle deutschen Filme, die von der Filmförderungsanstalt (FFA) bezuschusst werden, mit Audiodeskription und Untertiteln ausgestattet sein.

Das Besondere bei der Reihe im Filmmuseum ist die Tatsache, dass die Erklärungen über die Lautsprecher im Kinosaal eingespielt werden, also für alle Besucher hörbar sind, weshalb auch neugierige Sehende angesprochen werden. "Es ist ein Versuch, der die Möglichkeit bietet, sich mit dem Medium Hörfilm auseinanderzusetzen", betont Martina Wiemers von der Deutschen Hörfilm - und beruft sich auf Volker Schlöndorff: "Letztendlich sagen wir immer, der Film entsteht nicht auf der Leinwand, sondern im Kopf des Zuschauers. In dem Sinne ist auch der Blinde ein Zuschauer."

Audiodeskription im Kino : "Mein München", Di., 21. April, "Vom Reiche der sechs Punkte", Mi., 22. April, jew. um 18.30 Uhr, Filmmuseum, St.-Jakobs-Pl. 1, 23 39 64 50

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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