Kindermode:Nachholbedarf in der Mittelklasse

Kindermode: Macht doch was her: Auch für die Jüngsten gibt es Designer-Kleider und einen Lolli obendrauf.

Macht doch was her: Auch für die Jüngsten gibt es Designer-Kleider und einen Lolli obendrauf.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Kindertextilien gibt es extrem teuer oder billig, doch neue Labels sehen ihre Chance im Preissegment dazwischen

Von Franziska Gerlach

Es gab einmal eine Zeit, da hatte Kindermode viel damit zu tun, die kaktusgrüne Cordlatzhose des älteren Bruders aufzutragen. Dass die Kniepartie vom Spielen auf dem Fußboden nach zwei Geschwistern nahezu durchgewetzt war, störte niemanden. Wer heute einen Nachmittag auf einem Münchner Spielplatz zubringt, dem bietet sich ein anderes Bild. Manche Zweijährige sehen in Poloshirts und Baseballkappe aus wie die Miniaturausgabe des Herrn Papa, Mädchen werden mit Miniröcken über der Leggins zu kleinen Damen gestylt. Bequemlichkeit ist offenbar nicht immer das oberste Gebot.

Neue Labels und neue Geschäfte wollen das nun ändern. Weg vom Chichi, hin zu mehr Bewegungsfreiheit, damit mischen sie den Kindermodemarkt in München auf. Sie achten nicht nur auf faire Produktionsbedingungen, sondern wollen mit frechen Designs auch Schwung in ein etwas vernachlässigtes Preissegment bringen: die Mittelklasse. Isabelle Siegenthaler zum Beispiel erdachte sich vor einem Jahr ein Label namens "Merci Marie". Und "Hupifu" entstand, weil zuvor Judith Pießkalla vergeblich nach "cool aussehender Kindermode" gesucht hatte. Gerade für Jungen sei das Angebot dürftig, sagt die Labelgründerin. "AnniBazaar" war bislang ein Online-Shop, seit Mai gibt es eine gleichnamige Kindermodeboutique in der Türkenstraße. Sie habe modernes Design und gute Qualität vermisst, sagt Inhaberin Lena Trier - "die skandinavische Richtung". Erst vor Kurzem war sie in Kopenhagen auf einer Messe und hat dort Labels entdeckt, die hierzulande noch nicht so bekannt sind, aber sicherlich Käufer finden würden - etwa Popupshop aus Dänemark.

Fragt man Wolfgang Fischer vom Händlerverband City Partner, haben diese Unternehmerinnen mit München den richtigen Standort gewählt, wenn es um Kindermode geht. "Das ist eine boomende Region mit vielen Touristen und steigenden Geburtenraten", sagt er. Da werde gerne in den Nachwuchs investiert. Dass in Deutschland wieder mehr Geld für Kindermode ausgegeben wird, belegen auch die Zahlen des Instituts für Handelsforschung (IFH) - im vergangenen Jahr waren das pro Kind im Schnitt 386 Euro. Das Marktvolumen ist mit 3,5 Milliarden Euro leicht gestiegen, was allerdings am Boom des Online-Handels liegt, der um 60 Millionen Euro gewachsen ist. Mit 28,7 Prozent halten Anbieter wie Zara und ähnliche mittlerweile den größten Anteil am deutschen Markt. Nach den Verlierern muss man nicht lange suchen: Es sind die Fachgeschäfte für Kindermode, die seit einigen Jahren nur noch gut zwölf Prozent auf sich vereinen.

Auch an der Isar ist einiges im Umbruch. Mit der Insolvenz von Schlichting verlor München in diesem Frühjahr eine Institution. Nachdem das Kinderfachgeschäft aus den Räumen an der Weinstraße ausziehen musste, habe man sich mit dem neuen Standort am Ende der Maximilianstraße vertan, hieß es. Auch das Traditionshaus Konen wird seine Kinderabteilung zum Ende des Jahres aufgeben und auf den frei werdenden 900 Quadratmetern stattdessen Schuhe, Taschen, Schals und Tücher verkaufen. Die Kindermode sei seit Jahren nicht mehr profitabel, sagt Geschäftsführerin Gabriele Castegnaro, "ein reiner Zuschussbetrieb".

Andernorts wird hingegen ausgebaut. Oberpollinger hat gerade die Fläche seiner Kinderabteilung im Untergeschoss von 500 auf 1000 Quadratmeter verdoppelt. Es bestehe eine große Nachfrage nach "hübschen Kleidern", teilt eine Sprecherin mit. Schon jetzt sind dort pfirsichfarbene Spitzenkleidchen von Dolce & Gabbana zu haben - für stolze 669 Euro das Stück. Und künftig will man dem Kunden dort noch mehr Luxusmarken bieten.

Für einen Bruchteil des Geldes können Münchner den Nachwuchs bei Ernstings Family ausstaffieren. Für die auf Preiswertes spezialisierte Kette läuft es offenbar gut an der Isar: Im vergangenen Geschäftsjahr habe man "ein zweistelliges Plus" verzeichnen können, teilt Sprecher Marcello Concilio mit. Zwei weitere Filialen sind für München geplant.

Extrem teuer oder extrem preiswert - gerne wird der Kindermode vorgeworfen, ihr fehle ein liebevoll gestaltetes Angebot in der Mitte. Dennoch war es für das Traditionshaus Konen, das in seiner Kinderabteilung Marken wie Tommy Hilfiger oder Marc O´Polo führt, keine Option, auf Luxus umzustellen. "Wir sind überall die gehobene Mitte und wollen das Hochpreisige daher nicht bei den Kindern anfangen", sagt Castegnaro. Auch Lena Trier sieht ihr Sortiment in der "gehobenen Mitte", ein grau meliertes Kleid mit einer Katzenapplikation in Neon kostet zum Beispiel 45 Euro. Eine Winterjacke ist freilich teurer. Bereits seit sieben Jahren vertreibt Julia Sterzenbach vom Label "Lia Bach" Kinderkleider aus Biostoffen. Grüne Kindermode zu moderaten Preisen - das müsste doch weggehen wie warme Semmeln in einer Stadt mit prosperierender Wirtschaft und auf Nachhaltigkeit bedachten Bewohnern? Sterzenbach äußert sich zurückhaltend. "An sich schon", sagt sie, "und mittlerweile haben wir auch unsere Kunden." Doch sie halte die Kindermode für ein vergleichsweise krisenanfälliges Segment. Und im Gegensatz zu Ländern wie Italien werde in Krisenzeiten hierzulande doch eher am Nachwuchs gespart.

Stephanie Habib würde für Kleidungsstücke, die erst ihre eine Tochter und dann die andere Tochter tragen könne, bis zu 200 Euro ausgeben - für einen Anorak zum Beispiel. An einem Freitagnachmittag ist sie mit der drei Jahre alten Maude in der Stadt unterwegs. Fragt man die Mutter zweier Töchter, worauf sie Kinderkleidung achtet, nennt sie mehrere Kriterien. "Es sollte gut aussehen, dabei aber auch praktisch sein und auf keinen Fall Mainstream." Eine gewisse Individualität sei ihr eben auch bei ihren Töchtern wichtig.

Bei anderen löst die Geburt eines Kindes überhaupt erst ein Interesse an Mode aus. Judith Pießkalla hatte mit Kinderkleidung wenig am Hut, bevor sie zwei Söhne bekam. Die Idee mit "Hupifu" kam der gelernten Hotelfachfrau während der Elternzeit. Das Nähen, so sagt sie, habe sie sich nach und nach beigebracht. Heute verkauft sie ihre Hoodies, Hosen, Tücher und Dirndl über einen eigenen Online-Shop und den Online-Marktplatz "Dawanda"; auch in kleinen Geschäften in München und Frankfurt ist ihr Label vertreten.

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