Kinder an die Macht:Kleine Einmischung

In Fasangarten dürfen Grundschüler mitreden, wie sich der Stadtteil entwickeln soll. Sie erarbeiten dabei nach Rundgängen im Viertel Anträge, welche sie beim Kinder- und Jugendforum am 2. März im Cincinnati-Kino Politikern und Behördenvertretern vortragen werden

Von Irini Bafas, Fasangarten

Kilian schüttelt den Kopf. Nein, sagt der Zehnjährige, ihn habe noch nie jemand gefragt, wie er sein Wohnviertel am liebsten hätte. Er schlüpft in seine Stiefel und zieht die grüne Winterjacke an. Er wird gleich mit seinen Mitschülern aus der vierten Klasse die Umgebung ablaufen und fotografieren. Hier, in der Siedlung am Perlacher Forst, gehen sie zur Schule und ins Kino, toben auf Spielplätzen, fahren Fahrrad. Die Siedlung ist ihr Zuhause.

Kinder an die Macht: Auf Dokumentations-Tour: Mit der Kamera bewaffnet begleitet Projektleiterin Marion Schäfer die Kinder durchs Viertel.

Auf Dokumentations-Tour: Mit der Kamera bewaffnet begleitet Projektleiterin Marion Schäfer die Kinder durchs Viertel.

(Foto: Robert Haas)

Der Spaziergang durch das Viertel soll die Schüler auf das Kinder- und Jugendforum am 2. März im Cincinnati-Kino vorbereiten. Dort diskutieren sie mit Vertretern aus Politik, Stadtverwaltung und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) über die Entwicklung des Stadtteils. Sie dürfen Anträge stellen und Antworten auf ihre Fragen einfordern. "Die Kinder lernen so, was Demokratie ist", sagt Marion Schäfer vom Verein Kultur und Spielraum. Sie organisiert mit der Freizeitstätte Red Dragon die Projektwoche; Schüler der Lincolnschule und der Mittelschule an der Cincinnatistraße nehmen teil. Zu den offenen Spaziergängen sind außerdem alle Kinder zwischen neun und 16 Jahren eingeladen, die in der Siedlung leben. An diesem Freitag, 23. Februar, startet die Tour um 15 Uhr am Red Dragon.

Kinder an die Macht: Die Kinder notieren Gefahrenstellen auf kleinen Fähnchen.

Die Kinder notieren Gefahrenstellen auf kleinen Fähnchen.

(Foto: Robert Haas)

Bei dem Projekt geht es nicht nur darum, den Kindern eine Stimme zu geben. Es geht auch darum, ihnen zu zeigen, dass es sich lohnt, sich zu beteiligen. Wer früh lernt, dass seine Stimme zählt, engagiert sich später vielleicht auch mehr. Deshalb sei es wichtig, einige Wünsche der Kinder auch umzusetzen, sagt Schäfer. "Sonst frustrieren wir sie nur."

Vor der Tour haben die Kinder auf bunte Fähnchen geschrieben, was sie an der Siedlung stört und was sie verändern möchten. Ein Neunjähriger fragt: "Stimmt es, dass das Red Dragon wegkommt?" Das Gerücht geht seit längerem bei ihnen um. "Das ist ein Märchen, so wie Hänsel und Gretel", antwortet Klaus Neumann, Kinder- und Jugendbeauftragter des Bezirksausschusses Obergiesing-Fasangarten. Er unterstützt das Projekt und ist an diesem Tag gekommen, um zu erfahren, was die Schüler beschäftigt. Die Siedlung verändert sich, das wissen auch die Kinder. Der Quartiersplatz soll neu gestaltet werden und das Cincinnati-Kino braucht ein tragfähiges Konzept. Auf einer Fläche neben dem Schulzentrum entsteht eine Zweigstelle der Europäischen Schule Neuperlach für 1500 Schüler. Die Sorge um das Red Dragon zeigt, dass die Kinder verunsichert sind. Sie fragen sich, wie es hier in Zukunft aussehen wird, und ob bleibt, was ihnen wichtig ist - zum Beispiel die Freizeitstätte.

Kinder an die Macht: Die Kinder fotografieren selbst Orte, für die sie sich eine Veränderung wünschen - etwa, dass Hundehalter die Anweisungen auf Schildern befolgen.

Die Kinder fotografieren selbst Orte, für die sie sich eine Veränderung wünschen - etwa, dass Hundehalter die Anweisungen auf Schildern befolgen.

(Foto: Robert Haas)

Kilian schreibt während der Vorbereitung auf sein Fähnchen, dass er Angst hat, die Straße vor dem Cincinnati-Kino zu überqueren. Er wünscht sich einen Zebrastreifen. Auf seinem anderen Fähnchen steht etwas, das ihn stört: "Die Rutsche an der Leifstraße, die so lange abgesperrt ist".

Im vergangenen Jahr beanstandete die Prüfgesellschaft Dekra den Zustand mehrerer Spielgeräte. Deshalb ließ die Bima, der ein großer Teil der Wohnanlage gehört, die Geräte sperren. Seitdem können sie nicht mehr genutzt werden. "Aus wirtschaftlichen und haftungsrechtlichen Gründen werden sie nicht mehr repariert, sondern durch neue Geräte ersetzt", sagt ein Sprecher der Bima. Das Staatliche Bauamt habe das notwendige Vergabeverfahren bereits im August vergangenen Jahres eingeleitet und zwischenzeitlich auch den Auftrag vergeben, heißt es weiter. Die Spielgeräte sind laut Behördenangaben bereits bestellt und würden voraussichtlich bis Ende März 2018 aufgestellt. Doch warum dauert das so lange, fragen sich die Anwohner. "Da unter anderem auch Bodenverankerungen eingebracht werden müssen, ist die Installation der Geräte witterungsabhängig", sagt ein Bima-Sprecher. Bei Frost etwa könne sich das verzögern.

Kilian und seine Mitschüler stapfen durch den Schnee. Sie bleiben vor einem überfüllten Mülleimer stehen, einem eingezäunten Klettergerüst und einem vollgeschmierten Stromkasten. An jeder Ecke finden sie etwas, das sie verändern möchten. Viele ihrer Wünsche sind Kleinigkeiten - sie umzusetzen, ist durchaus vorstellbar. "Schon cool, dass wir mitbestimmen dürfen." Kilian lächelt. Am liebsten, sagt er, würde er bereits bei der nächsten Bundestagswahl seine Stimme abgeben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: