Kennenlernen leicht gemacht:Sinn finden

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Katrin Frische (links) und Barbara Zevnik helfen, andere Menschen kennenzulernen. (Foto: Axel Öland)

Speed-Dating mit Fünf-Gänge Menü? Weil sich Menschen angeblich keine Geschichten mehr erzählen, laden Katrin Frische und Barbara Zevnik einmal im Monat zum "Erzähl-Mahl". Zu jedem neuen Gericht wird eine Frage serviert, die scheinbar die "Kraft haben soll", Smalltalk zu überspringen - dann geht es ans Eingemachte

Von Theresa Parstorfer

Die Menschen erzählen sich keine Geschichten mehr. Das finden zumindest Katrin Frische, 45, und Barbara Zevnik, 31. Das sei traurig und schade, denn jeder Mensch habe eine Geschichte zu erzählen, und "allein das Erzählen ist schon ein wichtiger Prozess, um sich über das eigene Leben, Entscheidungen, die man getroffen hat, und Dinge, die einem passiert sind, klar zu werden", sagt Frische. Um einen Sinn zu finden.

Inspiriert von diesem Defizit, haben die beiden Frauen eine Geschäftsidee entwickelt, die völlig fremde Menschen miteinander in Kontakt und ins Gespräch bringen soll: Bei einem "Erzähl-Mahl" trifft sich eine Gruppe von 30 Leuten zu einem gemeinsamen Fünf-Gänge-Menü. Nach jedem Gang wird der Gesprächspartner gewechselt und zu jedem Gericht eine Frage serviert, die angeblich die "Kraft haben soll", Smalltalk zu überspringen und das Gespräch gleich auf eine tiefgründige Ebene zu transportieren. Das klingt verdächtig nach Speed-Dating.

Also nur eine weitere Möglichkeit, einen Partner zu finden? Tinder mit Niveau? Nein, finden die beiden. Am Anfang hätten sie ihr Konzept zwar tatsächlich nur auf Singles ausgelegt, aber dann bekamen sie Anfragen von Menschen, die an einer solchen Veranstaltung teilnehmen wollten, obwohl sie in einer Beziehung waren. Ohne den Hintergedanken, die große Liebe oder auch nur eine kleine Liebelei finden zu wollen. Nur aus Interesse am Gespräch, am Gegenüber, an neuen Kontakten und vielleicht sogar neuen Freundschaften. Der Bedarf oder der Wunsch nach einer Hilfestellung für neue Begegnungen ist offenbar tatsächlich vorhanden.

Ein ähnliches, mittlerweile sehr erfolgreiches Konzept gibt es bereits in den USA. "Dining Lab" heißt eine Internetplattform, bei der man sich registrieren kann, um dann als Abonnent zu exklusiven Abendessen von bekannten Köchen eingeladen zu werden. Auch wenn hier der kulinarische Aspekt im Vordergrund steht, ist die Idee doch sehr ähnlich: ausbrechen aus der Routine, neue Menschen, neue Erfahrungen, neue Kontakte.

Sie wollen also keine Dates arrangieren. Deshalb können sich Frische und Zevnik sehr unterschiedliche Zielgruppen und Konstellationen für ihre Abendessen vorstellen: alte und junge Menschen, Mitarbeiter eines Unternehmens, vielleicht auch Paare oder Flüchtlinge und Einheimische. Katrin Frische sieht da viel Potenzial. Sie ist eine groß gewachsene, schlanke Frau. Kurze blonde Haare, aufmerksame blaue Augen. Sie hatte schon früher "Erzähl-Salons" veranstaltet, bei denen sich die Menschen ihre Geschichten erzählten. Die seien aber schon immer ein wenig steif gewesen, hätten immer den Anklang von Selbsthilfegruppe, von Gesprächstherapie besessen. Deshalb soll das Abendessen dabei helfen, eine "wohlwollende, offene Atmosphäre" zu gestalten.

Barbara Zevnik hat dunkle Haare, ein herzliches Lächeln und korallfarben lackierte Fingernägel. Ihre Partnerin habe ein sehr gutes Gefühl für gestalterische Dinge und für Leichtigkeit, sagt Frische.

Im Büro der beiden Frauen im Impact Hub, einer kreativen Bürogemeinschaft in der Gotzingerstraße, steht die Luft. Durch die verglaste Außenwand knallt die Sonne herein. Selbst bei diesen Temperaturen können außer Schweiß aber auch noch Ideen fließen. Hier haben sich die beiden Frauen kennengelernt und sofort gemerkt, dass ihr Anliegen das Gleiche ist, dass in der Zusammenarbeit einfach alles "flutscht", wie sie sagen. Trotz des Altersunterschieds und der völlig unterschiedlichen Erfahrungen. Vielleicht auch gerade deswegen.

Katrin Frische hat Geschichte studiert und arbeitet heute als Biografin. Es dreht sich viel um Geschichte und um Geschichten in ihrem Leben. Für sie hat Geschichtenerzählen immer etwas mit Beziehungen zu tun. Im Gespräch geht es nicht nur um den Erzähler, sondern auch um den Zuhörer, und um das, was sich zwischen den beiden entwickelt. Barbara Zevnik hingegen ist Landschaftsgärtnerin. Das hat erst einmal nichts mit Geschichtenerzählen zu tun, aber sie sieht ihr Anliegen darin, die Umwelt für die Menschen hochwertiger zu gestalten. Für sie sei es besonders spannend, wie Menschen, vor allem in einer anonymen Öffentlichkeit, einander nähergebracht werden können. Allerdings habe sie in ihren fünf Jahren Berufserfahrung feststellen müssen, dass eine tatsächliche Umsetzung ihrer Ideen in der Praxis oft nicht möglich ist.

Auch die Kommunikation zwischen den Generationen war schon lange Zeit ein Thema, das Zevnik interessierte. Die gebürtige Slowenin ist hier in München manchmal überfordert von der Schnelligkeit des Lebens. "Aber alte Leute kennen das oft noch. Und können es auch. Das langsamere Leben", sagt sie. "Ich glaube, da können wir viel von ihnen lernen." Deshalb auch die Idee, junge und alte Menschen bei einem Erzähl-Mahl zusammen an einen Tisch zu setzen.

Samstagabend in der Maxvorstadt: Der Sommer hält an und trotz Biergartenwetters haben sich 20 Interessierte im Nudo, einer Pasta-Bar in der Amalienstraße, eingefunden und lassen sich auf völlig unbekannte Gesprächspartner ein. Der Poetry-Künstler Fabian Bross bietet einen künstlerischen Appetizer und spätestens während des Hauptgangs, als es um die Frage "Warum tust du das, was du tust?" geht, also um Werte, Ziele und die eigene Herkunft und damit um das "Kernstück" des Abends, will eigentlich niemand mehr aufhören zu erzählen. Das Essen schmeckt, die Stimmung ist so ungezwungen wie erhofft. Eine Mischung aus Tiefgründigkeit und Leichtigkeit.

"Vielleicht sind es sogar ein bisschen viele Fragen, aber wir lernen ja auch noch", sagt Katrin Frische. Mit den 49 Euro, die die beiden Frauen pro Karte verlangt haben, werden sie noch nichts verdienen. Weder an diesem ersten Erzähl-Mahl noch am zweiten, das für den 30. September geplant ist. Das soll aber anders werden, wenn sie ihre vielen Ideen umsetzen können: Man könnte eine Art Club einrichten, eben wie bei "Dining Lab" oder auch eine Plattform ähnlich Airbnb, über die Privatpersonen eigene Erzähl-Mähler veranstalten würden.

Und vielleicht können sie irgendwann einmal sogar davon leben. Vom Geschichten-Erzählen-Lassen.

© SZ vom 01.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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