Karneval in München:Selbstdarsteller auf der Wiesn

Promialarm in den Zelten: Wer die Wiesn nicht zur hemmungslosen Selbstdarstellung nutzt, ist selbst schuld.

Christian Mayer

Es hat so seine Vorteile, prominent zu sein. Man wird von Leuten gegrüßt, die man gar nicht kennt, man erhält Einladungen zu Filmpremieren und Boutiqueneröffnungen und findet sich auf den hinteren Seiten einer Illustrierten wieder.

Karneval in München: Thomas Gottschalk auf der Wiesn.

Thomas Gottschalk auf der Wiesn.

(Foto: Foto: ddp)

Das Beste ist aber: Wer Gottschalk, Blanco oder Thurn und Taxis heißt, kriegt ohne mühselige Voranmeldung einen Platz bei den Bayreuther Festspielen - und im Wiesn-Zelt. Letzteres ist übrigens das weitaus angenehmere Privileg. Weil man als Klatschspalten-Persönlichkeit richtig aus der Rolle fallen darf.

Im vergangenen Jahr hatte der einst mächtigste deutsche Konzernchef in dieser Hinsicht einen fabelhaften Auftritt. Ex-Daimler-Boss Jürgen Schrempp zeigte an der Seite seiner Gattin Lydia Mut zum Stilbruch: Er erschien getreu dem Motto "big is beautiful" in einem sackförmigen Trachtenjanker, kombiniert mit einer kurzen Lederhose, ausgebeulten Timberland-Boots und heruntergerollten Socken.

Ein drolliger Anblick, zumal Schrempp noch ein Wiesnherz und ein buntes Halstuch über sein offenbar selbstbedrucktes T-Shirt geschnürt hatte. Die Boulevardpresse war völlig aus dem Häuschen, als der frühere Spitzenmanager wie ein australischer Tourist im Hippodrom einlief. So wie Schrempp halten es viele Promis, wenn sie das Oktoberfest besuchen. Man gibt sich lässig, volkstümlich, von allen Nadelstreifen und gesellschaftlichen Zwängen befreit.

Porsche-Chef Wendelin Wiedeking darf endlich mal sein Baumfällerhemd aus dem Schrank holen und wieder 16 sein. Verona Pooth präsentiert sich als üppiges Blumenmädchen mit bierdeckelgroßen Handtaschen. Hotelerbin Paris Hilton zieht als alpenländische Comic-Version im maßgeschneiderten Dirndl um die Zelte.

DJ Ötzi, verantwortlich für einige der größten Bierzelt-Heuler aller Zeiten, trägt sein weißes Strickkäppie zum geblümten Tapetensakko und ist damit fein raus. Münchens Oberbürgermeister Christian Ude sieht in seinem roten Wams so aus wie ein Dorfbürgermeister aus "Der Bulle von Tölz". Und die glorreichen Fußballmillionäre des FC Bayern wirken umso hirschlederner und rustikaler, je neuer und teurer sie sind. Mal sehen, ob Mittelfeldstar Franck Ribéry bald im Kini-Kostüm in der Käfer-Schenke erscheinen wird, so wie in der Werbung eines Sportartikelherstellers.

Muss man sich denn so anziehen? Ja, man muss, denn die Wiesn ist Karneval. Und wer den nicht zur hemmungslosen Selbstdarstellung nutzt, ist selbst schuld. Boris Becker, zweifellos auch trachtenmäßig ein Visionär, zählt zur Gruppe jener Bierzeltpromis, die ihre Einladungen wie kleine Staatsempfänge inszenieren.

Was man dazu braucht? Eine eigene Box, ausreichend Security-Leute, VIP-Bändchen, drei bis vier Kamerateams, die passenden Sponsoren und natürlich einen wohltätigen Zweck. Charity kommt immer gut, und auf dem Oktoberfest ist der Einsatz für die Unterprivilegierten inzwischen die einzig legale Form der Außenwerbung, seit Wiesnchefin Gabriele Weishäupl allen externen PR-Aktivitäten den Kampf angesagt hat. Also darf Boris Becker nur für sich und seine jeweilige Begleiterin werben, na ja, und vielleicht auch noch für die Zigarrenindustrie und seine Sportstiftung.

Alkoholbedingte Eskapaden sind an den VIP-Tischen seltener geworden, was auch an der strikten Dauerbewachung durch die Medien liegt. Man kann ja selbst als Seriendarsteller fast nicht mehr seine Maß in Ruhe trinken, ständig ist ein Typ mit seiner Kamera im Weg.

Selbstdarsteller auf der Wiesn

Aber es kommt noch schlimmer: Regine Sixt hat bereits angekündigt, dass ihre traditionelle Damen-Wiesn in diesem Jahr ausfällt - es wird also keine hopsenden Samba-Mädchen, keine entfesselte Mietwagen-Königin und keinen singenden Roberto Blanco mehr geben. Das ist mehr als schade, für die Klatschproduzenten sogar eine Tragödie.

Dennoch haben Fernsehproduzenten bereits angedroht, noch exzessiver über die Promi-Umtriebe in den Zelten zu berichten. Der Gaudi-Sender Sat 1 etwa schickt die unverwüstliche Eva Grünbauer ins Hippodrom. Von ihr wird Realsatire im Bierdunst der Halbprominenz erwartet, und das dürfte kein Problem sein. Vielleicht sorgt ja der Wiener Baulöwe Richard "Mörtel" Lugner für den erwünschten Kirmesrummel.

Der 74-Jährige will das größte Volksfest der Welt für seine eigene Fernsehshow nutzen, also für eine Reality-TV-Grusel-Melange, nachdem er zuvor auf Mallorca mit Jürgen Drews den Ballermann aufgemischt hat. Ob Mörtel auch mal eine Wiesnkapelle dirigieren darf? Die gestrenge Frau Weishäupl wird sicher darüber wachen, dass der Gast aus Wien nicht über die Strenge schlägt.

Auch der allen weltlichen Genüssen aufgeschlossene Albert II., Fürst von Monaco, liebt das Oktoberfest, und zwar so sehr, dass er sich seine eigene Kopie gezimmert hat. 2005 feierte Albert seine erste Wiesn in Monaco. Dabei ist sein Fürstentum ja kaum größer als die Theresienwiese. Und längst nicht so lustig.

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