Kandidaten für den Tassilo-Kulturpreis:Shakespeare und mehr

Anfang der Achtzigerjahre zog es die Schauspieler Margrit Carls und Andreas Seyferth von Hamburg nach Pasing - der guten Luft wegen. Dann gründeten die beiden dort in einer ehemaligen Haushaltswaren-Fabrik ihr "Theater Viel Lärm um Nichts"

Von Jutta Czeguhn

Sagt sie zu ihm: "Ich war noch nie so lange an einem Ort." Er: "Ich auch nicht und ich kenn' auch niemanden so lange wie dich." Sie: "Stimmt, mit allen anderen hast Du Dich verkracht". Ein bühnenreifer Dialog, den Margrit Carls und Andreas Seyferth sich über den Kopf ihres Besuchs da zuwerfen. Klingt nach Zünden von Eskalationsstufe eins in einem dieser Paarbeziehungsdramen von Edward Albee oder Yasmina Reza. Doch ist es wohl nur deren heitere Parodie, denn die beiden sitzen sehr entspannt im Zuschauerrang im "Theater Viel Lärm um Nichts", zu finden in der Pasinger Fabrik, vom Foyer aus links durch die Bar - nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand noch nicht dort gewesen sein sollte.

Seit 1986 hat das kleine Theater im Westtrakt der ehemaligen Ritterwerke sein Zuhause. "Im Westen was Neues" titelte im Mai 1986 die Münchner Presse euphorisch. Carls und Seyferth hatten damals mit Shakespeares Geschlechterkampfkomödie "Viel Lärm um Nichts" ihre erste Inszenierung hingelegt, in eigener Übersetzung und Fassung. Ein lautstarker Erfolg also, vom Kulturreferat gab es fortan die überlebenswichtigen Zuschüsse für die Bühne, die sich nach ihrem Premiere-Stück benannte. Frank Przybilla, heute Geschäftsführer der Pasinger Fabrik, nennt das Theater die "Urzelle" des Kulturzentrums, auch wenn es künstlerisch wie organisatorisch ganz unabhängig von der Fabrik arbeitet und weit über Pasing hinaus strahlt.

Pasinger Fabrik: Probe des neuen Stücks des Theaters Viel Lärm um Nichts, die Irre von Chaillot

"Theater ist für uns beide kein Beruf, es ist unser Leben", sagt Andreas Seyferth, der zusammen mit Margrit Carls in Pasing das Theater Viel Lärm um Nichts betreibt.

(Foto: Florian Peljak)

Wie viel Besessenheit für das Metier muss man besitzen, wie hoch muss der Verrücktheitsgrad sein, um eine freie Theaterinstitution durch mehr als 30 Jahre zu bringen, um alle Krisen erfolgreich zu durchtauchen? Andreas Seyferth, Jahrgang 1945, lächelt und räkelt sich entspannt im orangefarbenen Zuschauersitz. Besessene, sagt er, die gebe es auch unter Zahnärzten oder Rechtsanwälten. Für einen, der seine Existenz buchstäblich dem Theater verdankt, klingt das sehr undramatisch. Seine Eltern Tatjana Iwanow und Wilfried Seyferth lernten sich 1944 am Deutschen Theater in Berlin während der Produktion von Shakespeares "Wintermärchen" kennen, neun Monate später wurde er geboren. Der Vater, die Mutter und auch der Stiefvater, Gert Fröbe: alle Schauspieler, da entkommt man dem Theater nicht.

Andreas Seyferth erlernt das Handwerk an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule. Man sieht ihn an den Kammerspielen, später in so ziemlich jedem Krimi-Format, vom "Kommissar" über "Derrick" bis zum "Tatort". In Hamburg spielt er am Thalia Theater, fährt aber dort schon zweigleisig, zusammen mit seiner Partnerin Margrit Carls betreibt ein kleine Bühne, wo er selbst inszeniert. Margrit Carls, 1950 in Krefeld geboren, ist ein "Bergmensch". Also zieht es die beiden gen Süden, nach München. Sohn Nikolai, heute 32 und kein Schauspieler, sei schuld, dass sich die Theaterleute in Pasing ansiedelten, erzählt Seyferth: "Als Margrit schwanger war, wollte sie dorthin, wo die Luft in München am besten ist, hier gibt es Westwind." Weniger Smog, dafür ein Bildungsbürgertum, dem damals noch nicht sehr viel geboten ist. Ihr künftiges Publikum.

Mut, Zähigkeit und Lust

Name: Theater Viel Lärm um Nichts

Wer macht den Lärm? Margrit Carls und Andreas Seyferth - und über die Jahre viele, viele Schauspielerkolleginnen und -kollegen.

Erster Erfolg? Shakespeares "Viel Lärm um Nichts", im Mai 1986.

Hausautor? Shakespeare

Nur der? Das sind auch noch Homer, Euripides, Aristophanes, Schiller, Beaumarchais, Marivaux, Grillparzer, Strindberg, Tolstoi, Molière, Beckett, Jarry, Ionesco, Kusz, Schnitzler, Baricco, Kirchhoff, Andersen, Ostrowski, Hinkelbein, O'Casey, Giraudoux ...

Wo wird gespielt: In der Pasinger Fabrik.

Freies Theater heißt? "Die Dinge in die eigene Hand nehmen, heißt Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit, heißt ein Höchstmaß an Kreativität, Mut, Zähigkeit und Lust, heißt in unserm Fall, die Fähigkeit, sich mit Weltliteratur auseinanderzusetzen."

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Mit der eigenen Bühne in der Fabrik konnten und können Seyferth und Carls ihre Vorstellung von Theater leben. Sie spielen, sie inszenieren. Wichtig sei ihnen, "offen mit Schauspielern zu arbeiten", ohne die Hierarchien des institutionalisierten Theaterbetriebs, die beide von ihren Engagements an den großen Häusern kennen. Neben den Produktionen am Theater viel Lärm um Nichts haben sie weiter gedreht, synchronisiert, für den Funk gearbeitet, denn vom Geld, das man in der freien Szene verdient, konnte die Familie nicht leben. Heute, beide sind Rentner, der Sohn erwachsen, ist die Situation einfacher.

Shakespeare ist auf der kleinen Bühne, in der Kunst und Publikum immer auf Augenhöhe sind, bis heute der "Hausautor". Doch hat man sich im Lauf der Jahrzehnte ausdauernd, kreativ und stets mit hoher Qualität durch die Theaterliteratur gespielt. Neue Stoffe stammen oft von Margrit Carls, die aus dem täglichen Überlebenskampf eines kleinen Theaters einmal eine köstliche Revue verfasst hat, der Titel: "Fröhliches Scheitern!".

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