Kabul-Korrespondent Christoph Reuter:"Es gab nur einen einzigen Informanten"

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Die Recherchen von "Stern"-Redakteur Christoph Reuter zum Luftangriff bei Kundus haben große Aufmerksamkeit erregt. Nun werden die Ergebnisse in München ausgestellt.

Christina Maria Berr

Der Journalist Christoph Reuter, Redakteur des Sterns , ist der einzige deutsche Journalist, der dauerhaft in Afghanistan lebt und arbeitet. Seine Recherchen zum Luftangriff bei Kundus im September 2009, das von einem deutschen Offizier befohlen wurde, haben große Aufmerksamkeit erregt. Nun werden die Ergebnisse im Münchner Literaturhaus ausgestellt.

"Wenn ich in riskante Gegenden fahre, lasse ich meinen Bart wachsen", meint Christoph Reuter. Er ist der einzige deutsche Journalist, der in Kabul lebt und arbeitet. (Foto: ddp)

sueddeutsche.de: Am 4. September 2009 gab es ein Bombardement bei Kundus, das ein deutscher Soldat - Oberst Klein - befohlen hatte. Dabei starben 91 Menschen. Über mehrere Monate hinweg haben Sie diese exakte Zahl der Opfer recherchiert. Warum war Ihnen das so wichtig?

Christoph Reuter: Der Fotograf Marcel Mettensiefen und ich fanden, dass ein offizieller Nato-Untersuchungsbericht von mehreren hundert Seiten, der zwei Monate nach dem Angriff herauskam, diesbezüglich extrem unzureichend war. Er umfasst alle Details des Bombardements, enthielt aber lediglich eine völlig abstruse Angabe, dass es zwischen 17 und 142 Todesopfer gegeben habe.

Jenseits der Frage, ob jemand Talib war oder nicht, sollte doch gelten: Wenn man jemanden umbringen lässt, sollte man sich auch dafür interessieren, wen man da hat umbringen lassen.

sueddeutsche.de: Diese vagen Opferzahlen sind ja nichts ungewöhnliches in Nato-Berichten über Anschläge, oder?

Reuter: So ist es und es sollte wenigstens dieses eine Mal - quasi stellvertretend für alle Angriffe - eine exakte Opferzahl ermittelt werden. In diesem Fall war es uns ja auch überhaupt möglich, sinnvoll zu recherchieren. In Kundus konnten wir vor Ort die Menschen befragen. In Kandahar wäre die Gefahr einer Entführung viel zu hoch. Wir waren wochenlang vor Ort bei Dorfvorstehern, in Krankenhäusern, bei der Polizei und natürlich bei den Angehörigen der Opfer.

sueddeutsche.de: Und warum hat die Nato keine genaue Zahl angegeben? Wollte man da auch möglichen Entschädigungsforderungen entgehen?

Reuter: Vielleicht. In jedem Fall war es Unfähigkeit und Desinteresse. Desinteresse, weil etwas herauskommen könnte, was für die Bundeswehr peinlich sein könnte. Ein unzulässiges Desinteresse, wie ich meine.

sueddeutsche.de: Aber Ihre Liste von den 91 Toten hatte tatsächliche Folgen für die Angehörigen.

Reuter: Ja, die Liste war überhaupt erst der Anlass, über konkrete Entschädigungen nachzudenken. Schlussendlich hat jede Familie eines Opfers 5000 US-Dollar bekommen. Vorher hatte das Bundesverteidigungsministerium die ganze Angelegenheit monatelang einem Anwalt überlassen, von dem sich manche Opfer-Familien gar nicht vertreten lassen wollten.

Literaturhaus: Kunduz, 4. September 2009
:Bilder aus dem Krieg

Monatelang haben Christoph Reuter und Marcel Mettelsiefen recherchiert - und den Toten des Afghanistan-Anschlags im September 09 Gesichter gegeben. Nun sind die Fotos in einer Ausstellung zu sehen.

sueddeutsche.de: Sie zeigen jetzt im Münchner Literaturhaus die Opfer des Anschlags. Warum ist das heute, eineinhalb Jahre nach dem Anschlag, noch immer ein relevantes Thema?

Reuter: Es ist eine Momentaufnahme dieses Krieges. Die Bilder der Toten und Angehörigen können vermitteln, was es überhaupt heißt, in Afghanistan Krieg zu führen. Es erklärt, warum die Menschen mitten in der Nacht zu den Tanklastwagen gegangen sind, die bombadiert wurden. Und es ist das erste Mal seit 1945, dass ein deutscher Offizier einen Befehl zum Töten gab, obwohl er über die Opfer eigentlich sehr wenig wusste. Es gab nur einen einzigen Informanten für den deutschen Befehlshaber.

sueddeutsche.de: Sie sind der einzige deutsche Journalist, der dauerhaft in Afghanistan lebt und arbeitet. Sie müssen damit kämpfen, dass die Horrormeldungen aus Afghanistan deutsche Leser und Zuschauer nicht mehr besonders interessieren.

Reuter: Das Problem ist die Anonymität der Toten. Und dieser Konflikt ist eben von bundesdeutscher Wirklichkeit weit entfernt, er ist kompliziert und eine Lösung ist nicht in Aussicht. Deswegen muss man sich mehr Zeit für Recherchen nehmen - und die Menschen hinter den Zahlen aufleuchten lassen.

sueddeutsche.de: Wo geht denn Ihrer Meinung die Entwicklung des Landes hin?

Reuter: Die Regierung ist das schwächste Glied in der Kette. Sie ist unendlich korrupt - und wird das Land in Zukunft nicht regieren. Wenn die Truppen bleiben, geht der Krieg weiter, wie er jetzt stattfindet. Wenn die Truppen abziehen, dann wird das Land zerfallen und es wird wohl einen Bürgerkrieg geben. Insofern bleibt die Wahl zwischen Pest und Cholera - und dieser Konflikt schleppt sich jetzt ins zehnte Jahr, und das zu unglaublichen Kosten.

sueddeutsche.de: Und das frustriert nicht bei der täglichen Arbeit?

Reuter: Würde mich das allzu sehr frustrieren, hätte ich schon längst aufgegeben. Ich finde es aber richtig und wichtig , dass man überhaupt recherchiert. Und unsere Recherche über die Toten des Angriffs zum Beispiel hat ja durchaus Aufmerksamkeit erregt. Es geht also doch.

Literaturhaus: Kunduz, 4. September 2009
:Bilder aus dem Krieg

Monatelang haben Christoph Reuter und Marcel Mettelsiefen recherchiert - und den Toten des Afghanistan-Anschlags im September 09 Gesichter gegeben. Nun sind die Fotos in einer Ausstellung zu sehen.

sueddeutsche.de: Bei all dieser Recherche - selbst im relativ sicheren Kundus - bleibt dennoch die ständige Gefahr entführt zu werden. Wie gehen Sie damit um?

Reuter: Ich habe keine konstante Grundangst. Sollte sich die einstellen, würde ich das Land verlassen. Aber es gibt natürlich eine besondere Vorsicht. Man überlegt sich bei jeder Tour, ob sie das wert ist. Wenn etwas zu unkalkulierbar ist, etwa, weil ich den Leuten nicht traue, die mich dahin bringen wollen, wenn es zu viele Straßensperren gibt, dann fahre ich nicht hin. Das bedeutet auch, dass ich in weite Teile des Landes nicht fahren kann, sondern lediglich afghanische Kollegen hinschicke.

sueddeutsche.de: Gab es denn in den zwei Jahren, in denen sie in Kabul leben, je eine wirklich brenzlige Situation?

Reuter: In Afghanistan nicht, im Irak aber sehr wohl. Da gab es 2004 etwa die Situation, dass wir Aufständischen in die Arme fuhren. Es war unser Glück, dass ich am Steuer saß und mein irakischer Begleiter auf dem Beifahrersitz. Ausländer sitzen aber immer auf dem Beifahrersitz oder hinten. Daher haben die sich gar nicht für mich interessiert, sondern nur für den Beifahrer.

sueddeutsche.de: Und die Aufständischen haben Ihnen nicht angesehen, dass Sie aus dem Ausland kommen?

Reuter: Wenn ich einen Dreiwochenbart habe und die landesübliche Kleidung trage, sehe ich nicht sehr ausländisch aus. Wenn ich weiß, ich fahre in riskante Gegenden, lasse ich meinen Bart wachsen. Außerdem spreche ich ja Arabisch. Das hilft natürlich auch.

Christoph Reuter, Marcel Mettensiefen: Kunduz, 4. September 2009. Eine Spurensuche. Verlag Rogner & Bernhard.

Eine gleichnamige Ausstellung startet am 2. Febuar im Literaturhaus. Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Eintritt frei. (bis 20. Februar)

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