Jugendgewalt::Unter schweren Jungs

"Wenn er spinnt, muss man ihn in Ruhe lassen": Wie ein Münchner Intensivtäter versucht, seinem Leben eine Wendung zu geben.

Susi Wimmer

Ein gewinnendes Lächeln hat David auf alle Fälle. Die braunen Augen strahlen, die Gesichtszüge werden ganz weich, fast wirkt der schmächtige junge Mann schutzbedürftig. Seine Freundin lacht ihn von der Seite an und sagt, dass man gut mit ihm reden könne und er ein ganz Lieber sei. Nur, wenn er spinnt, "da muss man ihn in Ruhe lassen".

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(Foto: Foto: Susi Wimmer)

Wenn David "spinnt", dann pumpt das Adrenalin wie wild durch seinen Körper. Er kann nicht mehr sagen, was um ihn herum geschieht. Er sieht nur noch das Gesicht seines Kontrahenten vor sich, weiß, dass er jetzt ganz schnell zuschlagen muss, und zwar "auf die Stellen".

David ist 21 Jahre alt, Intensivtäter, ein brutaler Schläger und Diakon Jörg-Simon Löblein seine letzte Chance: Wenn David das Anti-Aggressivitäts-Training (AAT) in der Evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Feldkirchen vermasselt, wandert er in den Knast.

Wer am Dienstagabend ins Kinderheim der Inneren Mission München kommt, wurde zu einer Bewährungsstrafe mit Auflagen verurteilt. Und eine Auflage ist das Anti-Aggressivitäts-Training. "Da sind Jugendliche dabei, die haben schon etliche Leute krankenhausreif geschlagen", erzählt Löblein.

Jugendliche, die bereits im Knast waren, Alkohol und Drogen zur Genüge kennen und nicht wissen, wie sie ihre Aggressionen im Zaum halten können. Schwere Jungs, "die abgestumpft sind dem Opfer gegenüber", die keine Empathie und keine Werte kennen, ich-zentriert sind. Für die Gewalt zur Sucht wurde, die sich durch Prügeln "aufladen, wie an einer Tankstelle". Jugendliche, die in der Kindheit meist selbst brutale Gewalt erfahren haben.

Davids Mutter war mit 17 Jahren schwanger. Als er gerade mal ein Jahr alt war, verschwand sein Vater hinter Gittern. Der nächste Lebensgefährte der Mutter blieb ein paar Jahre, dann ging er wieder. Sie zog ständig um, war mit David überfordert und gab ihn schließlich zu den Großeltern in einen Münchner Vorort. In der Nachbarschaft lag ein Heim für schwer erziehbare Kinder.

Mit denen spielte David Fußball, irgendwann trafen sie sich täglich und "so mit elf Jahren" fingen sie an "Scheiß zu bauen". Fenster einwerfen, in Häuser einsteigen, Autos beschädigen: "Immer, wenn es Stress in der Schule oder zu Hause gab, musste ich was kaputt machen."Es ging weiter mit Saufen, Rauchen, dann Kiffen, Drogen, "bis auf Heroin so ziemlich alles".

Auf Drogen, sagt er, werde er "müde und faul". Und er könne besser schlafen. Durchschlafen. Ohne die Alpträume vom Sterben. Irgendetwas gärt in ihm. "Ich kann mir schon denken, dass es mit meinen Eltern zusammenhängt", meint er. "Aber ich will es nicht wissen."

Mit 17 wird David selbst Vater, die Freundin ist 16. Er schmeißt seine Lehre hin, will für Frau und Kind da sein und hat kein Geld. So startet er seine Karriere als Drogendealer. Er klaut das Auto seiner Großeltern, liefert sich mit der Polizei eine Verfolgungsjagd und zahlt noch heute die Schäden, die er dabei verursacht hat, ab. 27 000 Euro Schulden: "Ich zahl 200 Euro im Monat zurück, das sind aber nur die Zinsen.

Unter schweren Jungs

Davids Händedruck ist leicht, er lächelt kurz und wendet sich gleich wieder ab. Nacheinander trudeln sie alle ein. Sebastian, ein junger Mann wie ein Bär, dichte Wimpern, Plüschaugen wie ein Teddy. Markus, groß, schlaksig, mit blonder Schweinsteiger-Haarborste, meist stiert er den Boden an oder in die Leere des Raums. Timur aus der Mongolei, klein und hippelig.

Artig bilden zehn junge Männer im Alter von 17 bis 22 Jahren einen Stuhlkreis, ein Sitz bleibt leer. Löblein und Erzieherin Alexandra Repert wechseln einen kurzen Blick. "Weiß jemand was von Erdan?", fragt Löblein. "Eh, der hat 'nen Termin bei der Polizei und kommt nicht. Er sagt, es ist ihm wurscht", erklärt einer. "Der ist wohl noch nicht aufgewacht", sagt Löblein.

"Nein, ist er nicht", sagt sein Spezl. "Das wird ein deutliches Nachspiel für ihn haben", meint Löblein. Über neun Monate wird dieses Training gehen, wer viermal fehlt oder sich nicht auf das Training einlässt, fliegt raus. Und wer raus ist, "passiert ein", in den Knast.

Beim Schlagwort "Kuschelpädagogik" winkt Löblein ab. "Wir zeigen den Jugendlichen Grenzen, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Wir bieten ihnen Respekt an, aber wir verlangen brutal viel von ihnen." Das sei wichtig, "weil die Jugendlichen selbst keine Gnade kennen". Wer krank ist, muss auch mit 40 Grad Fieber antanzen. "Ey, krass", sagen sie dann. Und Löblein: "Auf der Straße seid ihr doch viel härter."

Eigentlich wollen sie gar nicht. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie mit Gewalt Erfolg haben. Jetzt müssen sie fühlen lernen. Fühlen, dass sie sich schuldig gemacht haben. "Opferleid einmassieren", nennt es Löblein. Da kommen Rettungsassistenten in die Gruppe und erzählen, wie es ihnen geht, wenn sie ein Gewaltopfer versorgen. Sie zeigen Fotos von blutenden und zerschundenen Opfern. Davon haben die Täter keinen blassen Schimmer. Löblein: "Die denken, das ist wie im Comic: Ich hau dem eine rein, und dann steht er wieder auf."

David: "Bevor ich was abkrieg', hab ich schon längst zugeschlagen." Erleichterung empfand er nach Gewaltausbrüchen. Entschuldigt hat er sich noch nie bei einem Opfer. "Doch, einmal", fällt ihm ein. Da hatte er auf einem Volksfest einem Typen das Nasenbein und den Kiefer gebrochen. "Aber es war der falsche Mann, der hatte mich gar nicht provoziert. Das hat mir leid getan."

Jugendgewalt ist ein Thema, das seit dem brutalen Überfall auf einen Pensionär in der Münchner U-Bahn kurz vor Weihnachten bundesweit für Schlagzeilen sorgte. All die Strafverschärfungen hält Löblein für wenig hilfreich. Er verweist auf den Konstanzer Kriminologen Professor Wolfgang Heinz, der Hunderter von Kollegen eine Resolution verabschiedet hat.

Je härter die Sanktionen, heißt es darin, insbesondere bei Freiheitsentzug, desto höher die Rückfallrate. "Ein Heranwachsender im Erwachsenenknast bekommt die volle Härte ab, wird dort vielleicht missbraucht, und wenn er herauskommt, ist er noch schlimmer drauf", sagt Löblein. Während und auch nach dem Training werden die Jugendlichen nur selten wieder auffällig. Löblein: "Und hat nicht jeder eine zweite Chance verdient?"

Unter schweren Jungs

David ist Deutscher, wie zwei Drittel von Löbleins Klientel. Migranten hauptsächlich für die Jugendgewalt verantwortlich zu machen, sei "so herrlich plakativ und einfach." Der gemeinsame Nenner der Intensivtäter sei ein anderer: "Sie kommen aus einem Milieu, das ähnlich schlecht funktioniert." Kein soziales Netzwerk, kaputte Teilfamilien, "sie schotten sich ab und werden abgeschottet".

Gewalt sei oft ein Randgruppenproblem. Bei Löbleins Jugendlichen kommt hinzu, dass sie keine Grenzen kennen, keine berufliche Perspektive und kein Urvertrauen aufgebaut haben. "Meine Jungs hatten nie pädagogische Hilfe. Die sind 20 Jahre alt und erzählen Geschichten, da graut es mir richtig."

Neun Monate Hat David in Bernau eingesessen: gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. "Es war wie zu Hause: Ich hatte nichts zu tun und hab mir die Birne zugekifft." Schlägereien waren an der Tagesordnung. "Und wenn dich ein Wärter auf die Verletzungen angesprochen hat, dann hast du halt gesagt, dass du in der Dusche ausgerutscht bist." Als er aus dem Knast entlassen wird, hat er 20 Telefonnummern von Drogendealern in der Tasche - und draußen nichts. Keinen Job, keine Freundin mehr. Ende.

Beleidigung, Respektlosigkeit, Rache, verletzter Stolz. Die Wörter fliegen beim AAT durch den Raum. "Hey, wenn einer mein Mädchen anmacht oder mich schräg anguckt, der will es doch nicht anders", wirft einer ein. "Keine Rechtfertigungen", fährt Löblein dazwischen: "Ich werde auch gelinkt und schlag nicht zu." Für Gewalt gebe es keine Entschuldigung. Die Jungen starren ihn an. "Das mit der Rache werd ich nie verlieren", widerspricht der dunkelhäutige Achmed. "Am Ende verlierst du nicht, sondern gewinnst Selbstachtung", kontert Löblein.

Und nun? Klettern im Hochseilgarten, Rollenspiele, herausfinden, wo ihr "Schalter" ist, der in ihnen das brutale Verhalten anknipst. Der "heiße Stuhl" steht ihnen bevor. Das heißt, einer sitzt in der Mitte, der Rest der Gruppe provoziert ihn. "Die Jungs sind da in ihrem Urteil viel härter als wir", sagt Löblein. Sie sind die besseren Trainer, sie kennen die Rechtfertigungsstrategien, wissen, wie sie den auf dem Stuhl "knacken" können. Jetzt müssen sie ihre Träume, ihre Biographie und ihr Gewaltpotenzial offenlegen, die Mauern einreißen. "Das macht mir Angst", sagt Mirco spontan.

David meldet sich einmal die Woche bei der Polizei und beim Bewährungshelfer, geht ins AAT und versucht, "dem Stress aus dem Weg zu gehen". Sprich: Er meidet Alkohol, geht fast nicht mehr in die Disco, hat seine Freundin und einen Job, bei dem er morgens um 6 Uhr auf der Matte stehen muss. Etwa 40 Anzeigen hat er seit seinem 14. Lebensjahr angesammelt: "Aber jetzt ist Schluss."

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