Jugendgewalt: Tod in München:"Entsetzliche Qualität von Gewalt"

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Nach den tödlichen Schlägen gegen einen 50-Jährigen in Solln werden weitere Details bekannt: 22 Verletzungen fügten die jugendlichen Schläger ihm in blinder Wut zu. Mit der Gruppe stiegen 15 Menschen aus der S-Bahn. Experten fürchten jetzt um die Zivilcourage der Deutschen - und warnen.

Sarina Pfauth

Die mutmaßlichen Täter sagen nichts. Auf Anraten ihrer Anwälte schweigen die beiden Jugendlichen, die am Samstag einen 50-jährigen Geschäftsmann totgeprügelt haben sollen.

Die Vorwürfe gegen die beiden jungen Männer, 17 und 18 Jahre alt, wiegen schwer: Das vorläufige Obduktionsergebnis hat ergeben, dass das Opfer 22 Verletzungen an Kopf und Oberkörper davontrug, "die auf Einwirkung stumpfer Gewalt zurückzuführen sind", wie es Staatsanwalt Laurent Lafleur am Vormittag bei einer Pressekonferenz der Polizei formuliert. Die Kinder, die den Übergriff mitansehen mussten, erzählten der Polizei, dass die Täter das Opfer mit Füßen traten. Den beiden Schlägern wird Mord vorgeworfen.

Zeugin dringend gesucht

Woran der 50-Jährige genau starb, ist noch unbekannt. Auch die Ursache einer Verletzung am Hinterkopf muss noch geklärt werden - eventuell stürzte das Opfer während der Attacke auf ein Gitter.

Langsam fügen sich die einzelnen Zeugenaussagen zu einem einheitlichen Bild. Bei der Pressekonferenz hat die Münchner Polizei nun weitere Details zum Tathergang bekanntgegeben.

So soll eine etwa 60-jährige Frau an der Donnersbergerbrücke schon vor dem Geschäftsmann versucht haben, die Auseinandersetzung zwischen den Schülern und den mutmaßlichen Tätern zu schlichten. Diese Zeugin wird von der Polizei nun dringend gesucht.

An dem S-Bahnhof hatten die zwei mutmaßlichen Täter und ein dritter Jugendlicher, der inzwischen ebenfalls festgenommen wurde, versucht, von vier Kindern im Alter zwischen 13 und 15 Jahren Geld zu erpressen - es ging um 15 Euro. Nachdem die Teenager nicht zahlen wollten, wurde einer der drei, ein 17-Jähriger, handgreiflich: Er selbst beteuert, mit der flachen Hand zugeschlagen zu haben, die Polizei geht von einem Faustschlag aus.

Haftbefehl gegen dritten Beteiligten

Die Gruppe stieg gegen 16:05 Uhr zusammen in die S-Bahn nach Solln ein - nur der 17-Jährige, der an der Donnersbergerbrücke als Hauptaggressor auftrat, blieb am Bahnsteig zurück. Er forderte seine Kumpels aber dazu auf, weiterzumachen.

Im Zug sprachen die beiden Erpresser erneut über Geldforderungen. Ihr späteres Opfer, der 50-jährige Geschäftsmann, sah die Not der Teenager und versuchte zu schlichten - verbal. Den Kindern bot er an, mit ihnen gemeinsam am S-Bahnhof Solln auszusteigen.

Er tippte daraufhin die 110 ins Handy und meldete der Polizei, dass er etwas von einem geplanten Raub mitbekommen habe und die S-Bahn mit der Gruppe in Solln verlassen werde. Aus Sicht der Ermittler hatte das spätere Opfer zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Gefühl, bedroht zu sein.

Was dann geschah, dauerte nur wenige Minuten: Gegen 16:10 Uhr verließen die Teenager mit den beiden Jugendlichen und dem Geschäftsmann die S-Bahn. Mit ihnen stiegen etwa 15 Leute aus - ob diese Zeugen dann nur die verbale Auseinandersetzung oder auch die tödlichen Schläge mitbekamen, weiß die Polizei noch nicht.

Zwar haben sich schon einige Zeugen gemeldet, die Vernehmungen stehen aber noch bevor. Klar ist, dass vom Bahnsteig mehrere Notrufe bei der Polizei eingingen.

Der Geschäftsmann stand zunächst zwischen den beiden Jugendlichen und den eingeschüchterten Kindern. Er soll ruhig und besonnen mit ihnen geredet haben. Dann griffen die beiden jungen Männer plötzlich an: Ob die Täter zunächst auf die Kinder losgegangen waren, ist noch nicht klar.

Einen ersten Angriff konnte der Geschäftsmann jedenfalls abwehren, doch dann prügelten ihn die beiden Täter in blinder Wut nieder. Die vier Kinder versuchten noch, einen der beiden davon abzuhalten und riefen, die Schläger sollten aufhören - vergeblich. "Das hat die Täter nicht abgehalten", sagte Kriminaloberrat Markus Kraus von der Morddienststelle. Die Teenager mussten die Tat hilflos mit ansehen.

Nur Minuten später, etwa um 16:15 Uhr, traf die Polizei am Bahnsteig ein - zehn Minuten nach dem Notruf aus der S-Bahn. Die Beamten sahen die Täter noch davonlaufen, der Mann lag schwer verletzt am Boden. Für ihn kam die Hilfe zu spät, er stirbt am Abend in einer Klinik.

Die Ermittler bitten nun weitere Passanten, die den Vorfall an der Donnersbergerbrücke beobachtet haben, die mit der Gruppe im S-Bahn-Waggon saßen oder in Solln etwas von der Tat mitbekamen, darum, sich bei der Polizei zu melden - insbesondere die Frau, die versucht hat, die Auseinandersetzung an der Donnersbergerbrücke zu schlichten.

Der Bund der Kriminalbeamten fürchtet nach der Prügelattacke um die Zivilcourage der Deutschen. Der Bundesvorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter sagte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa: "Zu sagen, das ist das Ende der Zivilcourage, hat einen unglaublichen Unterton, aber da ist was dran." Er sei schockiert von der Tat: "Diese Einzelfälle zeigen doch, dass wir es mit entgrenzter Gewalt zu tun haben, mit einer Ent-Menschlichung. Die Qualität der Gewalt ist eine entsetzliche geworden."

Dass Vorsichtige noch vorsichtiger werden, könne nach einer solchen Tat kein Vorwurf sein. Wer sich nicht selbst in Gefahr begeben wolle, kann aber dem BDK-Vorsitzenden zufolge den Notruf 110 wählen oder sich Details merken, um bei einer Täterbeschreibung oder Fahndung zu helfen.

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