Jugendarrest Stadelheim:"Mich sehen die hier nicht mehr so schnell wieder"

Schule schwänzen, Diebstahl, Körperverletzung: 60 Jungen und Mädchen sitzen im Jugendarrest Stadelheim. Hier sollen sie zur Selbstbesinnung gezwungen werden. Doch mehr als die Hälfte wird danach wieder straffällig. Ein Besuch hinter den Mauern.

Von Carolina Torres

Sebastian (alle Namen der Insassen wurden von der Redaktion geändert) sitzt zum ersten Mal ein. In einem weiß-grün gestreiften Polo-Hemd und Flip Flops fegt der 20-Jährige die Küche, er ist zum Hausdienst eingeteilt. Warum er hier ist? Er senkt den Blick zum Boden. "Körperverletzung", sagt er knapp. Dann erzählt er von seinen Plänen: Er will mit seiner Freundin an den Bodensee ziehen und sich als Hotelfachmann Arbeit suchen. Nebenher will er ein Fernstudium zum Wirtschaftsfachwirt beginnen und dann vielleicht gleich noch einen Betriebswirt draufsetzen. "Aber eins nach dem anderen", ermahnt er sich selbst.

Zwischen zwei Tage und vier Wochen sitzen die insgesamt 60 Jungen und Mädchen in der Jugendarrestanstalt Stadelheim ein, die meisten in Einzelzellen, einige wenige in Doppelzellen. Die Jugendlichen sollen in den neun Quadratmeter großen Zellen mit vergitterten Fenstern zur Selbstbesinnung gezwungen werden. Ihre Vergehen reichen von nicht abgeleisteten Sozialstunden und notorischem Schule schwänzen bis zu Raub, Diebstahl und Körperverletzung. Im Jugendarrest sollen sie über ihre Vergehen und deren Folgen nachdenken. Wer die Regeln der Anstalt missachtet, wird von Gruppenaktivitäten aus- und in die Zelle eingeschlossen. Wer sich "anständig aufführt", wie es in der Hausordnung heißt, wird mit Zeit außerhalb der Zelle belohnt.

Jeden Morgen um 6.30 Uhr dreht sich der Schlüssel im Schloss. Wer Frühstück möchte, tritt an die Tür, wer keines möchte sagt "Nein danke". Von acht bis neun Uhr dürfen die Jugendlichen in den Hof, frische Luft schnappen, sich bewegen. Ist das Bett nicht ordentlich gemacht oder einer der Insassen nicht fertig angezogen, fällt die Tür wieder zu. Zum letzten Mal an diesem Tag.

"Hilfe zur Selbsthilfe", nennt JVA-Leiter Michael Stumpf das Konzept. Gemeinsam mit den Jugendlichen versuchen Sozialpädagogen und Mitarbeiter die Probleme, die die Jugendlichen in den Arrest gebracht haben, zu analysieren und Hilfestellungen zu geben, damit sie in Zukunft nicht mehr in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Ein strenger Tagesablauf, Gruppenaktivitäten, Beratungsgespräche, etwa zu Drogen oder Berufschancen, oder Sport gehören zum Arrest-Alltag. Doch für die 60 Insassen sind lediglich zwei Sozialpädagogen zuständig. Ohne ehrenamtliche Helfer könnte das Programm nicht gestemmt werden, oft müssen Kollegen des benachbarten Frauengefängnisses aushelfen. Eine individuelle Betreuung der Jugendlichen ist in Stadelheim nicht möglich.

"Ich habe es mir schlimmer vorgestellt"

"DA 3 Wochen" steht neben einer schweren Zellentür. Dauerarrest wegen Einbruch. In der Zelle sitzt Nico an einem kleinen Holztisch und hat die Hände in den Schoß gelegt. Ein untersetzter junger Mann, 18 Jahre alt. Aus seinem weißen Muskelshirt kräuselt sich das schwarze Brusthaar, an jedem Ohr trägt er einen blinkenden Ohrstecker. Ein Bild von seinem Sohn klebt über dem Bett, im Februar ist er auf die Welt gekommen. Immer wieder fährt Nico mit der Hand über seine dunklen Haare und den stoppeligen Bart, er spricht leise: "Ich habe es mir schlimmer vorgestellt", sagt er. Wiederkommen will er trotzdem nicht. Wenn er seine drei Wochen abgesessen hat, will er sich nichts mehr zu Schulden kommen lassen und sich um seinen Sohn kümmern. "Mich sehen die hier nicht mehr so schnell wieder."

Man wünscht ihm, dass er seinen Vorsatz wahr macht. Doch die Zahlen sind ernüchternd: Etwa 70 Prozent der Jugendlichen werden nach ihrer Entlassung wieder straffällig, sagt Jugendrichter Christian Gassner vom Amtsgericht München. Nie wieder Mist bauen, den Schulabschluss nachholen, das nehmen sie sich vor. Die Realität zeigt aber, dass ein Großteil der ehemaligen Insassen diese Ziele auf Anhieb trotzdem nicht erreicht.

Trotz der hohen Rückfallquote sind viele Jugendliche, wenn sie das Gefängnis verlassen, optimistisch und motiviert. Getrieben werden sie wohl vor allem vom dem Wunsch, nie wieder an diesen Ort zurückzukehren, diesem großen grauen Haus mit seinen weißen, sterilen Gängen und den schweren Türen, die sich nur schleichend öffnen. Wer in die Jugendarrestanstalt Stadelheim kommt, merkt: die Lage ist ernst.

Zurück in ihren chaotischen Alltag

Viele der Jugendlichen hatten schon vor ihrer Straftat Kontakt mit dem Jugendamt, andere waren im Heim, erzählt Jugendrichter Gassner. Oft seien ihre Eltern überfordert und könnten sich nicht um ihre Kinder kümmern. Nach ein paar Wochen im Arrest kehren sie in ihren chaotischen Alltag zurück. Einige vergessen dann ihre guten Vorsätze. Um "ausreichend erzieherisch auf die Jugendlichen einwirken zu können", wie Richter Gassner es formuliert, fehle es an Geld und Personal.

Robin ist das schon zweimal passiert. Mit 23 Jahren ist er einer der ältesten im Jugendarrest. Diebstahl und schwerer Einbruch waren seine ersten beiden Vergehen, diesmal hat er nicht alle Sozialstunden abgeleistet. "Mir hätten nur noch 25 gefehlt", sagt er und schüttelt über sich selbst den Kopf. Jetzt sitzt er zwei Wochen in der Zelle.

Draußen warten seine Freundin und sein sechs Monate alter Sohn auf ihn. Eigentlich hätte er eine Zeitverlängerung erbitten können, um die Sozialstunden abzuleisten. Warum er es nicht getan hat, er weiß es selbst nicht.

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