Jugendarrest in Stadelheim:"Wir können sie in vier Wochen nicht resozialisieren"

Jugendarrest

Der Jugendarrest ist die schärfste Sanktion vor einer halbjährigen Haftstrafe für Jugendliche.

(Foto: dpa)

Jugendarrest ist die schärfste Sanktion, die Jugendrichter wie Christian Gassner vor einer Jugendstrafe erteilen können. Doch die Rückfallquote der jungen Straffälligen liegt bei 70 Prozent.

Von Thomas Schmidt

Geraten Minderjährige in Konflikt mit dem Gesetz, können Gerichte einen Jugendarrest verhängen. Er ist die schärfste Sanktion vor einer Jugendstrafe, die mindestens ein halbes Jahr beträgt. Der Arrest hingegen endet spätestens nach vier Wochen. In München ist Christian Gassner als Jugendrichter und Vollzugsleiter für die Arrestanstalt zuständig.

SZ: Ist der Jugendarrest ein letzter Warnschuss, bevor es richtig ernst wird?

Christian Gassner: Ich würde eher sagen, ein Warnsignal. Der Jugendarrest ist laut Gesetz keine Strafe, sondern ein Zuchtmittel. Ein Jugendgericht kann entscheiden: Die Voraussetzungen für eine Haftstrafe sind noch nicht erfüllt, aber du sollst jetzt mal spüren, wo es hingehen könnte, wenn du dich nicht besserst. Der Arrest ist eine Motivationshilfe.

Das ist doch ein Euphemismus, natürlich geht es um Strafe, oder etwa nicht?

Das Ziel ist, die Jugendlichen zu motivieren, über sich selbst und ihr Handeln nachzudenken. Das Gericht kann beispielsweise mit Arrest drohen, wenn der Jugendliche die verhängten Sozialstunden nicht antritt. Wenn ihn diese Aussicht dann zum Umdenken bewegt, ist das Ziel erreicht. Dann hat er ja wirklich motiviert.

Wegen welcher Vergehen landen die Heranwachsenden im Arrest?

Das fängt bei notorischen Schulschwänzern an, die weder Bußgeld bezahlt, noch Arbeitsstunden geleistet haben - das sind gar nicht wenige bei uns - und geht bis zu Diebstahl, Drogendelikten, Körperverletzung ...

Die richtig schweren Jungs kommen nicht zu Ihnen, sondern gleich ins Gefängnis?

Wir haben keine Mörder oder Totschläger, keine Dealer, die kiloweise mit Drogen handeln, nichts, was in den Überschriften der Boulevardpresse steht. Aber wir haben zum Beispiel Raubdelikte. Wenn auf dem Schulhof einer sagt: "Gib mir 'ne Kippe oder du kriegst a Fotzn!", dann ist das eine räuberische Erpressung.

Jugendarrest - das klingt noch halbwegs harmlos. Dabei geht es um einen richtigen Freiheitsentzug.

Der Bau sieht aus wie ein Gefängnis. Und die Tür zu den Einzelhafträumen wird von außen zugesperrt. Von 16 Uhr an bis zum nächsten Morgen um halb sieben sitzen sie allein in ihrer Zelle. Und wenn die Jugendlichen - aus welchen Gründen auch immer - nicht zu Gruppenmaßnahmen eingeteilt werden können, kann es gut sein, dass sie mehr als 20 Stunden am Tag eingesperrt bleiben. Am Wochenende sind es auch mal 22 Stunden. Zeit zum Nachdenken ist ein Teil unseres pädagogischen Konzeptes.

Klingt nach ziemlich simpler Pädagogik.

So simpel ist es nicht. Bei uns gibt es vier Säulen. Erstens: Zeit zum Nachdenken. Zweitens: Wir bieten einen geregelten Alltag, feste Weckzeiten, regelmäßige Essenszeiten - nicht jeder kennt das von zu Hause. Wir regen die Jugendlichen an, Sport zu treiben, sie können in einer kleinen Werkstatt basteln. Drittens: Verschiedenste Gruppenmaßnahmen wie das Lese-Projekt Kontext. Und viertens: Einzelgespräche mit Pädagogen.

Wie viele Sozialpädagogen haben Sie?

Anderthalb Stellen.

Für 60 Jugendliche?

Wir sind nie voll bis unters Dach, im Durchschnitt haben wir eine Belegung von 24 männlichen und sechs weiblichen Arrestanten. An Wochenenden und in den Ferienzeiten können es auch mal 45 sein.

Anderthalb Pädagogen für 30 bis 45 Jugendliche. Ist das ausreichend?

Nein.

Wie viele Jugendliche, die im Arrest saßen, werden später erneut straffällig?

Nach einer älteren Studie etwa 70 Prozent.

Angesichts dieser Rückfallquote drängt sich die Frage auf, ob 20 Stunden täglich zum Nachdenken allein in einer Zelle wirklich hilft.

Die Frage stellen wir uns natürlich auch. Ich sperre schon um 16 Uhr zu, weil es einfach nicht genug Beamte gibt. Es wäre einen Versuch wert, den Arrest personell und finanziell besser zu unterfüttern, um noch intensiver mit den Jugendlichen arbeiten zu können. Ich kann nicht garantieren, dass sich die Rückfallquote dann bessert, aber wir hätten schon die eine oder andere Idee, was man noch machen könnte. Man darf die Erwartungen an den Arrest aber auch nicht überhöhen. In der kurzen Zeit, die uns zur Verfügung steht, sind wir froh, wenn wir den Jugendlichen ihre Probleme bewusst machen können. Und wir erklären ihnen, wo sie sich anschließend Hilfe holen können. Aber wir können sie in vier Wochen nicht resozialisieren.

Was sagen die Jugendlichen bei ihrem Abschlussgespräch, wenn sie ihre "Motivationshilfe" abgesessen haben?

Weit über 90 Prozent von denen, die erstmals einen längeren Arrest verbüßt haben, sagen zu mir, dass sie es sich schlimmer vorgestellt, aber nun kapiert hätten, um was es geht.

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