Jugendamt:Ist ein Flüchtling minderjährig? Im Zweifel röntgen

Röntgenbild einer jugendlichen Hand

Der Handwurzelknochen verrät näherungsweise das Alter.

(Foto: Felix Kästle / dpa)
  • Für den Lebensweg von jungen Flüchtlingen in Deutschland ist es entscheidend, ob sie als minderjährig oder als volljährig gelten.
  • Da die meisten ohne Papiere ankommen, ist die Ermittlung des Alters schwierig. Künftig muss das Jugendamt im Zweifelsfall auch röntgen lassen.
  • Das Jugendamt lehnt das ab, ist aber nach einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs dazu verpflichtet.

Von Sven Loerzer

Junge Flüchtlinge, die ohne Eltern einreisen, haben meist auch keine Ausweispapiere. Um ihr Alter festzustellen, muss das Jugendamt nach neuer Rechtsprechung im Zweifelsfall auch auf eine Röntgenuntersuchung der Handwurzelknochen zurückgreifen.

Das medizinisch nicht notwendige und wegen der Strahlenbelastung umstrittene Verfahren hatte das Münchner Jugendamt bisher gänzlich abgelehnt, zumal es, wie das pädagogische Gespräch zur Einschätzung auch, nur einen Näherungswert für das Alter liefert.

Das Alter hat entscheidende Bedeutung für den weiteren Lebensweg: Volljährige kommen in eine Gemeinschaftsunterkunft, nur Minderjährige haben Anspruch auf die umfassenden Leistungen der Jugendhilfe, die für eine angemessene Unterbringung und Betreuung sorgt und Erziehung und Ausbildung gewährleistet.

Nach jüngster Rechtsprechung muss das Münchner Jugendamt nun seine Verwaltungspraxis ändern und damit die gleichen Konsequenzen ziehen wie etwa Hamburg oder der Landkreis Dachau. Einer jungen Frau aus Somalia, die das Jugendamt nach seiner Alterseinschätzung für volljährig hielt, hatte es deshalb den Anspruch auf Jugendhilfe versagt. Auf deren Klage hin hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) entschieden (Az: 12 CE 16.1570), dass gegebenenfalls auch eine Röntgenuntersuchung der Hand und der Schlüsselbeine durchgeführt werden muss.

Das Jugendamt hält radiologische Untersuchungen ohne medizinische Indikation für einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte der Betroffenen. Die Behörde berief sich dabei auf die Röntgenverordnung des Bundes, wonach die Anwendung von Röntgenstrahlung an Menschen nur zulässig ist, wenn dafür eine medizinische Indikation vorliegt.

Das Jugendamt hält die Röntgenuntersuchung für wenig hilfreich

Die Stadt verfolgte deshalb einen eigenen Weg: Drei erfahrene Fachkräfte übernehmen die Aufgabe der Einschätzung zusammen, sie teilen sich dabei Gesprächsführung mit dem jungen Flüchtling, Protokoll und Beobachtung. Die Bewertung und Entscheidung zur Altersfestsetzung erfolge "auf der Basis des äußeren Erscheinungsbildes, des Verhaltens und der Angaben der befragten Person", erklärt Sozialreferentin Dorothee Schiwy. Nur dann, wenn das alles keinen Schluss auf Minder- oder Volljährigkeit erlaube, sei ein Zweifelsfall angenommen worden.

So sei "nur selten eine ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung" vorgenommen worden - und zwar humanmedizinisch und zahnärztlich, aber keinesfalls mittels Röntgenuntersuchung. Zumal deren "Mehrwert" für zuverlässige Angaben als "eher gering" einzuschätzen sein dürfte, wie Schiwy meint, weil dieses Verfahren auch nur "eine Altersbestimmung bis auf plus/minus zwei Jahre erlaubt".

Durch eine Änderung des Sozialgesetzbuchs VIII zum 1. November 2015 sei aber eine "qualifizierte Inaugenscheinnahme" sowie in Zweifelsfällen eine "ärztliche Untersuchung zur Altersbestimmung" festgeschrieben. Aus der Rechtsprechung des VGH dazu ergebe sich, dass "nahezu immer ein Zweifelsfall" anzunehmen sei, schreibt Schiwy in einer Vorlage für den Stadtrat, den sie an diesem Donnerstag über die veränderte Rechtslage informieren will. Der VGH mache zudem deutlich, dass für eine "zuverlässige Altersdiagnostik" auch die Ergebnisse einer Röntgenuntersuchung einzubeziehen seien.

Um künftige Klagen nicht zu verlieren, soll die Röntgenuntersuchung dann erfolgen, wenn unterschiedliche Alterszuordnungen durch Jugendamt und den Betroffenen und somit konkrete Zweifel an der Minderjährigkeit bestehen. Allerdings soll die radiologische Untersuchung immer freiwillig sein, betont Schiwy. "Kern des Verfahrens ist auch weiterhin eines ausführliche Befragung des jungen Menschen."

Für eine Röntgenuntersuchung mit fachärztlicher Alterseinschätzung fallen Kosten in Höhe von 1000 bis 1100 Euro an. Nach Schätzungen des Jugendamtes muss sich die Stadt darauf einstellen, dass sie in 120 Fällen pro Jahr solche Gutachten bezahlen muss.

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