Jugend:Wieder im Spiel

Seit Kurzem bietet der Kreisjugendring in der Bayernkaserne offene Jugendarbeit an. In Halle 23 können junge Flüchtlinge endlich einmal Kind sein

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Keine Frage, Jenga ist der Renner. Alle lieben Jenga, sie fragen ständig danach - und wenn eines frei ist, legen sie sofort los: Klötzchen um Klötzchen wächst der Turm, dann - Vorsicht! - die kleinen Holzblöcke wieder herausziehen. Groß das Geschrei, das Gelächter, wenn der Turm zusammenkracht. Handys werden gezückt, Fotos auf Facebook gepostet, Freudentänze aufgeführt. Das Spektakel ist für Mirjam Scheck immer wieder ein inneres Fest. "Sie fühlen sich sicher. Die meisten dürfen hier das erste Mal Kinder sein", sagt sie.

In der Halle 23 auf dem Gelände der Bayernkaserne stürzen jeden Tag viele Türme auf den Tischen zusammen. Jenga ist der Name eines Geschicklichkeitsspiels, bei dem die Spieler kleine Holzquader aufschichten und dann wieder herausziehen - wer das Gebilde zum Einsturz bringt, hat verloren. Es ist ein Gewinn für alle Beteiligten, vor allem für die minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge, die daran so viel Freude haben. Sie sind wieder im Spiel, könnte man sagen. Denn die Halle 23 ist ein buntes Freizeitheim inmitten der sonst öden Erstaufnahmeeinrichtung auf dem großen Areal der Bayernkaserne. Der Kreisjugendring (KJR) bietet hier seit einigen Wochen offenen Jugendarbeit an. Es ist eine Außenstelle der Freizeitstätte LOK Freimann. Nach mitunter jahrelanger gefährliche und einsamer Odyssee können die jungen Flüchtlinge hier tun, was für ihre deutschen Altersgenossen ganz normal ist: herumtollen und Quatsch machen - unter pädagogischer Aufsicht. "Die haben alle einen großen Bedarf, zur Ruhe zu kommen", sagt Mirjam Scheck.

Die 25-jährige Sozialpädagogin gehört mit einem Kollegen und LOK-Chef Eric Schwencke zum festen Team. Scheck blickt sich an einem Werktag-Nachmittag zufrieden um und registriert die ausgelassene Strandbar-Atmosphäre, die gut zwei Dutzend Afghanen, Kosovaren, Somalis, Nigerianer, Ghanaer erzeugen: Vor den bunt besprühten Wänden liefern sich zwei quiekende Buben mit Bobby-Cars ein Rennen, Jugendliche trippeln um einen Basketballkorb. In der Halle umwabert Reggae-Sound gackernde Kinder, die Kickertische bearbeiten, Tischtennisbälle herumschmettern, einstürzende Jenga-Türme bejubeln. Einige lümmeln auf einer Couch vor einem großen Graffito: Es zeigt eine eingerissene Mauer, dahinter strahlt das Meer, am Horizont erheben sich blaue Berge. Ein Sehnsuchtsbild, für manche mag es kitschig wirken, doch es trifft wohl die Gemütslage der jungen Flüchtlinge. "Sie sehnen sich danach, in Frieden leben zu können", weiß Scheck aus vielen Gesprächen.

Das hat im vergangenen Jahr endlich auch die Staatsregierung erkannt. Junge Asylbewerber werden nun nach Jugendhilfestandard betreut, die Schutzstellen und Wohngruppen sind über die ganze Stadt verteilt. Die Bayernkaserne ist meist der erste Anlaufpunkt für die Erstaufnahme: Die jungen Menschen bekommen ein Bett, Kleidung, Ansprache von Betreuern. Behördenmitarbeiter überprüfen, ob sie minderjährig sind, oft wird das Alter geschätzt - ein vielfach kritisiertes Verfahren. Volljährige werden in eine Gemeinschaftsunterkunft überstellt, Minderjährige kommen in eine betreute Einrichtung.

Ein Gespräch mit ihnen ist an diesem Tag leider nicht möglich. Die Diakonie Jugendhilfe Oberbayern, unter deren Obhut die Minderjährigen in der Bayernkaserne als Träger für die Stadt untergebracht sind, hat vergeblich versucht, die Einwilligung des Jugendamts zu bekommen. Das Jugendrecht ist da sehr strikt. So muss Johanna Schrembs für sie sprechen, Leiterin der Clearingstelle in den Häusern 19 und 20, wo derzeit gut 30 Minderjährige wohnen, im Nachbarhaus sind es - unter anderer Trägerschaft - weitere 60. "Vor einem Jahr hatten wir noch 300", sagt sie, viele davon schwer traumatisiert. Das Team hatte kaum die Möglichkeit, die jungen Männer zu beschäftigen. Unbegleitete Mädchen kommen in gesonderte Schutzstellen. "Jetzt sehen wir, wie groß das Defizit war", sagt Schrembs.

Sie sehen es, weil junge und ältere Kinder nach langer Abstinenz geradezu dürsten nach dem Kindsein. Scheck berichtet von 17-Jährigen, die mit Dreijährigen ganz ungezwungen malen. Die Bilder kleben sie an die Eingangstür. "Mirjam love you", ist auf eines gepinselt, daneben hängt ein großes rotes Herz, ein gelbes Smiley-Gesicht grinst breit. Liebevolle Dokumente der Zuneigung, dahinter verbergen sich allerdings traurige Geschichten. "Die Kosovaren malen gerne die Landschaft ihrer Heimat, die Afghanen dagegen Flaggen, auch gern die deutsche", sagt Mirjam Scheck. Zuhause, so sagten die Kinder, sei alles zerbombt, das wollten sie nicht malen.

An diesem Donnerstag wird wohl die Post abgehen an der Halle 23: Die LOK-Dependance feiert ihre offizielle Eröffnung. Das Team hat sich für die Zukunft viel vorgenommen: Lagerfeuer-Abende, Straßenkunst-Projekte, Museums-Besuche. Im Herbst soll das KJR-Hallenfußballturnier in der Halle 23 stattfinden; für Discoabende ist die Licht- und Nebelanlage längst installiert. Bisher hat es laut Scheck keinerlei Zwischenfälle gegeben. Zank gibt nach ihren Worten nur, wenn es darum geht, welche Musik aufgelegt wird. "Alle wollen ihre Heimatlieder hören. Doch wen sie sich geeinigt haben, tanzen sie zusammen."

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