Jubiläum:Sprachrohr für alte Menschen

Lesezeit: 3 min

Die Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege bemüht sich seit 20 Jahren, Verbesserungen für Senioren zu erreichen

Von Jasmin Siebert

Die Stimmung war aufgeheizt in München vor zwanzig Jahren. Fast täglich berichteten die Medien über schlimme Zustände in den Pflegeheimen. Oft war es der Münchner Sozialpädagoge und bundesweit bekannte "Pflegekritiker" Claus Fussek, der Geschichten über vernachlässigte oder misshandelte Senioren an die Öffentlichkeit brachte. Es hagelte Vorwürfe. Aber es gab niemanden, der sich zuständig fühlte, den Beschwerden auf den Grund zu gehen. Im Juli 1997 beschloss der Stadtrat einstimmig, eine Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege zu schaffen. Der damalige Oberbürgermeister Christian Ude beauftragte Christa Empen, die zuvor im Sozialreferat tätig war, die bundesweit erste Einrichtung dieser Art aufzubauen.

"Es war eine Ehre und eine echte Herausforderung", erinnert sich Empen, die heute 77 Jahre alt ist und die Leitung nach vier Jahren wegen Augenproblemen abgegeben hatte. Anfangs stieß die Stelle auf heftigen Widerstand. Die Einwände: Es gibt keine rechtliche Grundlage, die es der Stadt erlaubt, sich einzumischen. Und wenn, dann sollte es zumindest eine Altenpflegefachkraft tun. Empen ist Sozialarbeiterin. Bei einem Treffen mit den Trägern von Pflegeeinrichtungen argumentierte sie: "Die alten Menschen brauchen ein Sprachrohr. Wenn die Stadt sich kümmern will, sollte man sie lassen, egal ob sie rechtlich zuständig ist oder nicht." Ihre Forderung: Ihre Mitarbeiterinnen sollten Tag und Nacht unangemeldet in Pflegeeinrichtungen gehen dürfen, um Vorwürfe zu überprüfen. Es folgten vier Stunden zähe Verhandlungen, Empen war nahe dran, ihren Posten gar nicht anzutreten. Dann einigte man sich, es sechs Wochen lang zu probieren.

Seit 20 Jahren gehen nun die Mitarbeiterinnen der Beschwerdestelle Vorwürfen in der Altenpflege auf den Grund, längst nicht mehr nur in Heimen. Birgit Ludwig, die seit 2012 die Beschwerdestelle leitet, und ihre vier Mitarbeiterinnen kümmern sich um alle Versorgungsformen, in denen alte Menschen betreut werden. An die Beschwerdestelle wenden sich neben Angehörigen, Betreuern und Pflegekräften immer mehr Betroffene selbst.

Nach einem persönlichen Gespräch besuchen die Mitarbeiterinnen der Beschwerdestelle Betroffene zu Hause oder im Pflegeheim und sprechen anschließend mit der Gegenseite. Erst dann gibt es ein Gespräch mit allen Beteiligten. Gemeinsam werden Vereinbarungen getroffen, die umsetzbar sind. "Im Vordergrund steht immer die Frage, welche Verbesserung wir für die Betroffenen realistischerweise erreichen können", sagt Ludwig. Ganz wichtig sei ein zweites Treffen, das schaffe Verbindlichkeit. Bei Verdacht auf Gewalt oder Gefährdung werden die Fälle an die Heimaufsicht weitergeleitet. Aber es sind meist gar nicht die krassen Fälle, mit denen die Mitarbeiterinnen der Beschwerdestelle in ihrer täglichen Arbeit zu tun haben. Sondern eher Kleinigkeiten, die in ihrer Summe jedoch die Lebensqualität der Betroffenen einschränken.

Alte Menschen, die zu Hause von ambulanten Pflegediensten versorgt werden, klagen oft über wechselnde Mitarbeiter, die noch dazu zu spät kommen. Ihre Angehörigen beschweren sich immer wieder über unverständliche Rechnungen. Die Mitarbeiterinnen der Beschwerdestelle bemühen sich dann um Vereinbarungen mit dem Dienst, die er auch halten kann. Es nutze nichts, erklärt Ludwig, wenn der Pfleger verspreche, künftig pünktlich zu kommen, obwohl er Verspätungen wegen Notfällen, Stau oder Parkplatzsuche nicht ausschließen kann. In solchen Fällen sei es besser, der Pfleger rufe kurz an und erkläre seine Verspätung. Oft helfen Ludwig und ihre Mitarbeiterinnen auch, dass Beschwerden an der richtigen Stelle vorgebracht werden, zum Beispiel bei einem Vorgesetzten statt bei der Pflegekraft. "Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ist es zu vermitteln", sagt Ludwig und ergänzt: "Dabei drehen wir oft ein paar Schleifen."

Manchmal begleiten Ludwig und ihre Mitarbeiterinnen Menschen über Monate oder Jahre hinweg, vor allem im stationären Bereich. Momentan haben sie sieben solche Langzeitfälle. Da schreitet die Beschwerdestelle immer wieder ein, versucht Eskalationen zu verhindern und gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt aber nur bei rund zwei Monaten.

Im Heim, wo es deutlich mehr Beschwerden als i n der ambulanten Pflege gibt, sind die Beschwerdeführer meist mit der Grundpflege unzufrieden: Inkontinenzeinlagen würden zu selten gewechselt, die Körperpflege sei nicht gründlich genug, ein alter Mensch werde nicht ausreichend beim Essen unterstützt. Im Laufe der Zeit geändert hat sich, dass die Zahl der alten Menschen, die sich selbst beschweren, stetig zunimmt. Häufig entstehen Beschwerden durch mangelhafte Kommunikation, etwa weil sich Angehörige nicht ausreichend informiert fühlen. Oft steht Aussage gegen Aussage. Weniger als die Hälfte der Beschwerden ließen sich bestätigen. Die Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege trete, so Ludwig, nicht als Anwalt der Beschwerdeführer auf, sondern als neutrale Instanz. Ludwig beschreibt ihre Aufgabe so: "Wir sind Lösungssucher und Vermittler."

Aus einem Gespräch herauszugehen mit dem Gefühl, etwas bewirkt zu haben, sei sehr schön. "Wir lachen viel", sagt Ludwig. Genauso oft weinen sie mit den alten Menschen oder Angehörigen. Denn oft hilft es schon, seine Sorgen einfach mal loswerden zu können.

Die Beschwerdestelle, Telefon 233-96966 , in der Burgstraße 4, erster Stock, ist geöffnet Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag von 9 bis 12 Uhr, Montag und Donnerstag von 13 bis 16 Uhr sowie Mittwoch von 13 bis 19 Uhr.

© SZ vom 11.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: