Jubiläum:"Keine Untergruppe der Jungen Union"

70 Jahre BDKJ: Ehemalige Mitglieder erzählen von nächtlichen Diskussionen, Schafkopfrunden und Freundschaften fürs Leben

Von Christina Hertel, Thomas Jordan

Es begann überschaubar, zumindest nach heutigem Maßstab: 12 535 Jugendliche gehörten dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum München und Freising an, als der Diözesanverband sich 1947 gründete. Eine Schule des Lebens wollte er sein, um den Jugendlichen dabei zu helfen, eine Persönlichkeit zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen und die Gesellschaft mit zu gestalten. Heute vertritt der Verband mehr als 100 000 Kinder und Jugendliche; an diesem Wochenende feiert er in Schliersee sein 70-jähriges Bestehen. Und er hat seine Mitglieder geprägt, damals wie heute. Vier ehemalige Diözesanvorsitzende erzählen.

Josef Vieregg, früherer Geschäftsführer eines Industrieunternehmens:

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(Foto: privat)

Was er nicht von den Eltern gelernt habe, habe er vom BDKJ gelernt, sagt der heute 83-jährige Josef Vieregg. Genauer gesagt war es der "Bund Neudeutschland", die Teilorganisation des BDKJ für Gymnasiasten, in die der damals elfjährige Schüler des Schwabinger Gisela-Gymnasiums 1946 eingetreten war. "Mein Vater hatte nur die Volksschule besucht, genau wie meine Mutter." Durch die katholische Jugend lernte er erstmals Studenten und Akademiker kennen. Etwa beim Bundesfeldlager, bei dem sich 1949 2500 junge Männer in Fulda zum Diskutieren über religiöse und gesellschaftspolitische Themen trafen. Für den Sohn eines kaufmännischen Angestellten eine bis dahin unbekannte Welt. "Das hat uns als Buben den Horizont sehr geweitet", sagt er. "Dass ich wusste, ich will Abitur machen, nicht nur Mittlere Reife, das ist dem BDKJ zu verdanken."

Natürlich sagte Vieregg zu, als er 1957 gefragt wurde, ob er das Amt des Diözesanvorsitzenden des BDKJ annehmen wolle. "Diözesanjugendführer" hieß das damals noch, und der junge Vieregg war an drei von vier Wochenenden im Monat für die Kirche auf Achse. Auch in seinem späteren Leben in der Geschäftsführung eines Industrieunternehmens für Werkzeugbau haben ihm die Erfahrungen und die Werte aus der BDKJ-Zeit geholfen: Regelmäßig hat er sich mit den ehemaligen Wirtschaftsstudenten des "Bundes Neudeutschland" getroffen, um zu diskutieren: "Da ging es nicht darum, wie können wir den Gewinn des Betriebs steigern, sondern um sozialethische Fragen und um Entwicklungshilfe." Das Gemeinschaftsgefühl, das Josef Vieregg vor mehr als 70 Jahren beim BDKJ kennengelernt hat, trägt für ihn bis heute: Noch immer treffe er sich monatlich, wenn es die Gesundheit zulässt, mit ehemaligen BDKJ-Mitgliedern zum Diskutieren - zuletzt über Einsteins Relativitätstheorie.

Sepp Peis, Geschäftsführer des Diözesanrates im Erzbistum München-Freising:

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(Foto: privat)

"Peis Sepp, der liebe Gott hat dich auf die Welt geschickt, nicht als Banker das Leben zu fristen, sondern hier für sein Werk aktiv zu werden." Die Worte des ecuadorianischen Vorsitzenden der katholischen Laienorganisationen motivieren Sepp Peis heute immer noch. Schließlich hat Peis in seiner Zeit als BDKJ-Vorsitzender (2002 bis 2008) den Jugendaustausch mit Ecuador eingeführt. Und wenn der 44-Jährige, der heute beim Erzbistum München arbeitet, auf sein bisheriges Leben zurückblickt, dann stellt er fest: "Die Zeit beim BDKJ hat mich sehr geprägt." Denn erst durch die Gremienarbeit in der katholischen Landjugendbewegung, einer Teilorganisation des BDKJ, reifte in dem gelernten Bankkaufmann die Überzeugung, noch einmal einen neuen Berufsweg einzuschlagen. Mit 26 Jahren beschloss der Banker Peis, sein Abitur nachzuholen und Politikwissenschaft zu studieren: Kirchenpolitik und Gesellschaftspolitik. Es war und ist dem heutigen Geschäftsführer des Diözesanrates im Erzbistum München-Freising wichtig, "dass es junge Menschen gibt, die christliche Werte vertreten". Dafür hat er auch mal Ärger mit den Kirchenoberen in Kauf genommen. Bei der Fronleichnamsprozession 2007 zum Beispiel. Da haben die BDKJ-Teilnehmer einen riesigen Erdball mitgetragen, auf den sie Pflaster geklebt hatten. "Um aufmerksam zu machen auf die Bewahrung der Schöpfung und auf internationale Gerechtigkeit", wie Peis sagt. Denn zur gleichen Zeit fand in Heiligendamm der G8-Gipfel statt. Peis und sein BDKJ wollten ein Statement setzen. "Das war ein kleiner Aufreger", sagt er rückblickend, denn an sich sind bei Prozessionen keine politischen Aussagen erwünscht. Auch privat hat die katholische Jugendbewegung im Leben von Sepp Peis die Weichen gestellt: Er hat seine Frau beim BDKJ kennengelernt. Und seine drei Kinder, sind die auch schon bei der Landjugend aktiv? Nein, leider gebe es in Ebersberg, wo Peis wohnt, keine Landjugend. "Aber bei der Kolping-Jugend, da sind sie schon."

Michael Kroll, Geschäftsführer der Jugendsozialarbeit der Caritas:

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(Foto: privat)

Dass die Bayern ein spezieller Menschenschlag sind, merkte Michael Kroll gleich. Ursprünglich kommt er aus dem Raum Stuttgart und wollte sich Mitte der Neunzigerjahre, als 27-Jähriger, zum Diözesanvorsitzenden des BDKJ wählen lassen. Dafür musste er sich in München vorstellen, viele Fragen beantworten. Was verbindest du mit Bayern? Das war eine Frage, die ihn aus dem Konzept brachte. In einem anderen Bundesland hätte das niemand gefragt, meint Kroll. Was er antwortete? "Irgendwas mit FC Bayern." Damals sei es jedenfalls nicht üblich gewesen, dass jemand, der woanders herkommt, und auch noch so Hochdeutsch spreche, die Stelle kriege.

Heute ist Kroll Geschäftsführer der Jugendsozialarbeit der Caritas und erinnert sich gerne an seine sechs Jahre beim BDKJ. Er lernte, dass man zwar Kompromisse eingehen, aber seine Meinung nicht aufgeben muss. Zum Beispiel als er einmal einen Schauspieler engagierte, der in einem Gottesdienst in der Frauenkirche den Teufel spielen sollte. Der Kardinal war nicht erfreut - am Ende durfte der Teufel in den hinteren Teil der Kirche, immerhin. Wichtig war Kroll, dass der BDKJ nicht als Verein voller junger frommer Katholiken wahrgenommen wird, sondern als eine Organisation, die etwas gestalten möchte. Also wurde viel diskutiert - über Sexualität, Frauen als Priester. Was er aus der Zeit sonst mitgenommen hat? "Freundschaft." An seinem ersten Tag in München gründete Kroll mit seinen Kollegen eine Schafkopfrunde - sie besteht bis heute.

Hans-Jürgen Spitzweg, Rechtsanwalt:

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(Foto: privat)

Die Mauer stand seit sieben Jahren, die Studentenbewegung erreichte den Höhepunkt, Martin Luther King wurde ermordet und in Vietnam herrschte Krieg, als Hans-Jürgen Spitzweg Diözesanvorsitzender wurde. 1968 war die Welt eine andere, aber die Probleme, über die Spitzweg damals stritt, sind bis heute nicht gelöst. Den Zölibat zum Beispiel gibt es immer noch. Frustriert? "Nein, besorgt", antwortet Spitzweg. Nicht heiraten und keine Familie gründen zu können, halte viele davon ab, Priester zu werden. "Heute ist die Frage noch aktueller als damals."

Nur zwei Jahre lang war Spitzweg Diözesanvorsitzender. Trotzdem habe ihn diese Zeit besonders geprägt, sagt der 71-Jährige. Für seine Tätigkeit bekam Spitzweg nur eine Aufwandsentschädigung, eigentlich studierte er Jura. Morgens in der Vorlesung, abends bei Veranstaltungen mit Jugendleitern. "Das waren kurze Nächte. Ich musste lernen, mit größtmöglicher Effizienz zu arbeiten." Spitzweg trat dafür ein, dass sich der BDKJ öffnet - gegenüber Menschen anderer Konfessionen und politischen Einstellungen. "Mir war wichtig klarzustellen, dass wir keine Untergruppe der Jungen Union waren." Katholisch sein, sei damals noch stark mit der CSU verbunden gewesen. Spitzweg aber wollte alle Menschen ansprechen. Ein paar Mal reiste er nach Ostberlin, um Menschen aus seiner Partnerdiözese Görlitz zu treffen. Um über die Grenze zu kommen, erfand Spitzweg eine Großtante. Dass er eigentlich Jugendleiter mit Ratschlägen und Literatur versorgen wollte, hielt er geheim. "Im Nachhinein bin ich mir nicht sicher, ob die Stasi das nicht ohnehin wusste."

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