Franz Xaver Kroetz wird 70:Ewige Hirnwut

Franz Xaver Kroetz, 2010

"In einen großen, vollen Biergarten bringen mich keine zehn Pferde mehr." Franz Xaver Kroetz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Seine Tobsuchtsanfälle sind legendär, seine Blockaden auch: Der Münchner Dramatiker, Regisseur und Schauspieler Franz Xaver Kroetz wird 70 Jahre alt. Und ist abgetaucht.

Von Christine Dössel

Vor zehn Jahren, zu seinem 60. Geburtstag, hat er noch einmal einen Comeback-Versuch gestartet, und zwar buchstäblich: Franz Xaver Kroetz, frisch verlassen von seiner Ehefrau und tief verletzt, nahm Abschied von seinem Domizil auf Teneriffa, legte sich eine Designerbrille und einen neuen Haarschnitt zu und kehrte zurück nach München - und auch wieder ans Theater.

Am Bayerischen Staatsschauspiel inszenierte er Jörg Grasers interkulturelle Bauer-sucht-Frau-Posse "Servus Kabul" als seichtes Polit-Kasperltheater und ein paar Monate später sein eigenes Stück "Tänzerinnen & Drücker", eine rabiate Abrechnung mit dem Verblödungsfernsehen in acht "TV-Massaker"-Monologen. Szenen von tiefem, heiß empfundenem Hass.

Legendäre Aussetzer

Als frisch gebackener Single mit 60 wollte der Dramatiker, Regisseur und Schauspieler Franz Xaver Kroetz es noch einmal wissen. Zu seinem Geburtstag ließ er sich im Münchner Literaturhaus feiern: als abgefeimter Klatschreporter Baby Schimmerlos aus Helmut Dietls Achtzigerjahre-Kultserie "Kir Royal", den in München immer noch alle in ihm sehen, klar. Aber auch für die Einblicke in die Höhenflüge und Abstürze eines Dichterlebens, wie Kroetz sie in dem Band "Blut & Bier" gewährt, der damals gerade erschienen war: "15 ungewaschene Stories" über die tägliche Qual des Schriftstellers und die damit einhergehenden Kollateralschäden in der Familie.

Kroetz' Tobsuchtsanfälle sind legendär, seine Blockaden und Depressionen auch. Das Schreiben habe seine Ehe zerstört, bekannte er nach der Scheidung von Marie-Theres Relin, mit der er drei Kinder hat. "Wir sind verzweifelt, Papa kann nicht schreiben", notierte die Tochter einmal ins Tagebuch. Kroetz hat Geschirr zerschlagen, ganze Nächte durchgesoffen. Bier war sein Elixier. Saufen, leiden, schreiben - der Kroetz'sche Lebens-Dreiklang. Der Dichter als armes Schwein, als seelisches Wrack, dem zu guter Letzt auch noch Alter und Verfall zusetzen, so beschreibt Kroetz sich gerne, in einer quälerischen Mischung aus Koketterie, Selbstmitleid und Selbsthass.

Kroetz war nie Hochkultur

Wobei er sich der produktiven Verkettung unglücklicher Zustände natürlich bewusst ist und sich seine Depressionen nicht nehmen lässt: "Ich habe 60 Stücke geschrieben. So was geht nicht als fröhliches, nettes Männlein", sagte er 2008 der Bunten, in der er genauso reüssierte wie als Dramatiker in den Feuilletons.

Kroetz war nie nur Hochkultur, in den Achtzigerjahren schrieb er eine Zeit lang sogar Kolumnen für die Bild-Zeitung. Dass er zuvor bekennender Kommunist war und als solcher von 1971 bis 1980 der DKP angehörte, kümmerte ihn nicht. Wenn er bei der Partei mit seinem schicken Mercedes vorfuhr, waren das ohnehin eher "Operettenauftritte", wie er das einmal nannte. Er sei der DKP beigetreten, "weil ich mich nicht vereinnahmen lassen wollte von der Kultur-Bourgeoisie".

Der ehrliche Kerl scheint auch in den Dramen durch

Franz Xaver Kroetz wird 70

Franz Xaver Kroetz in der Rolle des Willy Kamrad.

(Foto: dpa)

Das ist ihm, dem ewig Querständigen, tatsächlich gelungen. Kroetz blieb Kroetz, ohne Wenn und Aber. Mit all seiner Hirnwut, seiner Gesellschaftskritik, seinem Leidensdruck. Der ehrliche Kerl, der er letztlich ist, scheint auch in seinen Dramen durch.

Schon mit 13 fing er an zu schreiben, als die Theater ihn Anfang der Siebzigerjahre entdeckten, hatte er fast ein Dutzend Stücke parat. Kroetz, geboren am 25. Februar 1946 in München, stammt aus einfachen Verhältnissen. Nach dem Tod seines Vaters begann er bereits im Alter von 16 Jahren ein Studium am Wiener Max-Reinhardt-Seminar, das er jedoch nach zwei Jahren abbrach. Danach hielt er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, war Kraftfahrer, Pfleger, Bauarbeiter, spielte an Tegernseer Bauernbühnen und beim Antiteater von Rainer Werner Fassbinder.

Durchbruch unter Protest

Seinen Durchbruch als Dramatiker hatte Kroetz, als die Münchner Kammerspiele 1971 die Einakter "Hartnäckig" und "Heimarbeit" (mit Walter Schmidinger und Ruth Drexel) herausbrachten. Vor dem Theater demonstrierten Rechtsradikale gegen "Pornografie", drinnen wurden Stinkbomben geworfen. Weil "Heimarbeit" von einer ungewollten Schwangerschaft und einer versuchten Abtreibung erzählt und davon, wie Martha ihren Willi verlässt, der seit einem Mopedunfall Heimarbeit macht und manchmal onaniert. Und wie der Willi dann das ungeliebte Baby ertränkt, damit Martha zurückkommt. Alles, was die Kroetz'sche Sozialdramatik berühmt machen sollte, war darin schon angelegt: die Ohnmacht der Figuren, ihre Fremdbestimmtheit, die Unfähigkeit, sich auszudrücken, die Schilderung des Kleine-Leute-Milieus in kargen, minimalistischen Szenen.

Mit Stücken wie "Wildwechsel", "Stallerhof", "Mensch Meier", "Bauern sterben" oder dem wortlosen, weltweit noch viel gespielten "Wunschkonzert", in dem eine einsame Frau sich nach einem penibel vollzogenen Tagesritual in ihrer Wohnung umbringt, verfestigte Kroetz seinen Ruf als Erneuerer des kritischen Volkstheaters in der Tradition von Marieluise Fleißer. Seine Stücke waren politisch, menschlich, leicht verständlich. Kroetz avancierte damit in den Achtzigern zum weltweit meistgespielten deutschen Dramatiker nach Brecht.

Stücke schreibt er nicht mehr

Seit 2004 schreibe er nicht mehr, behauptet Kroetz. Jedenfalls keine Stücke mehr. Nur noch Tagebücher und Gedichte. Ein Drehbuch für einen Münchner "Tatort" hat er verfasst, aber der BR will es nicht verfilmen. Hin und wieder ist Kroetz noch als Schauspieler zu sehen, gibt im Fernsehen den kauzigen Grantler. Es ist jedesmal eine Freude. Er war auch ein grandioser Brandner Kaspar in der Joseph-Vilsmaier-Verfilmung von 2008.

Schade, aus dem Comeback-Versuch vor zehn Jahren ist nicht wirklich was geworden. Zu seinem 70. Geburtstag an diesem Donnerstag ist Kroetz abgetaucht. Seit ein paar Jahren ist er wieder liiert. Auf die Anfrage der SZ, ein Gespräch über Gott, das Theater und die Welt zu führen, antwortet er per Mail: "Gott interessiert mich nicht mehr, das Theater interessiert mich nicht mehr, und mit der Welt hab ich mich abgefunden." Wirklich? Laut Nachrichtenagentur dpa arbeitet Kroetz wieder an einem Stück. Die Vorlage sei Shakespeares "Sturm". Titel: "Alter Mann, was nun?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: