John Irving im Residenztheater:"I feel besser"

Barack Obama, Blow Jobs und sein neues Buch: John Irving startet seine Lesereise in München - und präsentiert sich nach dem Wahlsieg der Demokraten gut gelaunt. Von einer Zuschauerin bekommt er eine Liebeserklärung.

Anna Fischhaber

John Irving im Residenztheater

Bestseller-Autor John Irving liest im Residenztheater aus seinem neuen Buch.

(Foto: Florian Peljak)

"Besser." Das ist das erste, was John Irving an diesem Abend sagt. "I feel besser." Er sagt es in seinem charmanten deutsch-amerikanisch und natürlich geht es um Obama. Seit etwa zwölf Stunden ist der als Präsident der Vereinigten Staaten wiedergewählt. Und Irving ist nicht nur einer der beliebtesten Geschichtenerzähler aus den USA, er ist auch Anhänger der Demokraten. Vor der Wahl hatte er sich Sorgen gemacht, die Republikaner könnten mit "ihrer drakonisch Dinosaurier-haften Haltung zu Schwulenrechten" gewinnen, nun sagt er sichtlich erleichtert: "Das Land wird nicht rechter."

Auch ein paar Zahlen hat der Autor den Münchnern mitgebracht. 55 Prozent der Frauen hätten Obama gewählt, sagt Irving. Und 60 Prozent der Jungen. Nur bei den alten weißen Männern habe es eine Mehrheit für Romney gegeben. Alte weiße Männer wie Irving selbst einer ist. Doch dass er in diesem Jahr 70 geworden ist, sieht man dem drahtigen Mann an diesem Mittwochabend im Residenztheater, der ersten Station seiner Lesereise durch Deutschland, nicht an.

Man hätte gern mehr über die US-Wahl gehört, aber Irving ist nicht hier, um über Politik zu reden. Er ist gekommen, um sein neues Buch vorzustellen. Und er kommt mit federndem Schritt. Als er den Moderator begrüßt, streckt er ihm die linke Hand hin. In der rechten hat sich eine alte Ringerverletzung bemerkbar gemacht hat, wie man in Interviews nachlesen konnte. Denn ringen tun nicht nur viele Figuren in seinen Büchern, sondern auch Irving selbst. Ein wenig sieht der Autor aus wie ein Ranger. Das Gesicht braungebrannt, das Jacket offen, darunter trägt er ein kariertes Hemd. Seine Arme sind ständig in Bewegung.

Eineinhalb Stunden Literaturshow

Gerade hat Irving mit "In einer Person" seinen 13. Roman veröffentlicht. Der Büchertisch im Foyer, vor dem sich vor der Lesung eine lange Schlange gebildet hat, ist zu klein, um sie alle auszustellen. Doch Irving ist kein in sich gekehrter Autor, kein Bücherwurm. Der Schriftsteller ist ein Entertainer, der die Bühne, die ganz in schwarz gehalten ist, 90 Minuten lang ausfüllt.

Seine tiefe Stimme ist angenehm, immer wieder macht er Witze, lacht, bringt die Zuschauer zum Lachen. Immer wieder erklärt er, was er sich beim Schreiben gedacht hat, ohne abgehoben zu wirken. "Hoffentlich wird es nicht sehr langweilig, we try", sagt er, als er schließlich zu lesen beginnt.

John Irving im Residenztheater

Aufmerksam lauscht das Publikum den Worten Irvings - das Residenztheater war schon lange im voraus ausverkauft.

(Foto: Florian Peljak)

Die Münchner lieben ihn für diese Literaturshow. Seit zwei Wochen ist die Lesung ausverkauft, knapp 900 Menschen sind ins Residenztheater gekommen. Sie lachen an den richtigen Stellen, applaudieren immer wieder. Als der Moderator ankündigt, es werde keine Signierstunde geben, schließlich habe Irving mit der US-Wahl eine anstrengende Nacht hinter sich, geht ein Seufzen durchs Publikum. Auch Wortmeldungen sind nicht vorgesehen. Als Irving erzählt, wie sehr ihn und seine Protagonisten bestimmte Bücher beeinflusst hätten, steht dennoch eine junge Frau auf. Seine Bücher hätten ihr Leben verändert, ruft sie dem Autor zu.

Irving reagiert mit einem Nicken und einem Danke. Mehr sagt er nicht - und wirkt plötzlich fast ein wenig unnahbar. Er hat Routine mit Lesungen, mit Fans, mit viel Publikum, das merkt man diesem Abend an. Dennoch ist es ein gelungener Abend. Das liegt an Irving, aber auch an Schauspieler Manfred Zapatka, der mit dem Autor gemeinsam Auszüge aus dem neuen Roman über die "frischen Brüsten der Bibliothekarin" und Blow Jobs, über Liebe und Literatur liest. Irving auf Englisch, Zapatka auf Deutsch.

Liberal - und intolerant gegenüber Intoleranz

Immer wieder lacht der Autor dabei in sich hinein. Man merkt, dass ihm sein eigenes Buch gefällt. Und die Darbietung. Souverän ist auch Moderator Tobias Döring, Professor für Englische Literaturwissenschaft an der LMU, der die richtigen Fragen stellt und übersetzt. Selbst als der Autor scherzt, der Moderator spreche so viel schneller als er selbst, lässt der sich nicht aus dem Konzept bringen.

Am Ende geht es noch einmal um die große Politik. Schließlich ist "In einer Person" nicht nur absurd, komisch und tragisch wie alle Romane von Irving, sondern es geht auch und vor allem um sexuelle Identität, um sexuelle Diskriminierung, um Bisexualität. Er habe immer gedacht Europa sei erwachsener, entspannter, liberaler bei solchen Themen, sagt Irving nun. Bei seiner Leserreise durch Brüssel, Amsterdam, Kopenhagen habe er nun eine neue Erfahrung gemacht. Auch hier gebe es eine Minderheit, die eine andere Minderheit diskriminiert, sagt er - und meint damit die Minderheit unter den Muslimen, die etwas gegen Homosexualität hat.

"Ich bin ein Liberaler", ruft er. Und wer tolerant ist, der könne auch intolerant gegenüber Intoleranz sein. Die Zuschauer klatschen, doch nun hat es Irving plötzlich eilig. Und ebenso schnell, wie er die Bühne betreten hat, ist er wieder verschwunden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: