John Demjanjuk:"Dieser Mann steht an der Schwelle des Todes"

Der mutmaßliche KZ-Wächter kommt vorerst nicht nach München - ein Prozess ist in weite Ferne gerückt.

A. Krug und C. Wernicke

Der mutmaßliche KZ-Aufseher John (Iwan) Demjanjuk wird vorerst nicht nach München überstellt. Ein US-Gericht entschied in letzter Minute, die Abschiebung des 89-Jährigen aus Gesundheitsgründen vorläufig auszusetzen. Demjanjuk sollte am heutigen Montag in München eintreffen. Mit der Entscheidung ist ein möglicher Strafprozess wieder in weite Ferne gerückt, da Demjanjuks Anwälte auch noch eine Wiedereröffnung des gesamten Abschiebeverfahrens beantragten. Abermals forderten sie die deutsche Justiz auf, ihren Mandanten von einem deutschen Amtsarzt untersuchen zu lassen, um sich selbst ein Bild seines Gesundheitszustandes zu machen.

John Demjanjuk: John Demjanjuk wird in seinem Haus in Ohio untersucht.

John Demjanjuk wird in seinem Haus in Ohio untersucht.

(Foto: Foto: Reuters)

"Jeder, der diesen Mann sieht, hat keine Zweifel. Dieser Mann kann keinen Prozess durchstehen. Er ist 89 Jahre alt und steht an der Schwelle des Todes", meinte Demjanjuks amerikanischer Anwalt John Broadley zur Süddeutschen Zeitung. Broadley hatte am vergangenen Donnerstag einen Eilantrag auf Aussetzung der Abschiebung beim zuständigen Einwanderungsgericht in Arlington im US-Bundesstaat Virginia gestellt. Am Freitag wurde Demjanjuk in seinem Haus in Seven Hills, einem Vorort von Cleveland, von einem US-Arzt auf seine Transportfähigkeit untersucht. Demjanjuks Sohn ließ ein Video mitlaufen, das offenbar den Ausschlag für den Abschiebestopp gab.

Verschiedene Leiden

Laut Anwalt Broadley leidet der 89-Jährige an einer Vorstufe von Leukämie, außerdem soll er in seiner Bewegungsfähigkeit massiv eingeschränkt sein. Ein mehrstündiger Flug nach Deutschland und ein langwieriger Prozess komme einer "Folter" gleich. In dem der SZ vorliegenden Eilantrag klagt Demjanjuk auch über die US-Regierung, die ihn seit Jahrzehnten zu Unrecht verfolge. Er fühle sich einer "Vendetta" ausgesetzt, die Regierung sei verantwortlich für einen weltweiten "Hass" auf seine Person. Seine Familie sei längst "traumatisiert", die Aussicht auf einen weiteren "Schauprozess" sei ein "Alptraum".

Der gebürtige Ukrainer Demjanjuk soll 1943 Wachmann im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen gewesen sein. Die Münchner Staatsanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum Mord in 29 000 Fällen vor. Die Vorwürfe sind nicht neu, schon einmal stand Demjanjuk als mutmaßlicher KZ-Scherge vor Gericht. 1988 wurde er in Israel zum Tode verurteilt, weil Zeugen in ihm "Iwan, den Schrecklichen" erkannt haben wollten, der in Treblinka Menschen ins Gas trieb. Doch das Todesurteil wurde 1993 vom Obersten Gerichtshof aufgehoben. Aufgrund von Dokumenten stellte sich heraus, dass es sich um eine Verwechselung handelte.

Die sechs Jahre in der "Todeszelle" hätten ihn psychisch schwer geschädigt, sagt Demjanjuk heute. Schon damals stellten die Richter allerdings auch fest, dass es Beweise für seine Tätigkeit in Sobibor gebe. Wichtigstes Beweisstück ist ein Dienstausweis, der von Experten des Bayerischen Landeskriminalamts als echt eingestuft wird. Demjanjuk kehrte nach dem Freispruch in die USA zurück und bekam die US-Staatsbürgerschaft zurück. 2004 wurde sie ihm aber endgültig aberkannt, als neue Unterlagen auftauchten, denen zufolge er Aufseher in mehreren Konzentrationslagern gewesen sein soll. Die US-Behörden ordneten in der Folge seine Abschiebung an, die seit 2008 rechtskräftig ist.

Alle Möglichkeiten ausgeschöpft

Rechtlich seien damit für Demjanjuk alle Möglichkeiten ausgeschöpft, glaubt sein Münchner Anwalt Günther Maull, der Demjanjuk als Pflichtverteidiger vom Gericht beigeordnet wurde. Demjanjuk könne sich aber jederzeit auf seine "verfassungsmäßigen Rechte" berufen, etwa auf seinen angeschlagenen Gesundheitszustand und die Menschenrechtskonvention. Der vorläufige Abschiebestopp sei mit keiner Frist verbunden, wann und ob Demjanjuk überhaupt nach München komme, sei daher völlig offen.

Auch die Münchner Staatsanwaltschaft ist sich über das weitere Procedere im Unklaren. "Wir wissen auch nicht, wie sich das weiter entwickelt", meinte der Chef der Staatsanwaltschaft München I, Manfred Nötzel, auf Anfrage. "Wir müssen das einfach abwarten." Ähnlich reagierte man im Bundesjustizministerium. Eine Sprecherin betonte, man brauche erst einmal "verlässliche Tatsachen", um das weitere Vorgehen zu beurteilen. Die Sprecherin schloss grundsätzlich auch ein förmliches Auslieferungsgesuch nicht aus. Wenn das - rechtlich wesentlich unkompliziertere - Abschiebeverfahren zu keinem Ergebnis führe, "dann müssen wir uns darüber nochmal Gedanken machen". Die Forderung der Anwälte, einen deutschen Amtsarzt die USA zu schicken, sei "eigentlich kein Thema", da die Abschiebung eine inneramerikanische Angelegenheit sei.

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