Job der Zimmermädchen:Wem die Wiesn nichts als Dreck bringt

Bis zu 400 Euro kosten einfache Hotelzimmer in München während des Oktoberfests. Bei denen, die dort den Dreck wegmachen, kommt davon kaum etwas an. Über den harten Job der Zimmermädchen, die oft unter fragwürdigen Bedingungen arbeiten.

Katrin Kuntz und Ronen Steinke

Hotellandschaft in Lübeck

Haben während des Oktoberfestes noch mehr zu tun, bekommen aber von dem lukrativen Geschäft nichts ab: Zimmermädchen in München. (Symboldbild)

(Foto: dpa)

Iwanka Ivanovas (Name geändert) Reise war 1421 Kilometer lang. Sie führte von einem Dorf in Südbulgarien in ein Hotel in den Münchner Osten. Sie begann mit einer berechtigten Hoffnung, sie endete mit einer Plastiktüte voller Papiere und vielen Problemen. Dazwischen hat Ivanova für eine deutsche Reinigungsfirma Zimmer geputzt. Jetzt ist sie eine von vielen Frauen, die weiß, unter welchen Bedingungen in München Hotelzimmer sauber gemacht werden. Diese Bedingungen sind oft schlecht. Und während des Oktoberfestes sind sie noch schlechter.

Es ist die Zeit, in der die Hotels der Stadt aus allen Nähten platzen. In ihren Zimmern schlafen Betrunkene, die Erbrochenes auf den Teppichen hinterlassen oder Bierflaschen zwischen den Laken, die Möbel verrücken und Fernbedienungen in ihre Einzelteile zerlegen. Für die Münchner Wirtschaft ist es ein Fest.

Die Hotels sind zu 95 Prozent ausgelastet, vergangenes Jahr im September gab es 1,2 Millionen Übernachtungen, im Oktober waren es 1,4 Millionen. Im November dagegen nur 900.000. Für viele Zimmermädchen aber, ohne die nichts funktionieren würde in der Hochsaison, bedeutet das Oktoberfest paradoxerweise vor allem eines: noch weniger Geld.

8,82 Euro pro Stunde beträgt in Westdeutschland der Mindestlohn eines Zimmermädchens. Einige traditionsreiche Hotels wie der Bayerische Hof oder das Charles Hotel zahlen mehr, sie leisten sich noch eigene Zimmermädchen. Der Großteil der kleineren und Ketten-Hotels jedoch arbeitet nicht mehr mit festangestellten Zimmermädchen zusammen, sondern mit externen Reinigungsfirmen.

Es sind Firmen wie die Prime Hotelservice International GmbH aus Aschaffenburg, die nach eigenen Angaben in 18 Münchner Hotels putzen lässt. Das Unternehmen wirbt auf seiner Homepage mit dem Slogan "Alles in bester Ordnung". Es rühmt sich damit, eine "optimale Personalplanung" zu garantieren und den Hotels "Einsparmöglichkeiten" aufzuzeigen. 1000 Mitarbeiter beschäftigt Prime deutschlandweit.

Zu leicht austauschbar

Auch in deren Verträgen steht der Mindestlohn. Um ihn zu bekommen, müssen viele Angestellte von Prime aber erst einmal eine sogenannte Akkordvorgabe erfüllen. Das bedeutet, dass eine Mitarbeiterin beispielsweise drei Hotelzimmer pro Stunde schaffen muss, um ihren vollen Lohn überhaupt zu erhalten. Schafft sie nur eins oder zwei in dieser Zeit, sinkt ihr Gehalt entsprechend. Muss sie während des Oktoberfests einen Teppich also einmal länger schrubben als vorgesehen, bleibt kaum etwas übrig. Zeitvorgaben, mit denen die Zimmermädchen um ihren Mindestlohn gebracht werden, sind laut den Tarifverträgen des Gebäudereinigerhandwerks unzulässig. Bei Prime wie auch bei anderen Unternehmen in dem Gewerbe, so berichten es Angestellte, werden sie mündlich aber immer wieder erteilt.

Druck entsteht nicht nur durch unrealistische Akkordvorgaben. Wer bei Prime einen Arbeitsvertrag unterschreibt, sichert in der Regel zu, dass er an verschiedenen Einsatzorten arbeiten wird. Die Anfahrtskosten, zum Beispiel zu einem Flughafenhotel, sind darin nicht geregelt. Im Zweifel bleiben sie an den Angestellten hängen. Auch gibt Prime keine Garantie dafür, wie viele Stunden in der Woche ein Zimmermädchen überhaupt arbeiten kann. Die Entscheidung darüber trifft der Arbeitgeber - nach Bedarf.

Milena Angelova (Name geändert) guckt ängstlich, als sie die Decke eines Münchner Fastfood-Restaurants nach einer versteckten Kamera absucht. Auch Angelova wollte Geld verdienen in Deutschland. Jetzt arbeitet sie bei Prime, sie bekommt 2,40 Euro pro Zimmer, in einer Stunde muss sie drei Zimmer schaffen, sagt sie. Beeilen müsse sie sich immer. Doch nicht nur, dass sie selbst dann noch unter Tarif bezahlt würde.

Hinzu komme: Wenn sie acht Stunden gearbeitet habe, schreibe ihr der Vorarbeiter häufig nur fünf auf, behauptet sie. Dann werde sie gezwungen, diese Angabe zu unterschreiben, die sie um drei Stunden ihres Lohnes bringe. "Eine Stunde weniger", sagt Angelova, "wäre okay, drei sind eigentlich zu viel." Warum sie trotzdem unterschreibt? Weil sich niemand beschwert, sagt sie. Weil sie arbeiten will. Und wegen der Kinder.

Sich gegen unfaire Praktiken zu wehren, ist für Zimmermädchen nahezu unmöglich. Sie sind schnell angelernt, leicht austauschbar. Die übrige Hotel-Belegschaft, von der Küchenhilfe bis zum Pagen, kann sich in der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) zusammentun. Die externen Zimmermädchen bekommen lediglich Zugang zur IG Bau, wo sie als Gebäudereinigerinnen inmitten lauter technischer Berufe recht alleine dastehen. Nur wenige wenden sich an Walter Kißling, der für die IG Bau den Bezirk Oberbayern betreut. Viele Unternehmen, sagt Kißling, nutzten "die Unwissenheit und Abhängigkeit der Zimmermädchen schamlos aus".

Akkordvorgaben, mit denen tarifliche Rechte ausgehöhlt werden, seien "gängige Praxis". Es seien ihm schon Fälle untergekommen, in denen die Stundenvorgabe ganze sieben Zimmer betrug. Das heißt: Wer den Mindestlohn sehen will, hat weniger als zehn Minuten pro Raum. Unmöglich. Die meisten Frauen kämen aus Rumänien, Bulgarien, Afghanistan, Russland und afrikanischen Ländern. "Die Schmerzgrenze", sagt Kißling, "ist bei diesen Menschen extrem hoch."

Sieben Zimmer pro Stunde

Erika Kirsch (Name geändert) kann das bestätigen. Sie arbeitet als Hausdame in einem Hotel, das Prime mit der Reinigung beauftragt hat. Kirsch hat jeden Tag mit den externen Zimmermädchen zu tun. Sie berichtet, dass sie "oft erschöpft" seien, weil "sie die Akkordvorgaben kaum einhalten" könnten. Um ein Zimmer ordentlich zu reinigen, brauche man ungefähr eine halbe Stunde. Nach ihrer Beobachtung hätten die Mitarbeiterinnen eher 15 bis 20 Minuten. Auch dass in der Branche mit der Anzahl der gearbeiteten Stunden getrickst würde, sei für Insider nichts Neues.

Zur Sicherheit für die Angestellten und das Hotel macht Kirsch inzwischen Kopien von allen Listen und Krankmeldungen, bevor sie weiter an Prime gehen. Kirsch arbeitet an der Schnittstelle zwischen Hotel und Dienstleister. Oft sind es Frauen wie sie, die sich für die Zimmermädchen einsetzen. Die ihnen sagen, dass sie Listen mit Kugelschreiber ausfüllen sollen und nicht mit Bleistift. Die ihnen notfalls auch helfen, die Zimmer fertig zu putzen.

Dem Tipp einer anderen Hausdame, sich alle Stunden zu notieren, verdankt es Ivanova, dass sie ihren Lohn vielleicht noch bekommt. 1087,73 Euro habe ihr Prime geschuldet. 519 Zimmer habe sie dafür geputzt, sagt sie. In ihrer Plastiktüte steckt ein schwarzes Buch, darin Monatsnamen mit Zahlen dahinter. Es seien die Zimmer, die ihr zustehen, sagt sie. Ein Teil ist nun bezahlt, alles noch lange nicht. Den Lohn direkt bei ihrem damaligen Vorarbeiter einzufordern, hat sie sich nicht getraut.

Wer den Geschäftsführer von Prime anruft, bekommt eine Ahnung, warum. Harry Wein ist ein höflicher Mensch. Er bleibt es so lange, bis das Wort "Vertrag" fällt. Dann sagt er, dass er am Telefon keine Auskunft gebe. Er weist aber darauf hin, dass sein Unternehmen seit 25 Jahren auf dem Markt sei, dass er Deutscher sei und seine Angestellten nach Tarif bezahle. Außerdem könne er fünf bis zehn andere Gebäudereiniger nennen, die ihre Zimmermädchen nur zu 50 Prozent bezahlten.

Und man möge doch bitte mal bei den Hotels anrufen, die seiner Firma nur fünf oder sechs Euro pro Zimmer zahlten. Man solle sich doch mal die Frage stellen, wie ein Reinigungsunternehmen da nach Tarif zahlen solle. Harry Wein regt sich noch kurz auf, dann legt er auf. Er schaltet sein Handy aus. Mails beantwortet er nicht.

Die Mitverantwortung der Hotelbetreiber

In der nächsten Woche meldet sich sein Anwalt per Telefon. Er möchte wissen, worum es geht. Er erfährt, dass es um die Vorwürfe gegen die Firma seines Mandanten geht, mit Akkordvorgaben die tariflichen Rechte der Zimmermädchen auszuhöhlen und geleistete Arbeitszeit zu unterschlagen. Stellung dazu nimmt auch er nicht.

Rund 30 Hotels im Jahr untersucht der Münchner Zoll, teils werden sie nach dem Zufallsprinzip ausgesucht - und in jedem zweiten Fall entdecken die Beamten Missstände bei der Bezahlung der Zimmermädchen. Juristisch können die Hoteldirektionen den Konsequenzen aus dem Weg gehen. Sie haben Werkverträge mit Dienstleistern wie Prime, zahlen einen Festpreis pro gereinigtem Zimmer und reichen so auch das betriebswirtschaftliche Risiko einfach weiter, dass ein Zimmer mehr Arbeit macht als gewöhnlich.

Fragt man bei den Hotels nach, scheint dort kaum jemand ein schlechtes Gewissen zu haben. Daniela Degenhart ist Hoteldirektorin im Holiday Inn Munich, auch sie hat einen Vertrag mit Prime. Sie ist sich sicher, dass es für die Hotels eine gute Lösung ist, auf Reinigungsfirmen zu setzen. "Andernfalls wären wir nur mit An- oder Abmelden beschäftigt", sagt sie. Personal sei schwer zu finden. In ihrem Hotel würden geübte Zimmermädchen pro Zimmer bezahlt.

Die meisten würden das so wollen, weil sie damit mehr Geld verdienen könnten. Dass die Mitarbeiter von Prime sich über Arbeitsbedingungen und ausstehende Löhne beschweren, ist ihr nicht bekannt. "Alles läuft korrekt", erklärt sie. Michael Littich, stellvertretender Hoteldirektor des Holiday Inn Munich - City Centre teilt mit, dass das Haus die Rechnungen der Reinigungsfirma pünktlich begleiche, aufgrund des Werkvertrages aber "keinen Einblick in die Abrechnungen" habe.

Zwar schützt der Werkvertrag die Hotels vor juristischen Konsequenzen. Von seiner sozialen Verantwortung könne sich jedoch kein Haus gesetzlich so einfach freizeichnen, sagt Martin Brandlhuber, Sprecher des Münchner Zolls. Die Hotels müssten ihre Subunternehmer beaufsichtigen, auch wenn sie Aufgaben ganz delegieren.

Wenn der Zoll bei einer Razzia unfaire Praktiken aufdecke, dann tauschten viele Häuser einfach das Reinigungsunternehmen aus, um sich "wieder eine weiße Weste zu beschaffen". Damit, sagt Brandlhuber, sei es aber nicht getan. Die Hotelbetreiber trügen eine Mitverantwortung dafür, dass in ihrem Haus niemand ausgebeutet werde. Das scheinen nicht alle so zu sehen.

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