Jenufa in der Staatsoper:Herz, Schmerz und dies und das

Falscher Psycho-Realismus: Barbara Frey inszeniert Leos Janaceks "Jenufa" an der Bayerischen Staatsoper in München.

Reinhard J. Brembeck

Leos Janaceks 1904 uraufgeführte "Jenufa", das erste Erfolgsstück des Komponisten, ist mit zwei Stunden Spielzeit eine recht kurze Oper. Manchmal sogar eine allzu kurze. Dieser Effekt tritt immer dann ein, wenn die Regie dem vermeintlich psychologisch gemeinten Realismus des Stückes aufsitzt. Was nun auch im Münchner Nationaltheater Barbara Frey bei ihrer zweiten Opernregie passiert ist. Obwohl sich das Bühnenbild von Bettina Meyer und die Kostüme von Bettina Walter redlich um größtmögliche Distanz zum mährischen Gebirgsambiente des Originals und seiner Verortung im ausgehenden 19. Jahrhundert bemühen.

Klippen, wohin man blickt. Da das Regieteam große Nähe zum Jetzt will, sieht man auch gestrandete und ausgelaufene Fässer, Windräder zur Stromerzeugung, und unter einem von ihnen ein Häuschen auf Stelzen, Jenufas einsames Zuhause. "Die Frau vom Meere" und "Peter Grimes" würden sich in dieser Umgebung wohl fühlen. Jetzt leidet hier Jenufa, doch man ahnt nicht wirklich, warum.

Barbara Frey erspart ihrer Heldin den ganz großen Absturz aus übermütigem Jugendliebesglück in die Finsternis gesellschaftlichen Außenseitertums. Wenn Eva-Maria Westbroek als Jenufa erstmals erscheint, dann weiß sie und mit ihr das Publikum bereits um jenes schnell kommende Unglück, dann steckt schon sehr viel weniger Leben denn Verzweiflung in dieser in der Folge systematisch gedemütigten Frau.

Nun wirkt die pausenlose Folge von über Jenufa hereinbrechender Katastrophen zumindest im Orchestersatz äußerst plausibel. Janacek hat Richard Wagners "Parsifal" und dessen Kunst des kleinsten Übergangs längst zugunsten einer Kunst ohne jede Übergänge überwunden. Die Musik ist aus der Perspektive eines im verwunschenen Wald verschwundenen Eremiten geschrieben, der das Menschenleben zwar voller Mitleid, aber nur in den wesentlichen Stationen betrachtet.

Episoden, Geschwätz, retardierende Elemente - darauf verzichtet Janaceks Musik völlig. Diese zur Abstraktion drängende Schnörkellosigkeit, dieser auch bei Gustav Mahler zu findende Naturlaut wird von Dirigent Kirill Petrenko und dem Staatsorchester genauso schnörkellos natürlich hingestellt. Es ist dies die große grandiose Leistung des Abends, und dass Mähren manchmal recht russisch klingt, mag nur Pedanten stören.

Angefräster Triumphklang

Groß aufgetrumpft wird musikalisch eigentlich nur in der seltsamen Schlussapotheose, deren tragisches Potential die Klänge zu großer Expansion treibt. Dass der aufgrund eines kleinen Vermögens sorglos dahinlebende Laca, der ewig schon erfolglos hinter Jenufa her war, diese kluge und einst so lebensfrohe Frau dann doch noch gegen ihre zumindest anfänglich Ablehnung kriegt, das wird orchestral porträtiert als eine recht zweideutige Mischung aus seltsamen Glück und - eventuell - grauenvoller Zukunft. Die Stärke der Musik ist hier, dass sie beides in einem angefräst erdfarben gesprenkelten Triumphklang zusammenmischt und keine klare Auskunft gibt, beides als möglich hinstellt.

Die eigenwillig zusammenstauchende musikalische Erzählweise Janaceks stellt letztlich klare Anforderungen an die Szene. Realismus und Psychologie, sagt diese Musik, sind ihr zuwider und damit auch ein allzu sehr am Verismus, seinen Schreien und antimusikalischen Leideruptionen, orientiertes Singen. In München gibt es leider von beidem zu viel. Das führt dazu, dass das hier im Übermaß auf eine Frau gehäufte Leid unglaubwürdig kolportagehaft wirkt und nicht so recht ans Herz gehen möchte - viel mehr will und kann diese metaphysisch nicht gerade im Übermaß unterfütterte Frauentragödie ja auch kaum. Zu Aufruhr, Protest Umsturz jedenfalls ruft sie in keinem Moment auf. Die Rolle der Frau in einer traditionell machistischen Gesellschaft bleibt vielmehr im Einzelfall stecken.

Laca gerät Stefan Margita - nicht unpassend - als graue Männermaus, als kleiner verdruckster Beamter, der ausgesorgt hat, der dem eigenen Liebesschicksal mit einem kleinen Messerstich nachhilft, und dessen Toleranz deshalb groß ist, weil seine Ansprüche klein sind. Wie eine Hochdruckoboe sticht Margitas Tenor durch jedes Ensemble, und seine abweisend gleißende Tonfärbung lässt niemals eine Mischung mit dem dunklen geschmeidigen Sopran der Eva-Maria Westbroek zu. Deren Jenufa nimmt jeden Schicksalsschlag hin, zunehmend verstummend. Wenn ihre Ziehmutter ihr den Tod ihres Kindes erzählt, dann kann Westbroek den Mund, aus dem kein Laut mehr kommt, nicht mehr schließen - und schon wird sie verkuppelt an Laca. In Scherenschnitten montiert das Stück stoisch Leid aneinander, das weit über jeder Sentimentalität hinausweist.

Nun unterläuft Barbara Frey ihren eigenen Psycho-Realismus in zwei zentralen Figuren, indem sie sich in ihnen abmildernd um Dezenz bemüht. Stewa, anfangs mit Jenufa verlobt, ist bei Joseph Kaiser ein harmloser Normalo, aber eben nicht Janaceks versoffener Dorf-Don-Giovanni, der den Frauen kaum mehr Beachtung schenkt als seinem alltäglichen Schnaps. Jenufas Ziehmutter wird bei Deborah Polaski zu einer streng zugeknöpften, weil von den Männern stets schofelig behandelten Frau. Recht gutbürgerlich wirkt diese strenge Gestalt, und bei allen eindringlich gesungenen Seelenqualen würde man ihr doch nie zutrauen, dass sie das Kind Jenufas und Stevas kurzerhand im winterlich eiskalten Fluss ertränken könnte.

Das liegt aber nun auch daran, dass die befremdlicherweise in die siebziger oder achtziger Jahre versetzte Bühne so gar nicht eine Gesellschaft suggeriert, in der ein uneheliches Kind die größte denkbare Katastrophe und den definitiven Ausschluss aus der Gesellschaft bedeuten würde. Da ist die gekonnt und virtuos gemachte Regie dann allzu weich, allzu nachgiebig, ungenau und versöhnlerisch. Was das kongeniale Dirigat Petrenkos und die oft recht fein gezeichneten Nebenpersonen (Heike Grötzinger, Elena Tsallagova, Anaïk Morel) letztlich dann doch nicht wirklich ausgleichen können.

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