Jazz in München:Hochgefühl im Keller

Jazzclub "Unterfahrt" in München, 2017

Jazzclub "Unterfahrt" in München, 2017 Konzert im Jazzclub "Unterfahrt" im "Kulturzentrum Einstein" in Haidhausen.

(Foto: Florian Peljak)

In 40 Jahren hat sich die Unterfahrt zu einem der führenden Jazzclubs in Europa entwickelt. Das Festprogramm unterstreicht den guten Ruf.

Von Oliver Hochkeppel

Wer in München an Jazz denkt, hat unweigerlich die Unterfahrt im Kopf. Seit 40 Jahren ist der Club das zweite Wohnzimmer der hiesigen Szene. Wobei das nicht ganz stimmt. Das ergab sich erst nach und nach, während der ersten, von 1978 bis 1998 dauernden Ära der alten Unterfahrt am Haidenauplatz. Ein kleiner Zirkel wildbewegter Freejazzer war es, der mit Fritz Otto, Herbert Straub und Mike Uitz an der Spitze ein verwinkeltes ehemaliges Eisenbahnerlokal übernommen hatte - samt eines Billardtischs auf der Bühne und des Namens, der in den Ohren englischsprachiger Menschen nicht sehr elegant klingt.

Ein gewürzkrautverhangenes Nischendasein entfaltete sich, in einer damals noch bunten Jazzclub-Landschaft mit dem international renommierten Domicile an der Spitze, dem Allotria als Hort der Traditionalisten und diversen Läden vom Nachtcafé bis zum Kleinen Rondell für die verschiedenen Geschmäcker.

Freilich machten schon damals Münchner Wohnungsnot und Preisniveau Livebühnen das Leben schwer. Auch in der Unterfahrt prallten schnell kreative Lust und wirtschaftliche Zwänge aufeinander. Um Förderung beantragen zu können, gründete man 1980, also zwei Jahre nach dem Club, den dazugehörigen Verein: den "Förderkreis Jazz und Malerei e.V.", der eine stabile Struktur schuf und zum Katalysator einer Professionalisierung wurde.

Zunächst unter der Ägide von Sepp Dachsel, dann mit Wirtin Lisl Geipel und dem mehr als 20 Jahre lang fungierenden Tandem Christiane Böhnke-Geisse und Michael Stückl wurde die Unterfahrt nicht nur zu einem professionellen Jazzclub, sondern zu einer der wichtigsten internationalen Adressen der Jazzwelt. Endgültig besiegelt wurde das 1998 mit dem Umzug in einen der Kellerräume der ehemaligen Unionsbrauerei in der Einsteinstraße. Nun hatte man adäquate Räumlichkeiten, und dank verschiedener Zuwendungen und dem eigenen organisatorischen Geschick nach und nach auch einen guten Flügel sowie eine - unlängst auf den modernsten Stand gebrachte - solide und hauptamtlich von Robert Huber betreute technische Ausstattung.

Seit Herbert Mandl und Walter Prijak sich ihrer annahmen, funktioniert sogar die Gastronomie. Ein in jeder Hinsicht geeigneter Rahmen also, um Stars aus aller Welt zu präsentieren. Und alle kamen und kommen sie, die Amerikaner ebenso wie die Skandinavier, die Größen aus der sich enorm entwickelnden heimischen und deutschsprachigen Szene ebenso wie die Ost- und Südeuropäer. Die namhaften Alten und die jungen Wilden, Etablierte (darunter Stars, die man normalerweise nicht mehr in Clubs erleben kann) und noch zu Entdeckende. Von ein paar Straßen weiter wie vom anderen Ende der Welt.

Ein Platzhirsch in der Szene

Denn schon vor dem Umzug war die Unterfahrt der Platzhirsch geworden, der - abgesehen von der Jazzbar Vogler und dem Nightclub im Bayerischen Hof - als einziger das große Club-Sterben überlebte. Und mehr noch: Dank der Kompetenz, des Idealismus und der Selbstausbeutung des Teams entwickelte sich die Unterfahrt zu einem der führenden Jazzclubs Europas. Selbst Downbeat, die legendäre amerikanische Jazz-Zeitschrift, rechnete die Unterfahrt schon bald nach der Jahrtausendwende unter die "100 Great Jazz Clubs of the World" und führt sie noch heute unter ihren "150 Leading Places".

Selbst in der Heimat gilt der Prophet zunehmend etwas: Vom Musikpreis der Landeshauptstadt München bis zum Echo Jazz wurden dem Club höchste Ehren zuteil, das Kulturreferat und andere Institutionen unterstützen ihn inzwischen kräftig. Man weiß, was man an der Unterfahrt hat: eben nicht nur das Wohnzimmer des Jazz, sondern eine unverzichtbare Institution, die den Ruf der Musikstadt München international mehrt.

Ein Aushängeschild für München

Garant dafür ist nach wie vor der Vorstandsvorsitzende Michael Stückl, der im Team mit dem Bassisten Wolfgang Schmid und Andreas Heuck inzwischen auch wieder fürs Programm verantwortlich ist. War nach einigen Abgängen bei der Programmleitung, im Büro wie im Vorstand auch Kritik an ihm laut geworden, gibt ihm die nach wie vor steigende Mitgliederzahl (1300 sind es inzwischen), die Güte des Programms und die sich von Rekord zu Rekord hangelnde Besucherzahl Recht.

Genau wie das Jubiläumsprogramm, das die tagtägliche Quadratur des Kreises bei der Präsentation dessen, was Jazz heute ist, geballt auf den Punkt bringt. Bis Sonntag spielen täglich drei Bands im Club und in den Einstein-Hallen nebenan, die alles zeigen, was die Szene zu bieten hat: von jung bis alt, von Experiment bis Entertainment, von klassischen Besetzungen bis zu ungewöhnlichen Kombinationen.

Bereits am Donnerstag ging es los mit dem ungewöhnlichen, weltmusikalischen Duo der israelischen Flötistin Hadar Noiberg und dem spanischen Pianisten Chano Dominguez, gefolgt vom Trio der japanischen Pianistin Makiko Hirabayashi (mit Schlagzeugerin Marilyn Mazur) und der wegen ihres revolutionären Technojazz-Programms weltweit begehrten Münchner Jazzrausch Bigband. An diesem Freitag ist auch der BR live dabei und sendet Ausschnitte der Konzerte des Leo Betzl Trios, des amerikanischen Weltklasse-Quartetts Oregon und vom Münchner Trio des japanischen Schlagzeugers Shinya Fukumori.

Beim Saxofon reicht der Bogen vom 17-jährigen Megatalent Jakob Manz bis zum 81-jährigen Altstar Klaus Doldinger, der zwischen dem jungen internationalen Trio Pericopes+1 und der amerikanischen Pianistin Myra Melford mit ihrem All-Star-Quintett auftritt. Generationen-übergreifend ist das Duo von Vater Wolfgang und Sohn Florian Dauner, und mit China Moses ist zum wiederholten Mal die aktuell vielleicht beste Gesangsentertainerin zu Gast, diesmal im intimen Duett mit dem Pianisten Ashley Henry.

Umrahmt werden die Konzerte von Ausstellungen (Fotos von Ralf Dombrowski, Thomas Krebs und Jan Scheffner sowie Arbeiten von Design-Studierenden der Hochschule Augsburg) und drei Dokumentarfilmen samt einem Gespräch von SZ-Feuilletonchef Andrian Kreye über das Genre der Jazzfilme. Zum Fest wird auch das lange überfällige neue Design für Logo, Homepage und Plakate gestartet.

Ob man die bis Ostern folgenden Konzerte mit Größen wie Ray Anderson, Pablo Held, Anthony Strong, Nasheet Waits oder Renaud Fons-Garcia noch dem Festprogramm zurechnet oder als normale Unterfahrt-Konzerte betrachtet, bleibt jedem selbst überlassen. Das ist ja das Wunder, dass man solche Monatsprogramme inzwischen für selbstverständlich hält. Möge dies die nächsten 40 Jahre so bleiben.

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