40 Jahre Schulmädchenreport:Graf Porno heißt jetzt Herr Bürger

Die Zeit, als Deutschland den Soft Sex entdeckte: Da war die Seidlvilla in München eine Lottervilla. 40 Jahre später erinnern sich die Akteure.

S. Saber

Sascha Hehn hat noch lange Haare. Langsam öffnet er den Reißverschluss des hautengen Overalls seiner Lehrerin, küsst sie auf die Brust und auf den Bauch - Schnitt. Das Publikum lacht. So war er also, der adrette Chefstewart vom Traumschiff!

40 Jahre Schulmädchenreport: Die Seidlvilla als Dreh- und Angelort der sexuellen Befreiung: Szene aus demSchulmädchenreport.

Die Seidlvilla als Dreh- und Angelort der sexuellen Befreiung: Szene aus dem

Schulmädchenreport

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(Foto: Foto: oh)

Konstantin Wecker ist nackt und ein richtiger Koteletten-Bär. Er stürzt seiner Freundin in einem Hechtsprung hinterher, um sie zurück ins Bett zu bringen, dem Schauplatz der Welt - Schnitt. Das Publikum johlt. Der Liedermacher war ja ein ganz Schlimmer!

Lisa Fitz wiederum nimmt im Bikini unter einem Baum an der Isar Nachhilfe in Physik und ist drauf und dran, sich von ihrem Lehrer die Potenzfunktion praktisch demonstrieren zu lassen - Schnitt. Das Publikum kreischt - so viel Physik hätte es sich bei der Kabarettistin gar nicht vorzustellen gewagt.

Es sind ältere Herren, Anzugträger, manche mit Krawatte und Pullunder, sowie viele Damen mit Seidenschal, Perlenohrring und Dauerwelle, die sich hier im Vorführungssaal des Münchner Kulturhauses Seidlvilla in Schwabing über Sesxzenen aus der Jugend von Prominenten delektieren. Der Saal ist voll, der Andrang so groß, dass sogar das Foyer bestuhlt wurde. "Wüst und bieder - 40 Jahre Schulmädchenreport" heißt die Veranstaltung an diesem Mittwochabend, zu der der Künstlerverein Seerosenkreis geladen hat. Erinnerungen an eine Zeit, als Schätzchen zur Sache ging, "Schwabinchen" den BH ablegte und Willy Brandt mehr Demokratie versprach. Und als Jung-Schauspieler mit One-Night-Stands im Schulmädchenreport über die Runden kommen mussten.

Hauptrolle des Abends spielt die Seidlvilla selbst. Sie war in den siebziger Jahren wahlweise Krankenhaus, Lehrerzimmer oder Gerichtssaal in "Aufklärungsfilmen". Zum Drehort wurde der Prachtbau vom Schulmädchenreport-Produzenten Wolf C. Hartwig erkoren. Er fertigte seine "Dokumentationen" auf Low-Budget-Niveau. Und wirklich: Fast jeder der heute oft bekannten Nackedeis aus den Filmausschnitten turnt in den dunkel getäfelten Sälen der herrschaftlichen Villa herum.

Intellektuelles Vorspiel vor sexueller Befreiung

Doch bevor es eindeutig wird - Schnitt. Voyeurismus will man sich an diesem Abend nicht vorwerfen lassen. Es geht diesmal ja wirklich um Aufklärung, nicht um blanke Busen. Die Moderatoren Brigitta Rambeck und Anatol Regnier haben sich vorgenommen, das, was früher "igitt" war, in distinguiertem Rahmen unterhaltsam und mit möglichst viel intellektuellem Vorspiel vor dem Hintergrund der sexuellen Befreiung zu diskutieren. Zu diesem Zweck wurden die Mitwirkenden all der Schulmädchenreporte, Krankenschwesternreporte und Hausfrauenreporte in die illustre Talkrunde geladen. Zumindest diejenigen, die sich an die Öffentlichkeit getraut haben.

Und so sitzen am Tisch der einstigen Lottervilla der Schauspieler und Gastronom Rinaldo Talamonti, die Pianistin und Sängerin Elke Deuringer, die Schauspieler Klaus Obalsky und Ricky Hold, der Regisseur Günther Heller und der Komponist Gert Wilden. Sie sollen nun diskutieren, ob die Schulmädchenreporte in den siebziger Jahren Ausdruck einer sich verändernden Gesellschaft oder einfach nur zynische Abzocke der Produzenten waren.

Also, bitte: Was brachte junge Männer und Frauen dazu, sich vor der Kamera auszuziehen? Wie wurde gedreht? Und was sagen die Mitwirkenden rückblickend über ihr Engagement?

Die Schauspieler hatten offenbar viele Gründe für den Einstieg in das Soft-Sex-Filmeschäft. "Trotz Mann und zwei Kindern wollte ich unbedingt Musik studieren. Doch mein Mann war Bergsteiger und wollte mir das Studium nicht finanzieren" - so hat sich Elke Deuringer das Geld für die Gesangsstunden mit Nebenjobs verdient und als Modell gearbeitet. "Zu Beginn bot mir Hartwig 400 Mark für einen Drehtag, dann erhöhte er auf 800 Mark. Da hab ich dann zugesagt." Elke Deuringer lacht. Sie hat gute Laune und bereut nichts.

Auch Rinaldo, der als 14-Jähriger als Kind von Gastarbeitern aus Italien nach Deutschland kam, war am schnellen Geld interessiert. Immerhin musste er ja seine Frau und später seine kleine Familie ernähren. Da traf es sich gut, dass Latin Lovers damals hoch im Kurs standen. Auf ein Inserat, in dem nach "jungen Mädchen" gesucht wurde, meldete sich der knapp 1,60 Meter kleine, gelockte Italiener, der damals nur etwas Bayerisch verstand - und wurde vom Fleck weg engagiert. In 48 Filmen stand Rinaldo vor der Kamera, unter anderem in Graf Porno und die liebesdurstigen Töchter und Gelegenheit macht Triebe, zuerst noch mit Souffleuse an der Seite. Ein Standhafter unter den Schwabinger Kunstgewerblern.

Nachhelfen mit Pflastern

Heute dürften die ergrauten und beperlten Damen ihren Jungmädchenschwarm kaum wiedererkannt haben: Die Locken sind ab, die Haare silbern. Graf Porno ist brav geworden.

"Nicht so leger wie daheim"

Da ist der Wiedererkennungswert bei Klaus Obalsky größer, was wohl auch dem nicht ganz natürlichen Farbton seiner Haare zuzuschreiben ist. Als "einer der wenigen wirklich authentischen Schüler" im Schulmädchenreport verdiente Klaus Obalsky neben dem normalen Unterricht sein Taschengeld in der Schulkulisse der Filmer. Er war beim Trampen mit seiner Freundin angesprochen worden und turnte von da an vor Kameras herum. "Null Erotik war das, nur harte Arbeit" meint er heute.

Um sechs Uhr morgens wurden die Schauspieler abgeholt, um acht Uhr ging es dann in die Ganzkörpermaske. "Es hat Disziplin geherrscht. Mal rauf, mal runter, aber immer mit Abstand. Das musste fachmännisch gemacht werden, technisch stimmen. Nicht so leger wie daheim", beschreibt Rinaldo den Drehalltag. Die blutjungen Protagonisten waren so nervös, dass der Natur oft mit fixierenden Pflastern etwas nachgeholfen werden musste, erzählt Deuringer. In den Drehpausen gab es Pressack und Würstel.

Klaus Obalsky antwortet auf die Frage, wie er seine Rollen heute rückblickend beurteile: "Ich bin dem Schulmädchenreport dankbar. Er war mein Einstieg in die Schauspielerkarriere. Kaum anderthalb Jahre später hatte ich ein Engagement an den Münchner Kammerspielen." Und auch Elke Deuringer sieht es positiv, vor der Kamera die Hüllen fallen gelassen zu haben: "Es hat mich vorwärts gebracht, mir selbst auf der Bühne etwas zuzutrauen."

Sascha Hehn, Konstantin Wecker und Lisa Fitz aber wollen heute von ihrer filmischen Vergangenheit in der Seidlvilla nichts mehr wissen. Sexuelle Befreiung hin oder her - offensichtlich ging es bei den "Aufklärungsfilmen" doch bloß um das eine: Geld. Und eben das geben alle Anwesenden des Abends offen zu.

Heute können sie drüber lachen.

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