50 Jahre nach dem Brühne-Prozess:Mordprozess voller Mängel

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Bis heute ist es der spektakulärste Kriminalfall in München: Vera Brühne soll den Arzt Otto Praun und dessen Haushälterin ermordet haben. Vor 50 Jahren fiel das Urteil. Zweifel an dem Schuldspruch gibt es noch heute.

Erwin Tochtermann

Vor genau 50 Jahren erging in einem der aufsehenerregendsten Strafprozesse, die je in München stattgefunden haben, das Urteil. Es befand die Hausfrau Vera Brühne, 52, und den Montageschlosser Johann Ferbach, 48, schuldig des Mordes an dem Arzt Otto Praun und seiner Haushälterin Elfriede Kloo und verhängte gegen die beiden Angeklagten - dem damaligen Gesetzestext entsprechend - lebenslanges Zuchthaus.

Vor 50 Jahren wurde Vera Brühne in einem spektakulären Prozess wegen Doppelmordes zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. (Foto: Rauchwetter/dpa)

Frau Brühne reagierte auf den Spruch so fassungslos, dass die Sitzung unterbrochen wurde, um ihr eine Erholungspause zu gewähren. Es sah nicht nach einer gespielten Szene aus, Brühnes Entsetzen wirkte echt. So, als habe sie sich etwas anderes als einen Freispruch gar nicht vorstellen können.

Theoretisch wäre ein Freispruch durchaus möglich gewesen, wenn das Gericht der Argumentation der Verteidiger Franz Moser und Heinz Pelka gefolgt wäre. Es schloss sich aber in vollem Umfang der Auffassung des Staatsanwalts Karl Rüth an, wonach Vera Brühne ihren Mitangeklagten zu der Bluttat aus Habgier angestiftet hatte: Sie habe befürchtet, Praun könnte sein Testament ändern, das sie als Erbin seiner Finca in Spanien vorgesehen hatte.

Dieses Motiv war denkbar, aber durch nichts zwingend erwiesen. Und glaubwürdig wurde es nur dadurch, dass die Angeklagte, die bis zur Verhaftung mit ihrer Tochter in ihrer Eigentumswohnung in der Kaulbachstraße lebte, sich ihre elegante Kleidung selbst schneiderte und nie einen Mann bei sich übernachten ließ, mit Hilfe zweifelhafter Zeugen zu einem eiskalten, geldgierigen Luder hochstilisiert worden war, dem alles zuzutrauen war.

Für die Öffentlichkeit in der verklemmten und prüden Adenauerzeit war das ein gefundenes Fressen. So gesehen konnte das Gericht davon ausgehen, wirklich "im Namen des Volkes" geurteilt zu haben.

Das galt allerdings nicht für den Mitangeklagten, bei dem sich keinerlei Hinweise auf erotische Ausschweifungen finden ließen. Ihm unterstellte die Kammer einfach eine durch nichts bewiesene sexuelle Hörigkeit, die ihn zum willigen Werkzeug von Brühnes Mordplan gemacht habe. Damit die Schöffen dabei mitzogen, bediente man sich des Betrügers und Polizeispitzels Siegfried Schramm, der bekundete, Ferbach habe ihm in der Zelle den Doppelmord gestanden.

Diesen Zeugen charakterisierte ein Münchner Richter 1962 als einen "für die Rechtspflege gefährlichen Lügner", aber das Schwurgericht glaubte ihm - nolens volens. Denn ohne seine Aussage hätte Ferbach nicht verurteilt werden können, und damit wäre auch der Vorwurf gegen Brühne in sich zusammengebrochen.

Dass dieser Kriminalfall Anlass noch immer Anlass zu so vielen Zweifeln gibt, lag freilich auch an einem Geburtsfehler: Als die Opfer am 19. April 1960, dem Dienstag nach Ostern, aufgefunden wurden, ging die Polizei von einem erweiterten Selbstmord aus, bei dem Praun erst seine zeitweise mit ihm liierte Haushälterin und dann sich selbst erschossen hatte. Da auch Günter Praun, der Sohn des Opfers, diese Meinung teilte, unterblieben alle bei Mord üblichen Ermittlungen.

Erst nachdem Vera Brühne als Erbin der Finca feststand, wurden auf Betreiben des Sohnes die Leichen exhumiert und obduziert. Und dabei fanden sich im Schädel des Arztes zwei Einschüsse, was einen Selbstmord ausschloss. Die daraufhin aufgenommenen Ermittlungen litten unter anderem daran, dass entscheidende Beweismittel nicht direkt am Tatort von der Polizei sichergestellt wurden, sondern erst Monate später, als sie schon durch andere Hände gegangen und möglicherweise verfälscht worden waren.

Dass sie gleichwohl als Schuldbeweis dienten, ist einer der vielen Mängel dieses Prozesses. Mit ihren krampfhaften Bemühungen um ein Alibi trug allerdings auch Vera Brühne selbst dazu bei, dass sie schuldig gesprochen wurde.

Im Dezember 1962 lehnte der Bundesgerichtshof die Revision ab, das Urteil wurde damit rechtskräftig. Es hielt im Lauf der Jahre zehn Wiederaufnahmeanträgen stand, auch solchen, die eine Wiederaufnahme eigentlich zwingend gerechtfertigt hätten. So hätten die von der Verteidigung vorgetragenen Gutachten, wonach der Tod der Opfer nicht zum vom Gericht angenommenen Zeitpunkt eingetreten sein konnte, zu einem neuen Prozess führen müssen.

Denn für die dann in Frage kommenden Tatzeiten hatten die Angeklagten ein Alibi. Auch dafür, dass Praun ein Opfer von Aktivitäten im illegalen Waffenhandel geworden sein könnte, wie es Hark Bohm in seinem Brühne-Film von 2001 als Möglichkeit dargestellt hat, gab es gewichtige Hinweise, die aber den Verurteilten nicht halfen. Ferbach war schon 1970 in Straubing gestorben, Vera Brühne durfte nach ihrer Begnadigung durch Franz Josef Strauß 1979 noch über 20 Jahre zurückgezogen in Freiheit leben.

Der vielfach als Skandal bezeichnete Schuldspruch aber gilt immer noch. Als sie in der Karwoche 2001 starb, schrieben Boulevardblätter über den Tod einer Doppelmörderin.

© SZ vom 04.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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