10 Jahre Literaturhaus:Kahn, Schröder, Grass - und OP-Schwestern

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Was für eine Bühne: Das Münchner Literaturhaus feiert seinen zehnten Geburtstag - ein Rückblick in Anekdoten.

Christian Mayer

Literarische Andacht vor den Türmen der Theatinerkirche: Stille im Saal, wenn Louis Begley von Venedig flüstert, wenn Martin Suter seine überwiegend weiblichen Fans in Bann schlägt oder Jonathan Franzen öffentlich seine Münchner Trinkgelage beichtet.

Schlangestehen, wenn Martin Walser nach einer kraftvoll-alemannischen Lesung seine Werke signiert, von sich und seinem Publikum gleichermaßen ergriffen.

Alle waren sie da: geschniegelte Popliteraten, weißhaarige Thomas-Mann-Priester, unrasierte Krimiautoren, amerikanische Bestsellerlieferanten in abgewetzten Lederjacken, scholllatourige Weltuntergangs-Propheten, sogar Kanzler Gerhard Schröder, der erst seinen Charme spielen ließ und dann über Medienmacht und Medienmanipulation stöhnte. Manchmal wurde auf offener Bühne gesungen und getanzt, sofern es der Anlass zuließ.

Gut, gepflegte Langeweile gab es gelegentlich auch. Nicht in jedem Schriftsteller, der sich am Salvatorplatz präsentiert, steckt ja ein Entertainer; nicht jeder Text ist ein Erlebnis.

In dieser Woche wird der Ort, wo die Stimmen Gestalt annehmen, zehn Jahre alt. Das Münchner Literaturhaus, das am 5. Juni 1997 von Oberbürgermeister Christian Ude nach einer komplizierten Bau- und Finanzierungsgeschichte mit nachdenklichen Worten eröffnet wurde, könnte sich also gebührend feiern lassen.

Und Hausherr Reinhard G. Wittmann dürfte zu Recht auf die Bedeutung seiner Institution für die Verlagsstadt München hinweisen, auf die vielen Ausstellungen, Seminare, Diskussionen und Themenabende. Doch die Geburtstagsparty ist verschoben.

Im Haus sind die Bauarbeiter zugange. Die Gastronomie, bisher in den Händen der Dukatz-Betreiber, wird renoviert und konzeptionell verändert. Am 27. Juni wird das neue Lokal feierlich eröffnet, und dann, sagt Wittmann, "hat das Literaturhaus endlich ein richtiges Portal, eine Eingangsfront, die auf uns verweist. Und ein Erdgeschoss, in dem die Literatur zu Hause ist".

Anfangs, auch das gehört in die Annalen, war die Skepsis im Münchner Kulturbetrieb beträchtlich. Zwar wurde die Architektur des von Uwe Kiessler umgebauten Literaturhauses allgemein gepriesen, der Sinn und Zweck der Institution jedoch von einigen mit höhnischem Unterton angezweifelt.

Im Februar 1998 entgegnete Herbert Riehl-Heyse den Kritikern in der Süddeutschen Zeitung: Warum sie denn ständig am Literaturhaus herumnörgelten, "wenn doch die dickköpfigen Leute trotzdem dauernd hinrennen". "Dieser Zwischenruf hat uns schon gut getan", sagt Reinhard Wittmann, der in den kommenden Jahren einen steten Publikumszulauf registrierte.

Mehr als 30 000 Besucher kommen im Jahr zu etwa 150 Veranstaltungen, im vergangenen Jahr waren es sogar 40 000. Eine respektable Resonanz, denn literarische Lesungen sprechen immer nur eine Minderheit an, sie sind kein Massenspektakel.

Manchmal aber doch. Als Bret Easton Ellis ("American Psycho") im März 2006 nach München kam, wollten ihn 800 Fans erleben, was die Dimensionen des Literaturhauses sprengte: Ellis, der immer gerne den Provokateur gibt, saß nassgeschwitzt vor der Leselampe im Audimax der LMU.

Nur mit Mühe konnte er zuvor, vom Lampenfieber völlig übermannt, aus seiner Suite im Bayerischen Hof gelockt werden. Noch größer war der Publikums-andrang beim Schweden Henning Mankell, der es im großen Hörsaal der TU mit seinen Mordgeschichten auf 1100 Zuhörer brachte. So viel Aufmerksamkeit können die wenigsten Autoren auf sich vereinen, viele müssen sich mit einem elitären Zirkel begnügen, was noch nichts über die Qualität ihrer Werke aussagt.

In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Spielregeln in der Branche merklich verändert. Man muss nicht mehr zum Telefon greifen, um einen Schriftsteller zu verpflichten; die Verlage selbst schicken ihre Autoren auf minutiös geplante Lesereisen, die meist einen Zwischenstopp am Salvatorplatz vorsehen.

Oft sind es Münchner Großverlage, die Buchpremieren inszenieren, und zwar nach allen Regeln der Marketingkunst. Auch kleinere Kulturveranstalter tragen zur Vielfalt bei. Einmal verwandelte sich der Saal im dritten Stockwerk sogar in ein regelrechtes Fernsehstudio: Als Oliver Kahn im Mai 2004 gemeinsam mit Senta Berger seine Bekenntnisse mit dem Titel "Nummer eins" präsentierte - vor 120 Journalisten aus ganz Deutschland. Mit großer Sicherheit auf der Linie parierte Kahn alle Fragen nach seinem Privatleben und schilderte eloquent seinen Job als einsamer Welttorhüter.

Wer das Literaturhaus aufsucht, ist in der Regel ein Eingeweihter; er gehört zum engeren Kreis der Büchermenschen und hat, anders als der Theaterbesucher, häufig eine genaue Ahnung davon, was ihn erwarten könnte. "Die Leser wollen selbst sehen, wie der Mensch aussieht, der ihre Lieblingsbücher schreibt", erklärt Wittmann die Faszination.

"Bei uns erfahren die Autoren eine besondere Wertschätzung, fast schon eine Ehrerbietung." Viele Besucher wollen den Menschen verstehen, in dessen Gedankenwelt sie eindringen, was nicht immer gelingt.

Und nicht jeder Autor drängt sich ins Scheinwerferlicht, was man am Auftritt des südafrikanischen Nobelpreisträgers J. M. Coetzee studieren konnte - es war 2003 seine einzige Veranstaltung in Deutschland.

Es gab Momente, in denen die Literatur über die Wirklichkeit triumphierte: Etwa als die Besucherin einer Hemingway-Lesung in Ohnmacht fiel, weil Schauspieler Heino Ferch die Geschichte von einem Kaiserschnitt im Urwald vorlas - und rhetorisch das Buschmesser aufklappte.

Dass Schriftsteller manchmal ihrem Klischee gefährlich nahe kommen, zeigte sich beim Besuch von Michel Houellebecq, der einer Mitarbeiterin des Literaturhauses sogleich einen Heiratsantrag machte - und nach dem nächsten Swingerclub fragte.

Inzwischen wird die Bühne am Salvatorplatz für alle möglichen Preis-verleihungen und Festlichkeiten genutzt. Franz Xaver Kroetz ließ sich von drei jungen Schauspielerinnen, die seine Kurzgeschichten vortrugen, zum 60. Geburtstag beschenken. Und Joachim Kaiser wurde an gleicher Stelle in den Rang eines Klassikers erhoben, als ihm zum 75. Geburtstag eine Werkausgabe und eine Ausstellung gewidmet wurden.

Ein anderer Autor fand dagegen nicht mal den Weg ins Literaturhaus, ein Schwarm wütender Bienen hatte ihn außer Gefecht gesetzt - und so wurde beim Truman-Capote-Open-Air im vergangenen Sommer heftig improvisiert. Aber wenn die Sache leicht aus dem Ruder läuft, sind das die schönsten Abende im Literaturhaus.

© SZ vpm 9.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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