40 Jahre Ikea:Das Ende der Dunkeleiche

40 Jahre Ikea: Die Echinger Ikea-Filiale kurz nach der Eröffnung im Oktober 1974.

Die Echinger Ikea-Filiale kurz nach der Eröffnung im Oktober 1974.

(Foto: privat)

Vor vier Jahrzehnten eröffnete der schwedische Möbelkonzern die erste Filiale Deutschlands in Eching nördlich von München. Begeistert statteten die Menschen ihre Wohnungen im skandinavischen Stil aus - und verzweifelten manchmal noch bevor die ersten "Billys" standen.

Von Erich C. Setzwein

Die Pappschachtel ist innen anthrazit und außen rot, sie wird zusammengehalten von schwarzen Plastikclips und hat einen Deckel. Vielleicht auch deshalb, weil der Karton außen mit abwaschbarem Plastik bezogen ist, ist er vielfältig genutzt worden und hat alle Umzüge überlebt. Die Schachtel ist jetzt 40 Jahre alt und stammt aus der ersten Kollektion, die Ikea in seiner Echinger Niederlassung angeboten hat. Sie ist eines von mehreren Überbleibseln aus einer Zeit, in der sich vorwiegend junge Leute ihre ganz eigenen Wohnwelten schufen, indem sie, mit einem Sechskant-Inbusschlüssel ausgestattet und mit viel Geduld gesegnet, den manchmal nicht ganz nachvollziehbaren Aufbauanweisungen folgten und "Billys" zusammenschraubten oder eben Pappschachteln falteten und clipsten.

Die rote Schachtel gehörte zu einer Art Erstausstattung für ein Jugendzimmer, das der Zeit und der damals in Bayern völlig neuen, schwedischen Lebensart entsprechend farblich angepasst werden sollte. Die schwere Dunkeleiche in den Münchner Wohnzimmern hatte schon durch Pop- und Schockfarben sowie durch Otl Aichers allgegenwärtige Olympia-Pastelltöne Konkurrenz bekommen, da kamen die Schweden mit ihren rohen Nadelholzmöbeln, chromglänzenden Rohrsesseln und bunten Teppichen nach Eching. Sie verankerten ihr Mutterschiff auf der grünen Wiese, weit weg von der eigentlichen Ortschaft, in der damals um die 5000 Menschen lebten. Ein Möbelkatalog wurde aufgelegt und großzügig verteilt, der Titel: "Wer jung ist, hat mehr Geschmack als Geld". Die Preise waren in D-Mark und im Vergleich zu den etablierten Möbelfachgeschäften billig.

Keine Möbel für die Ewigkeit

40 Jahre Ikea: Das Kissen kam mit in den Einkaufswagen, und nach der Kasse holte man den ausgesuchten Bettkasten als flaches Paket im Pappkarton extra ab.

Das Kissen kam mit in den Einkaufswagen, und nach der Kasse holte man den ausgesuchten Bettkasten als flaches Paket im Pappkarton extra ab.

(Foto: Stephan Rumpf)

Mit der Gemeinde, in der sich der deutsche Ableger der schwedischen Möbelfabrik niedergelassen hatte, verband Ikea die Firmenfarben, die sich im Gelb-Blau des Echinger Wappens wiederfanden. Die Neugierigen - 30 000 sollen es in den ersten Tagen der Eröffnung im Oktober 1974 gewesen sein - suchten auf Straßenkarten nach dem Ort mit dem "unmöglichen Möbelhaus" im Landkreis Freising und machten sich - am besten im VW-Bus wegen der immensen Ladekapazität - auf oft lange Wege.

Doch auch wenn die Nähe zur Landeshauptstadt vorwiegend Studenten zu Ikea-Neukunden machte, so kam doch auch vom Land die Jugend samt Eltern und deren Geldbeutel ins neue Gewerbegebiet - um dort unter Leuchtstofflampenlicht den Sessel mit Karobezug für 124 Mark genau zu untersuchen, den die Freunde schon hatten, oder das Ivar-Regal mit seinen unzähligen Möglichkeiten zu begutachten. Vor allem Väter richteten ihre kritischen Heimwerkeraugen auf die Machart aus Skandinavien. Es waren schlichte Möbel, aber mit Pfiff, gemacht nicht für die Ewigkeit wie in den Generationen zuvor, aber ausreichend für neun Semester Geisteswissenschaften. Möbel, die nicht vererbt werden mussten, sondern höchstens dem Nachfolger in der WG hinterlassen wurden.

Billy statt Obstkiste

40 Jahre Ikea: Das erste Möbelgeschäft seiner Art in Deutschland lockte damals vor allem junge Leute an.

Das erste Möbelgeschäft seiner Art in Deutschland lockte damals vor allem junge Leute an.

Wer heute die Qualität der Ikea-Produkte lobt, hat wohl nie zwei Meter hohe sowie 90 Zentimeter breite Billy-Regale in die Altbauwohnung, vierter Stock links, getragen. Unglaublich schwere Spanplatten, mit matt-weißem Lack überzogen und Stahl- und Messingbeschlägen. Oben angekommen, wurden sie rasch zusammengeschraubt und mit Literatur befüllt, die bis dahin in Obstkisten vom Tengelmann lagerten. Ohne störende Schranktüren mit Butzenglasscheiben wie im Wohnzimmer der Nachbarwohnung leuchtete nun die stetig wachsende regenbogenfarbene Taschenbuchsammlung der Edition Suhrkamp vom Regalbrett.

Echte Billy-Fans ließen sich später auch von den Horror-Geschichten über schädigendes Formaldehyd im Pressspan nicht dazu hinreißen, ihre Bücherdepots auszusondern. Heute ist Billy immer noch im Katalog, es gibt es immer noch in weiß, aber auch in anderen Farben, es ist viel leichter, nicht mehr lackiert und hält auch nicht mehr so viele Umzüge aus. Einen Vitrinenschrank kann man mittlerweile aus Billy mit zwei schicken Glastüren machen, die der seinerzeitigen Offenheit entgegen gestanden hätten.

40 Jahre Ikea: Mit der Gemeinde, in der sich der deutsche Ableger niedergelassen hatte, verbanden Ikea die Farben, die sich im Gelb-Blau des Wappens wiederfanden.

Mit der Gemeinde, in der sich der deutsche Ableger niedergelassen hatte, verbanden Ikea die Farben, die sich im Gelb-Blau des Wappens wiederfanden.

(Foto: Marco Einfeldt)

Schockierend Neues und viel Provisorisches

Überhaupt gehörte die Ungezwungenheit zum Verkaufsprinzip. Da war so viel Provisorisches und für manche Ältere auch schockierend Neues. Riesige Kartons standen etwa herum, aus denen man die mit Schaumstoffflocken prall gefüllten Kissen angelte. Und nirgends ein Verkäufer, der die Kunden beschwatzte oder einbremste. Für besagtes Jugendzimmer durfte es ein quadratisches Kissen mit rot gestreiftem Bezug sein, dazu zwei kleinere blaue Kissen. Die flach zusammengelegte Pappschachtel kam mit in den Einkaufswagen, und nach der Kasse holte man den ausgesuchten Bettkasten als flaches Paket im Pappkarton extra ab.

Daran hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Die nüchterne Lagerhausatmosphäre des Echinger Gewerbebaus von damals ist heute aber kaum mehr zu spüren. 2001 wurde das Gebäude innen umstrukturiert und umgebaut, jede Saison bauen Innenarchitekten neue Gesamtlösungen für die 35 Quadratmeter kleine Zweizimmerwohnung oder die schwarz-hochglänzende Küche für die Hobby-Kochshow. Der Geruch dort ähnelt heute noch dem früherer Zeiten, in dem sich die Ausdünstungen gerade getrocknetem Klarlacks mit dem frischen Schaumstoffs, dem rohen Tannenholzes und dem Köttbullar-Aroma aus dem Restaurant mischten und so zu einem unverkennbaren Ikea-Odeur wurden. Wer zu Wohnungseinweihungen eingeladen wurde, der konnte schon auf der Türschwelle am Geruch erahnen, dass hier einer vom Zusammenschrauben des Schlafzimmerkleiderschranks sicher noch Blasen an den Händen hatte.

NIcht immer lief alles glatt

In der Erinnerung blieben aber nicht nur die Einkaufsfahrten nach Eching, sondern auch die äußerst ärgerlichen Umtauschaktionen und Ersatzteilbeschaffungen. Oft vergingen Wochen zwischen dem Beginn eines Möbel-Zusammenbaus und dessen Benutzung. Weil eine Schraube fehlte, weil irgendwo einer nicht zusammenzählen konnte, dass zwei Türen vier Scharniere brauchten, weil Plastikstopfen beim Hineinhämmern abbrachen und so weiter.

Aus der Not machten einige eine Tugend und fertigten aus Ikea-Einzelteilen mit Material aus den ersten Baumärkten eigene Möbelkreationen, legten Stromkabel in Badezimmerschränke und verbauten Mehrfachsteckdosen, was jeder VDE-Vorschrift widersprach. So entstand eine Identifikation mit den Produkten, die nicht nur aus Schweden nach Eching geliefert wurden, sondern auch aus Deutschland, dem anderen Deutschland allerdings, der DDR. Nur wusste man das damals noch nicht oder wollte es nicht wahrhaben. Genauso wenig wie Formaldehyd im Billy.

Ivar, das flexible Holzregalregal, das man so schön bunt anmalen konnte, hat es nie in das Jugendzimmer geschafft. Es wurde vom elterlichen Geldgeber als "windig" eingestuft, stattdessen wurde aus viel Kiefernholz eine schwere Eigenkonstruktion errichtet. Das Regal steht heute noch dort, aber es ist, anders als die rote Pappschachtel, nie umgezogen.

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