100 Jahre Arri:Logenplatz für Cineasten

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Das Arri-Kino, ursprünglich Vorführraum für Firmenkunden, hat große Zeiten des Films erlebt. Jetzt steht ein Umbau an

Von Anna Steinbauer

Popcorn gibt es keines. Obwohl es ein Kino ist. Das gehört hier im Arri an der Türkenstraße zum Konzept. Als "bewusste Politik" bezeichnet Filmemacherin Dagmar Hirtz diese Entscheidung, an der sie zusammen mit ihrem Geschäftsführer-Kollegen Christoph Ott festhält. Denn an der Popcorn-Frage scheiden sich offenbar die Geister von Mainstream- und Arthouse-Besuchern. Erstere verlangen ausdrücklich danach, letztere bekunden oftmals ihr Wohlwollen darüber, dass es weder Süßes noch Salziges gibt. Und als Kino mit legendärer Arthouse-Tradition, das aber schon immer auch Ausflüge ins Kommerzielle unternimmt, wie Hirtz es formuliert, wollen die Arri-Betreiber einen klaren Standpunkt einnehmen.

Seit vielen Jahren ist das 1958 unter dem Namen "Arri-Filmtheater" gegründete Kino ein Treffpunkt von Filmschaffenden und Filmliebhabern. Und das soll es auch bleiben - trotz des bevorstehenden Umzugs der Firma in die Parkstadt Schwabing. Seit fünf Jahren steht fest, dass Arri sich dort ein neues Hauptquartier errichten lässt. Kurz vor dem Baubeginn im Mai 2017 bekannte sich der Vorstand aber auch zum Standort in der Maxvorstadt und stellte klar, dass das Stammgelände an der Türkenstraße nicht verkauft werden soll. Auch das Kino bleibt, wird umgebaut und erweitert. Was genau mit dem übrigen Gelände passiert, dazu gibt es bisher keine Details. Es soll moderat umgestaltet und vermietet werden, sagte zuletzt Arri-Vorstandsmitglied Jörg Pohlman. Das Areal zwischen Kunstakademie und Kameraverleih liegt im Herzen der Maxvorstadt. Der vertraute blaue Schriftzug auf der schmucklosen Hausfassade bekundet, dass es sich bei dem Gebäudekomplex um das Arri-Werksgelände handelt. Lediglich eine alte Stecktafel an der Fassade verrät, welche Filme im Kino gerade laufen. Glamourös wirkt auch das Innere nicht. Ein schlichter Vorraum mit grauer Marmorbar und Achtzigerjahre-Kongresshallen-Charme, weißen Sessel, Musik läuft angenehmerweise keine. Seit dem letzten Umbau Mitte der Achtziger Jahre sieht das Kino so aus. Nur die Schaukästen für die Plakate wurden erst später installiert, erzählt Ana Radica, ehemalige Assistentin der Theaterleitung und heute Inhaberin einer Presseagentur im Bereich Film und Fernsehen. Früher war das "Neue Arri" - so hieß es von 1974 bis zum Umbau 1985 - ein "schrabbeliges Kino", wie Radica es formuliert: Es gab nur eine Kasse mit einer kleinen Theke, die Wände waren bordeauxrot, es war dunkel. Ein typisches Studentenkino. Viele französische und italienische Filme wurden gezeigt - das, was man heute Arthouse nennt. Neben dem Türkendolch, dem Isabella und den Kuchenreuther-Kinos war das Arri ein zentraler Ort für Cineasten. "Ein klassisches Kino mit einem an anspruchsvollen Filmen interessierten Publikum", sagt Radica, "für uns war es wie eine kleine Heimat."

Hinter unscheinbarer Fassade verbirgt sich ein Tempel für Filmfreunde und -schaffende. Das Arri-Kino hat schon viele Premieren erlebt. (Foto: Florian Peljak)

Eröffnet wurde das Kino am 22. Dezember 1958 mit dem Anti-Kriegsfilm "Die Brücke am Kwai". Auch der Filmemacher Edgar Reitz lernte das Kino damals als Student kennen. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihm die Spätvorstellungen: "Die Nachtschwärmer gingen um 23 Uhr in die Eddie-Constantine-Filme." Diese liefen über Jahre und hatten eine feste Tradition. Mit dem ein oder anderen Bier saß man in der Vorstellung und nahm regen Anteil am Filmgeschehen - inklusive der "Eddie, bleib sauber!"-Zwischenrufe.

Die Firma Arri hatte das Kino ursprünglich bauen lassen, um als Filmtechnik-Firma einen Test- und Vorführraum für seine Kundschaft zu haben. Daher wurde es schon immer in einer Doppelfunktion betrieben: Tagsüber fanden Kopienabnahmen oder Pressevorstellungen statt, abends lief der normale Kinobetrieb. Das Arri spielte also eine große Rolle in einem Filmemacherleben, da man es zunächst als Abnahmekino für die eigenen Filme betrachtete, wie Reitz sagt: "Erste Vorführungen fanden hier in einem richtigen Kinosaal mit gepolsterten Sesseln auf hohem technischem Standard statt. Das gab einem ein erstes Gefühl für den Weg, den der Film gehen sollte." Das neueste Werk wurde dann dem Verleih oder verschiedenen Festivaldirektoren präsentiert. Reitz zeigte im Arri 1967 dem Leiter der Filmfestspiele Venedig seinen ersten Film "Mahlzeiten", der dann dort als bestes Erstlingswerk ausgezeichnet wurde.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren war es das Premierenkino der Stadt. "Im Arri liefen die künstlerisch interessanten Filme, und der Pionier- und Aufbruchsgeist des Neuen Deutschen Film herrschte hier", sagt Hirtz. Auch Reitz feierte in dem Kino an der Türkenstraße einige Premieren: 1977 etwa mit dem Film "Stunde Null" oder 1984 mit seinem Filmepos "Heimat 1". Als großer Vorteil erwies sich der technisch hochwertig ausgestattete Saal mit seinen aufsteigenden Sitzreihen und der Bühne. Nirgendwo sonst in München könne man eine bessere Projektion finden, lobt Reitz: "Das Arri hat ausgezeichnete Techniker, die schönste Leinwand, perfekt justierte Maschinen und die verlässlichste Formateinstellung." Selbst Stanley Kubrick soll das Kino für den Film "Barry Lyndon" als Premierenort bestimmt haben. Und heute? Auch an dem Kino mit den 354 Sitzplätzen im einzigen Saal sind die Veränderungen in der Branche nicht spurlos vorübergegangen. Doch bei der Stammkundschaft ist es weiterhin beliebt. Neben dem gehobenen Mainstream-Filmprogramm finden Sonderveranstaltungen wie der "Treffpunkt Filmkultur" statt, zudem ist das Arri Spielort des Münchner Filmfests und des Dokumentarfilmfests. Und das Kino ist nach wie vor ein Ort, an dem man sich trifft, ein Feierabendbier trinkt und den Maxvorstadt-Klatsch austauscht. "Viele Stammgäste sehen sich die Filme nur an, weil sie hier laufen", sagt Thomas Empl. Der 25-Jährige ist stellvertretender Theaterleiter und arbeitet seit viereinhalb Jahren im Arri. "Einige kommen auch nur zum Kaffeetrinken." Manch einer sitzt dann auch mal fünf Stunden da, doch das stört niemanden. Studenten der Filmhochschule arbeiten hier und auch Kunststudenten der benachbarten Akademie sieht man. "Das Arri ist ein entspannter Ort, sehr familiär.

Schauspieler wie Katharina Schüttler und Christian Friedel nutzen die Gelegenheit zum Auftritt auf dem roten Teppich. (Foto: Florian Peljak)

Ein Profitgedanke existiert hier nicht so sehr", sagt Empl. Noch heute merkt man dem Kino seine große Vergangenheit an. Einige Schwabinger erzählen an der Theke von Fassbinder-Filmen, die sie einst gesehen haben. Der Glanz von damals lebt immer wieder dann kurz auf, wenn ein paar der bekannten Filmgrößen vorbeikommen. Manchmal kauft Margarethe von Trotta eine Kinokarte, ab und zu schaut Klaus Lemke vorbei. Phasenweise taucht er auf, vielleicht auch nur zum Zähneputzen, sieht sich den Anfang eines Filmes an und das nächste Mal den Rest. In jüngster Zeit sei bei den Filmfest-Premieren etwas von dem früheren Filmenthusiasmus zu spüren gewesen, meint Hirtz: "Da kommt etwas von dem alten Geist durch, da lebt noch mal was auf."

Was wohl die Zukunft bringt? Umgebaut wird, das steht fest, Anfang 2018. Einen neuen Betreiber gibt es schon, der erfolgreich Luxuskinos in ganz Deutschland führt. Die Pläne sind groß, spekuliert wird derzeit viel. "Wir werden alles dazu tun, dass der alte Geist im Arri erhalten bleibt", heißt es seitens der Geschäftsführung. Und was wünschen sich die Mitarbeiter? "Ich hoffe, dass niemand Radiomusik spielt und die Stammgäste vergrault", sagt Empl. Und die Sache mit dem Popcorn - man wird sehen.

© SZ vom 12.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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