Jagdschlössl:Halali in Neuhausen

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Milzwurst unterm Hirschgeweih: Im Jagdschlössl in Neuhausen gibt es traditionelle bayerische Küche - hausgemacht und mit Soße zum Mitnehmen.

Ivan Lende

Es gibt nicht wenige, die wohnen seit Jahrzehnten am oder nahe dem Rotkreuzplatz, und waren noch nie im Jagdschlössl. Zu unscheinbar liegt dieses bayerische Wirtshaus hingeduckt an der Ecke Leonrod-/Nymphenburger Straße, umzogen von einem schmutziggrünen Gartenzaun. Davor: quietschende Straßenbahnen in der engen Kurve, grantelnde Taxifahrer am Standplatz gegenüber, hupende Autofahrer auf der Kreuzung. Und überhaupt der Name: Jagdschlössl, da denkt man eher an Stiftersche Ruhe im Tann, das silbergraue Reh äst friedlich vor sich hin, während es der Jäger auf dem Hochstand ins Visier nimmt. Wer hier eine Büchse hätte, richtete sie am liebsten auf den Architekten, der die Hässlichkeit dieses Platzes zu verantworten hat. Das gäbe ein Halali!

Doch verschwinden solche Rachegedanken, schreitet man durch den kleinen Bier- in den Wintergarten des Jagdschlössls und dann in den langen, schlauchähnlichen, mit Resopaltischen gut vollgestellten Gastraum. Spätestens jetzt, vor der ersten Bestellung (es sollte ein gepflegtes Augustiner werden), sei zur Erklärung des Namens erwähnt, dass hier im 19. Jahrhundert gegenüber wirklich ein Jagdschloss gestanden hat. Und das nach diesem benannte Wirtshaus war ein prächtiger, dreistöckiger Bau, der im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Deswegen werden hier seit 1947 die Gäste in einer Baracke verköstigt, was sich, zumindest meistens, nicht auf die Qualität der Küche auswirkt.

Damals im Winter, bei einem ersten Zufallsbesuch, waren es die Freundlichkeit der Bedienung ("Mag der Hund vielleicht ein Wasser?") und die Milzwurst, die den Gedanken zur Wiederkehr reifen ließ. Jetzt also soll überprüft werden, ob dieses Haus, dessen Wirtsfamilie auch die Fischer Vroni auf der Wiesn betreibt, nicht nur gut kocht, wenn es draußen stürmt und schneit, sondern auch dann Qualität bietet, wenn das Leben im Biergarten tobt. Bitte, die Damen zuerst: Ein Hirschschnitzel? Gerne. Und für mich das Zanderfilet. Ist notiert. Mit Salat? Aber natürlich. Und ich hätte gerne den Zwiebelrostbraten. Medium oder durch? Wie bitte? Ach ja, zart halt. Okay. Und noch bitte eine Leberspätzlesuppe.

Bayerische Schmankerl von Leberknödel bis Milzwurst

Während das Augustiner schwindet und flugs durch ein Viertel nicht besonders überraschenden Vernatsch ersetzt wird, ist Zeit fürs Atmosphärische: Hier sitzen Menschen, die mit der zeitgeistigen, oft angeberischen Gastronomie rund um den Rotkreuzplatz nichts zu tun haben wollen. Manche sehen aus, als säßen sie hier, seit die Baracke aufgestellt wurde, einige erinnern daran, dass dieses Viertel nicht nur edle Jugendstilhäuser mit teuer renoviertem Wohnraum bietet, sondern auch viele Wohnblöcke der Genossenschaften für Post- und Telegrafenpersonal. Ein früherer Gast berichtet, er habe dort, im Jagdschlössl, einen Mann beobachtet, der hintereinander drei Portionen Lüngerl samt Knödel verputzt habe. Muss gut gewesen sein, das Lüngerl.

Es kommen, nach der kräftigen Suppe, ein bisschen zeitversetzt Zander, Zwiebelrostbraten und Hirschschnitzel, und manch Miene verfinsterte sich. Die Spätzle zum Wild waren zwar tadellos, doch das Fleisch geriet, nun ja, etwas zäh. Das Zanderfilet hatte, obwohl fein gebraten, aber dermaßen viele Gräten, dass man dem Koch gerne eine Pinzette zur Bearbeitung solcher Fischteile geschenkt hätte. Und der Braten? Nicht so zart wie bestellt. Doch es war halt wieder mal Sonntagabend, da soll Gnade walten.

Eine nicht ganz falsche Entscheidung. Denn zum Wochenbeginn kurze Zeit später sieht die Lage anders aus: Der Leberknödel in der Suppe schmeckt brav nach der Namensgeberin. Der Salat, als Zwischengericht gedacht und bestellt, bestätigt zwar wieder das alte Urteil, dass Köche in bayerischen Wirtshäusern unter Dressing eher ihr Outfit verstehen als eine anständige Soße. Die Spargel aber sind reichlich, kein bisschen bitter und auf den Punkt gebracht bissfest (ob der aus Deutschland stammt oder nicht, ist mittlerweile ja fast egal, wo doch der Qualitätsvorsprung vor dem aus den Mittelmeeranbaugebieten schrumpft).

Den Fischgrillteller füllen Lachs, Wels, Dorade und eine kleine sogenannte Riesengarnele, die allesamt den Grill wohl nur aus der Pfanne gesehen haben, was aber nicht weiter schlimm ist. Freunde des Buches "Fleisch ist mein Gemüse" laben sich am wirklich gelungenen, schön mürben Sauerbraten und an einer Speis', die manchen von Lendes Mitessern, dezent ausgedrückt, in Erstaunen versetzt: am gebackenen Schweinskopf. Der schließt perfekt den Kreis zur allerersten Speise im Jagdschlössl, der Milzwurst. Besser kann man diese alte bayerische Mahlzeit kaum zubereiten.

Zum Schluss teilt man sich noch einen hausgemachten Apfelstrudel mit Vanilleeis, der zwar nicht zur Kritik Anlass gibt, wohl aber einen Diskurs darüber auslöst, ob "hausgemacht" auch bedeuten könne, dass man ein Fertigprodukt eigenhändig ins Rohr schiebe. Mit den Weinen muss man sich nicht groß beschäftigen. Hier trinkt man Bier. Der Eibelstadter Teufelstor ist ein angenehm kräftiger Silvaner, der Kallstadter Kobnert, gut gekühlt, verstört den Rosé-Freund nicht und der Vernatsch vom Schloss Rametz hat sicher noch berühmtere Vettern.Die Preise sind dem Ort des Geschehens angepasst. Nur wenige Hauptgerichte reißen die Zehn-Euro-Marke. Und es gibt, man fühlt sich wie damals daheim auf dem Land, eine Schweinsbratensoße zum Mitnehmen. Der halbe Liter für 2,20 Euro - eine Sensation.

© SZ vom 20.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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