Italien in München:Der Corso di Monaco

München nennt sich selbst oft nördlichste Stadt Italiens. Eine Spurensuche, warum das wirklich so ist.

Birgit Lutz-Temsch

Sitzt man mitten in München oder doch in Florenz? Manchmal verschwimmen diese Grenzen, und so ist eine der ersten Entdeckungen des München-Besuchers, dass er nicht in die Hauptstadt Bayerns gereist ist, sondern nach Italien. Zumindest glauben das die Münchner oder versuchen beständig, sich dies vorzugaukeln.

Nicht ganz zu Unrecht, denn über die Alpen hinweg bestehen seit Jahrhunderten Verbindungen, die das Aussehen der Stadt und das Leben in München, oder besser: Monaco di Baviera entscheidend mitgeprägt haben. Nur oberflächlich betrachet also erwächst die bekannte italianità Münchens daraus, dass nirgendwo sonst in der Republik die cappuccini und tramezzini mit größerer Selbstverständlichkeit bestellt werden, sich signori und signore allsommerlich mit fast absurd anmutender Sonnenbrillenmode übertrumpfen, in Straßencafés Wortfetzen vorbeiwehen wie ". . . und dann hat direkt vorm Giorgio in Torbole mein Cabriodach geklemmt!"

Tatsache ist: Den Münchner fasziniert Italien, mehrmals jährlich reist er deshalb in das gelobte Land. So wie die Münchner Familie Mann: Thomas Mann fährt mit seinem Bruder Heinrich fast drei Jahre lang durch Italien. Einen Sommer lang lässt er sich in Palestrina nahe Rom nieder. Dort trägt sich der 20-Jährige als poeta di Monaco bei seinem Vermieter ein und verlegt später ein ganzes Kapitel des Doktor Faustus in den kleinen Ort.

Tatsache ist aber auch: Seit Jahrhunderten kommen Italiener nach München - und viele bleiben. So wie Adelaide von Savoyen, die Kurfürst Ferdinand Maria 1653 vom Hofe in Turin als seine Gattin nach München holt.

Ein folgenschwerer Schritt, denn sie hat 19 Sänger, 5 Kastraten, 17 Instrumentalisten und drei Organisten im Gefolge - und L´Arpa festante, die "festlich gestimmte Harfe" des italienischen Komponisten Giovanni Battista Maccioni: Die erste Oper, die in der Münchner Residenz aufgeführt wird. Der den schönen Künsten zugeneigten Adelaide erscheint die noch mittelalterlich anmutende Stadt schnell provinziell.

Um die Gemahlin bei Laune zu halten, lässt ihr Ferdinand Maria deshalb nach der langersehnten Geburt des Thronfolgers Max II. Emanuel ein Schloss bauen - natürlich von einem italienischen Baumeister, Agostino Barelli. Adelaide legt sogleich einen Park hinter dem Schloss an und nennt das Anwesen Borgo delle Ninfe - der Name Nymphenburg ist geboren.

Die Kanäle erinnern sie an den Canal grande Venedigs, und so dauert es nicht lang, bis sie als divertimento ihres süßen Lebens venezianische Gondeln über das Wasser ziehen lässt. Damit nicht genug, stiftet sie anlässlich der Geburt des Sohns gemeinsam mit ihrem Mann eine Kirche. Als Orden wählt sie die italienischen Theatiner, die fortan Platz in der Theatinerkirche am Odeonsplatz finden. Die Mutterkirche des Ordens, San Andrea della Valle, steht im centro storico Roms, am belebten Corso Vittorio Emanuele.

Das Münchner Gebäude, 1688 unter der Leitung des schweizerischen Meisters Agostino Zuccali und des Theatinerprobsts Spinelli fertig gestellt, bringt die barocke grandezza vom Tiber an die Isar. An schönen Sommertagen ist die gelbe Theatinerkirche vor dem weiß-blauen Himmel noch immer einer der typischsten und schönsten münchnerisch-italienischen Anblicke der ganzen Stadt.

Der Corso di Monaco

Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die umliegenden Bauten, die Ludwig I. von Bayern (1786 - 1868) den beiden konkurrierenden Architekten Leo Klenze und Friedrich Gärtner nach italienischen Vorbildern in Auftrag gab. Die Feldherrnhalle auf dem Odeonsplatz direkt neben der Theatinerkirche, erbaut 1841 von Gärtner (1791 - 1847), ist ein perfektes Abbild der Loggia dei Lanzi in Florenz. Blickt man die Ludwigstraße entlang, bleibt der Eindruck italienisch, denn den würdigen Endpunkt findet diese im ebenfalls von Gärtner erbauten Siegestor, dem der römische Konstantinsbogen als Vorbild diente.

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(Foto: Foto: SZ)

Wenn hier im Sommer die Vespa-Fahrer neben den Ferraris und Fiats auf- und abknattern, könnte man sich also fast wirklich auf dem römischen Corso Vittorio Emanuele wähnen, denn Ludwig I. ließ außerdem sämtliche Palazzi an der nach ihm benannten Straße von Hofbaumeister Leo Klenze (1784 - 1864) nach römisch-florentinischem Vorbild erbauen.

Obgleich Klenze sehr von der griechischen Architektur beeinflusst war, liebten er und Ludwig Italien gleichermaßen. Mehrmals weilte Klenze in Italien, zweimal fuhr der Architekt mit seinem Münchner Arbeitgeber über die Alpen und ließ sich von der Baukunst der italienischen Meister inspirieren.

Den Anfang machte Klenze an der Ludwigstraße 1817 mit dem Leuchtenberg-Palais, das Klenze nach dem Vorbild der italienischen Renaissancepalazzi vierflügelig mit einem Innenhof anlegte. Es folgten weitere Bauten, die sich zu einer für damalige Münchner Gewohnheiten sehr städtischen Straße zusammenfügten und nicht nur Begeisterung hervorriefen - zumal Klenze als Hauptverursacher der hohen Kosten unter der verschwenderischen Regentschaft Ludwigs I. galt.

Der Wirkung dieser Straße jedoch kann man sich vor allem abends nur schwer entziehen: Wenn die gelben Lichter die Bauten mit einer gnädig-warmen Patina überziehen, sich wie Sommersonnen in Regenpfützen spiegeln, ganz wie auf der römischen Piazza Navona.

Die Wirkung der Theatinerkirche im Verein mit den Klenze-Bauten kann im Café Tambosi genossen werden, mit schöner Aussicht gleich am Beginn der Ludwigstraße - und vielleicht war es gerade diese Erinnerung an die Heimat, die an dieser Stelle schon 1775 Giovanni Pietro Sardi erfolgreich um eine Bewilligung zum Ausschank von Kaffee ersuchen ließ. 1810 ging die Kaffeeschänke auf Luigi Tambosi über, den Sohn Giuseppe Tambosis, den Hofkellermeister Ludwigs I. Nach ihm heißt das Café heute noch.

So oft ein paar Sonnenstrahlen die Turmspitzen der Theatinerkirche beleuchten, zeigen dort die Terrassengäste die Mode, die italienische Gäste ständig neu in die Stadt bringen: Insgesamt kommen jährlich rund 400 000 Italiener nach München. Italienische Wortfetzen gehören deshalb zum Münchner Sommer wie zum Christkindlmarkt, und niemand muss den Gästen erklären, was eine Straßenbahn ist, denn sie heißt in München wie in Rom: Tram.

Der Verkehr von und nach Italien wächst beständig, und das Ziel Italien ist so magisch, dass sich immer mehr zu Fuß auf den Weg machen: Die Wanderstrecke von München nach Venedig erfreut sich wachsender Beliebtheit.

Fest in München leben mehr als 22 000 Italiener - so viel wie in keiner anderen Stadt in Deutschland. Schon im 19. Jahrhundert kamen die Wanderarbeiter in die Ziegeleien, im 20. Jahrhundert nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich die Gastarbeiter, die halb München wieder aufbauten.

Daneben fassten die Gelatiere Fuß. Das Sarcletti in der Nymphenburger Straße ist eine der ältesten Eisdielen Deutschlands: Seit 127 Jahren ereitet die aus der Nähe von Trient stammende Familie Eisspezialitäten von Stracciatella bis Malaga zu.

Überhaupt das Essen: Wie auf dem römischen Campo dei fiori geht es allmorgendlich in der Münchner Großmarkthalle zu, wo rund ein Drittel der Waren italienischer Herkunft ist. Und ganz in der Nähe, bei Moby Dick, kann auch der Privatmann das Kilo Miesmuscheln für vier Euro kaufen - Preise (fast) wie in Sizilien. In keiner anderen deutschen Stadt gibt es so viele italienische Restaurants und Bars wie in München, die versuchen, mediterrane Ess- und Kaffeekultur zu installieren.

Im Café Segafredo am Rindermarkt zum Beispiel versucht man noch immer standhaft, die Kunden dazu zu bringen, ausschließlich an der Kasse zu bezahlen, wie in italienischen Bars üblich - mit mäßigem Erfolg allerdings.

Und als 2005 außer München nur noch Berlin zwei neue Michelin-Sterne hinzubekam, verdankten das die Münchner zwei Italienern: Alessandro Miragoli aus dem Acetaia und Mario Corti in Mark´s Restaurant holten die begehrten Auszeichnungen an die Isar. Was bleibt da zu sagen? Grazie und Servus!

Der Artikel ist entnommen aus dem Heft: München, erschienen im Süddeutschen Verlag.

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