Ismaning:Per Livestream vom Klassenzimmer ins Krankenhaus

Ismaning: "Willi" übernimmt den Platz eines kranken Schülers im Klassenzimmer und überträgt das Unterrichtsgeschehen live ins Krankenhaus. Stefan Ambrosi, Lucia Panaro, Donart Krasniqi und Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (v. links) testen den Avatar von No-Isolation-Vertreter Hans Vestneshagen (Mitte).

"Willi" übernimmt den Platz eines kranken Schülers im Klassenzimmer und überträgt das Unterrichtsgeschehen live ins Krankenhaus. Stefan Ambrosi, Lucia Panaro, Donart Krasniqi und Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (v. links) testen den Avatar von No-Isolation-Vertreter Hans Vestneshagen (Mitte).

(Foto: Catherina Hess)
  • Die Johann-Andreas-Schmeller-Realschule hat einen Avatar erworben, der es chronisch kranken Kindern ermöglicht, am Schulleben teilzunehmen.
  • Die Maschine verfügt über eine Kamera und ein Mikrofon und überträgt damit per Livestream vom Klassenzimmer ins Krankenhaus oder nach Hause.
  • Schülersprecher Donart Krasniqi befürwortet den Erwerb des Avatars: "So können wir einen Mitschüler, auch wenn er krank ist, up to date halten und mit ihm zusammen lachen, als wäre er direkt hier."

Von Irmengard Gnau

Willis Augen leuchten auf. Sanft wendet er den Blick vom Whiteboard am Kopfende des Klassenzimmers hinüber zu Donart Krasniqi, der neben ihm in der Schulbank sitzt. "Servus", tönt es aus seiner weißglänzenden Brust. Krasniqi grinst. An den neuen Kameraden muss sich der Zehntklässler erst noch gewöhnen. Ein paar Bänke weiter hinten sitzt Hans Vestneshagen von der norwegischen Firma "No Isolation". Mit Hilfe seines Tablets steuert er Willis Bewegungen und Stimme.

Willi ist ein Avatar, der es Kindern und Jugendlichen, die chronisch krank sind oder aus anderen Gründen längere Zeit nicht in die Schule gehen können, ermöglichen soll, trotzdem am Unterricht teilzunehmen. Und sie damit davor bewahrt, sozial den Anschluss zu verlieren.

Die Johann-Andreas-Schmeller-Realschule in Ismaning ist die erste Schule in Deutschland, die über ihren Schulzweckverband einen der "No Isolation"-Avatare erworben hat. Auch wenn Schulleiter Stefan Ambrosi betont: "Am liebsten wäre es uns natürlich, wir würden ihn gar nicht brauchen. Denn das würde bedeuten, dass wir keine kranken Schüler haben." Sollte einer der 669 Schüler aber doch einmal längere Zeit ausfallen, etwa wegen eines Krankenhausaufenthalts, kann sie oder er sich nun von Willi, wie die Realschüler ihren Avatar probehalber getauft haben, im Unterricht vertreten lassen.

Die etwa 25 Zentimeter hohe Maschine besteht aus Kopf und Rumpf und ist handlich genug, um sie ohne Probleme unter den Arm zu klemmen. Dank einer Kamera und eines eingebauten Mikrofons sieht und hört sie, was im Klassenzimmer geschieht und überträgt das per Livestream ins Krankenhausbett oder nach Hause. Von dort aus kann das erkrankte Kind Willi steuern, mittels einer App auf seinem Tablet beziehungsweise Smartphone. Will es sich melden, leuchtet ein farbiges Signal an Willis Kopf auf, über einen Lautsprecher kann der Erkrankte mit den Mitschülern und dem Lehrer sprechen, ohne dabei selbst gesehen zu werden. "Das ist wirklich eine tolle Idee", sagt Krasniqi, der Schülersprecher an der Realschule ist. "Durch den Avatar wird auch der Klassenzusammenhalt gestärkt. So können wir einen Mitschüler, auch wenn er krank ist, up to date halten und mit ihm zusammen lachen, als wäre er direkt hier."

Johanna Scharl, Elternbeirat

"Es geht ja nicht nur darum, den Unterricht mitverfolgen zu können, sondern noch viel mehr darum, den Kontakt zu den Mitschülern zu halten."

Auch die Lehrervertreter erhoffen sich viel von der neuen Möglichkeit. "Es ist ein echtes Problem, wenn ein Schüler lange ausfällt", sagt Annerose Bruckmaier, Lehrerin und Personalrätin an der Realschule Ismaning. Bislang sind erkrankte Schüler auf die Unterstützung ihrer Klassenkameraden, Lehrer oder Eltern angewiesen. "Aber wenn wir einmal ehrlich sind: Was bringt es dem Schüler denn, wenn er nur das Arbeitsblatt geschickt bekommt?", sagt Bruckmaier. "Es geht ja darum, den Unterricht mitzuerleben." Selbst mit Hausunterricht, der Schülern bei langfristigen Erkrankungen zusteht, lasse sich der Stoff bei langen Absenzen erfahrungsgemäß nicht so leicht aufholen. Dank des Avatars, hofft die Lehrerin, könnten zu große Lücken von Anfang an verhindert werden.

Es geht nicht nur um den Unterricht, sondern auch um den Kontakt

Weltweit sind nach Auskunft des Unternehmens inzwischen 560 Avatare von No Isolation im Einsatz, unter anderem in Norwegen, Schweden, den Niederlanden und Großbritannien. In Deutschland sind es bislang 13, Tendenz steigend. Im März starteten die ersten Pilotprojekte unter anderem an der Berliner Charité und am Kinderkrebszentrum der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Der Avatar kann für rund 300 Euro pro Monat gemietet werden, beim Langzeitmodell kostet er knapp 3000 Euro im Jahr, inklusive Wartung, App und einer Datenflatrate. In Norwegen setzten bereits einige Kommunen und Schulen die Avatare ein, sagt Vestneshagen von No Isolation; in Schweden gab es einen erfolgreichen Pilotversuch mit dem Kinderkrebsfonds.

In Deutschland zählen bislang vor allem Krankenhäuser und Krankenkassen zu den Kunden. Doch das 2015 gegründete Unternehmen sieht noch weit mehr Potenzial, die Entwickler des Avatars gehen einer eigenen Studie zufolge von etwa 75 000 Kindern in Deutschland aus, die längerfristig im Unterricht fehlen. Sie wollen deshalb vermehrt auch an die deutschen Schulbehörden, private Schulträger und Organisationen der Familien- und Krebshilfe herantreten.

Schließlich lassen sich Willi und seine Kollegen nicht nur im Klassenzimmer einsetzen. Mit einem Gewicht von etwa einem Kilo ist der Avatar leicht genug, um mitgenommen zu werden, sei es zu Ausflügen oder auf den Pausenhof. Ein Aspekt, der auch die Schülereltern in Ismaning überzeugt hat. "Es geht ja nicht nur darum, den Unterricht mitverfolgen zu können, sondern noch viel mehr darum, den Kontakt zu den Mitschülern zu halten, auch wenn man länger nicht da ist", sagt Johanna Scharl, Vorsitzende des Elternbeirats. Die Realschule will Willi nun zwei Jahre testen. Wenn er sich bewährt und weiterer Bedarf besteht, könne man sich vorstellen, noch weitere Avatare anzuschaffen, sagt Schulleiter Ambrosi.

Grundvoraussetzung dafür, dass der Roboter zum Einsatz kommt, ist freilich, dass die Lehrer und Eltern der betroffenen Schüler im Klassenzimmer zustimmen. "Der Datenschutz war für uns ein ganz wichtiger Punkt", sagt Ambrosi. Man habe diesbezüglich noch keine Probleme gehabt, sagt Vestneshagen. Die Video- und Audiodaten werden vom Avatar live und doppelt verschlüsselt auf das Tablet des Nutzers übertragen. Den Livestream aufzunehmen oder Screenshots zu machen, erlaubt die App nicht. Ist ein Schüler nicht damit einverstanden, dass er über die Kamera zu sehen ist, könne man einen Sichtschutz aufbauen und so das Blickfeld des Avatars begrenzen.

Dafür, dass der Nutzer des Avatars auch mal unbemerkt mit seinem Banknachbarn tuscheln kann, haben die Erfinder ebenfalls vorgesorgt: Willi und seine Kollegen haben auch einen Flüstermodus.

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