Islamunterricht an Münchner Schulen:Der Prophet putzt seine Schuhe selbst

Das neue Fach "Islamischer Religionsunterricht" soll die Schüler über ihre Religion aufklären. Das Interesse ist groß - doch es fehlen qualifizierte Lehrer.

M. Maier-Albang

Einmal hat ein Drittklässler sich darüber gewundert, dass Mirsad Niksic, sein Klassleiter, Muslim ist. "Du bist doch nicht Türke also bist du auch kein Muslim", sagte der Junge. Da hat Niksic, der gebürtige Bosnier, dem Jungen den Unterschied zwischen Nation und Religion erklärt.

Islamunterricht an Münchner Schulen: Mirsad Niksic unterrichtet in der Grundschule in Perlach "Islamischen Unterricht": Er will die Schüler über ihre eigene Religion aufkären.

Mirsad Niksic unterrichtet in der Grundschule in Perlach "Islamischen Unterricht": Er will die Schüler über ihre eigene Religion aufkären.

(Foto: Foto: Heddergott)

Ein andermal war es Niksic, der einen seiner Schüler fragte, ob er die fünf Säulen des Islam benennen könne, die Pflichten, die ein Muslim zu erfüllen hat. "Was ist das?", wollte der Zehnjährige wissen, der schon länger eine Koranschule besuchte. Dort aber wurde in der Sprache der Eltern unterrichtet, die aus Pakistan stammen. Und offenbar war von diesem Unterricht nicht allzu viel hängen geblieben. Umso mehr freute sich Niksic, als der Schüler einen Tag später die vom Vater unterschriebene Anmeldung zum islamischen Religionsunterricht im Federmäppchen liegen hatte.

Seit fast einem Jahr versucht Mirsad Niksic an der Grundschule am Pfanzeltplatz drei Jungen und neun Mädchen in die Grundlagen seiner und ihrer Religion einzuführen. Die Kinder sagen mittlerweile ebenso selbstverständlich "Islam" zu dem Fach wie die christlichen Mitschüler "Reli". Und wenn man sie fragt, wie es ihnen gefällt, antworten sie durch die Bank "toll." Selbst dann, wenn der Lehrer gerade nicht zuhört.

Als Modellversuch nach Erlanger Vorbild war der Unterricht Anfang des Schuljahres an zwei München Schulen gestartet: in der Altperlacher Grundschule und im Norden der Stadt, in der Hauptschule an der Bernaystraße. Vom kommenden Schuljahr an soll der "Islamische Unterricht" bayernweit als Modellprojekt eingeführt werden. Befristet auf fünf Jahre und, wie es im Kultusministerium heißt, als "Übergangslösung" auf dem Weg zu einem fest installierten islamischen Religionsunterricht für die rund 100000 muslimischen Schüler in Bayern.

Der scheitert bislang vor allem daran, dass das Ministerium keinen Ansprechpartner auf Landesebene hat, vergleichbar der evangelischen Landeskirche oder der bayerischen Bischofskonferenz. So behilft man sich mit lokalen muslimischen Elternvereinen, die zu diesem Zweck in mehreren bayerischen Städten gegründet wurden und künftig in Form einer Arbeitsgruppe auch bayernweit beratend tätig sein sollen. Die Elternvereine haben ein Mitspracherecht bei den Lehrplänen und der Auswahl der Lehrer - Entscheidungen aber trifft letztlich das Ministerium.

Und das nicht immer im Sinne der Eltern, was manche Mitglieder im Münchner Elternverein frustriert. Auf einige Lehrer etwa würde sie gern verzichten, sagt Yvonne Baur-Saleh. Wenn ein Lehrer im Unterricht sage, dass Alkohol mit dem Islam vereinbar ist, "dann trifft das einfach nicht zu". Im Ministerium aber tut man sich schwer, überhaupt Lehrer zu finden, die fachlich und didaktisch geeignet sind.

Islamwissenschaftler und "Entsendelehrer"

Zurückgreifen wird das Kultusministerium beim nun anlaufenden Modellversuch auf jene Lehrer, die bereits das Fach religiöse Unterweisung für türkischstämmige Schüler unterrichten. Das Fach war in Bayern Mitte der achtziger Jahre eingeführt worden, nun will es das Ministerium in dieser Form beenden. Weil man nicht nur die türkischen Muslime ansprechen will. Und weil vielen Eltern eine reine Islamkunde zu wenig ist - sie wünschen stattdessen einen Bekenntnisunterricht, wie ihn christliche Schüler auch in Anspruch nehmen können.

Für das neue Fach "Islamischer Unterricht" allerdings hat die Lehrerausbildung erst begonnen, und so stehen momentan nur eine Handvoll Islamwissenschaftler und 46 sogenannte "Entsendelehrer" aus der Türkei zur Verfügung. Sie werden in den kommenden zwei Jahren "nachgeschult", in einem Kooperationsprojekt der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg und der Lehrerakademie in Dillingen.

Parallel zu ihrer Fortbildung unterrichten diese Lehrer vom kommenden Schuljahr an bereits das neue Fach. "Wir sind halt noch am Anfang", sagt Niksic. Wobei die Leiterin der Grundschule am Pfanzeltplatz, Veronika Schäffer, anmerkt, dass es die "sauberere Lösung" gewesen wäre, erst die Lehrer auszubilden und dann den Unterricht auszubauen.

Mit ihrem Lehrer allerdings hat die Schule einen Glücksgriff getan. Niksic kann seine praktischen Erfahrungen als Klassleiter einbringen, und ist zugleich Autor eines Buches über Islamischen Religionsunterricht. Was hilfreich ist, denn er muss sich sein Unterrichtsmaterial selbst zusammenstellen - es gibt noch kein Lehrbuch für die dritte und vierte Grundschulklasse.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, welche Themen im Unterricht besprochen werden und welche Schwierigkeiten es bei der weiteren Umsetzung gibt.

Evolution und Homosexualität gibt's nur am Rande

Gerade heute sitzen die Viertklässler etwas aufgeregter als sonst im Raum, denn hinten kauert ein Pulk Lehramtsanwärterinnen auf den kleinen Stühlen. Mirsad Niksic hat für seine Vorzeigestunde kein einfaches Thema gewählt. Über das Verhältnis der Geschlechter will er sprechen.

Man begrüßt sich mit Assalamu alaikum, der Friede sei mit euch, die Kinder haben ein kurzes Theaterstück vorbereitet und dann wirft der Lehrer eine Folie an die Wand auf der zu lesen ist: "In Hassans Familie gibt es viel zu tun." Aufräumen, abspülen, kochen. Wie sollen die Aufgaben in der Familie verteilt werden? Bei den Mädchen schnellen die Finger hoch. Alle sollen sich die Arbeit teilen! Klar doch, aber, fragt der Lehrer, wie ist das bei euch zuhause? Da erzählen die Tunesier, dass es bei ihnen üblich ist, dass auch die Väter kochen. Niksic erzählt vom Propheten, von dem überliefert ist, dass auch er seine Schuhe geputzt und selbst seine Kleidung genäht hat. "Da können die Papas nicht behaupten, dass sie zuhause nichts tun müssen."

Den Kindern gefällt so ein praxisnaher Unterricht. Der Lehrer aber muss aufpassen, dass er die Eltern nicht vor den Kopf stößt. Dabei möchte Niksic in dieser Stunde vor allem bei seinen Zuhörern mit Vorurteilen über den Islam aufräumen. Dass es in muslimischen Familien ein religiös verbrämtes Macho-Verhalten geben kann, weiß auch er. Denn viele Muslime, sagt Niksic, "leben einfach ihre Tradition" - selbst wenn die mit dem Koran nicht in Einklang steht.

Deshalb sollen die Kinder vorlesen, was der Prophet zum Thema sagt. Sure 4, Vers 1 hat Niksic ausgewählt: "Oh ihr Menschen fürchtet euren Herrn, der euch aus einem einzigen Wesen geschaffen hat". Und aus den Prophetenworten, Hadis, hat er den Spruch kopiert: "Wer eine Tochter hat und sie gut behandelt und ihr auch nicht seinen Sohn vorzieht, den wird Allah ins Paradies führen."

Die Vorbehalte der Eltern

Um die Inhalte des Unterrichts wurde hart gerungen. Schließlich gibt es Vorbehalte bei den Eltern, und das gleich in zwei Richtungen. Säkulare Muslime befürchten eine Indoktrination und melden ihr Kind deshalb lieber für Ethik an. Auf der anderen Seite beschweren sich Eltern schon mal im Kultusministerium, weil ihnen der Rock einer muslimischen Lehrerin zu kurz erscheint. Und bei manchen Themen landet das Ministerium bei der Suche nach "diplomatischen Wegen", wie es der zuständige Referatsleiter Ulrich Seiser formuliert, rasch in der Sackgasse. Das Thema Homosexualität etwa findet sich bestenfalls verklausuliert im Lehrplan unter "andere Lebensentwürfe". Mit der Evolutionstheorie verhält es sich ähnlich.

Mirsad Niksic hat die Auszüge aus den heiligen Schriften auf deutsch vorbereitet, er gibt den Schülern nicht das arabische Original. Die Viertklässler sollen verstehen, was sie lesen. Für konservative Muslime kann das schon ein Stein des Anstoßes sein. Die Lehramtsanwärterinnen notieren sich die Textstellen. Vielleicht braucht man sie ja später einmal. Mit ihrer Klasse, erzählt eine, sei sie kürzlich im Schullandheim gewesen. Da habe ein türkischer Junge sich geweigert, das Bett zu überziehen und ihr ins Gesicht gesagt: "Das ist Frauensache."

Das Interesse an dem Fach ist groß, bei Lehrern, Eltern, Schülern. Momentan gebe es bayernweit von doppelt so vielen Schulen Anfragen, wie Lehrer zur Verfügung stehen, sagt Harry Harun Behr. Er begleitet das Modellprojekt als Professor für Islamische Religionslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg wissenschaftlich. In München hätte das städtische Lion-Feuchtwanger-Gymnasium in Milbertshofen gerne im kommenden Jahr an dem Projekt teilgenommen.

"Den Islam aus den Hinterhöfen holen"

Doch Rektor Wolfgang Fladerer stöhnt erst einmal auf, wenn man ihn auf das Thema anspricht. Lange Diskussionen im Kollegium hat er hinter sich und zumindest im nächsten Jahr wird es wohl nichts werden mit dem "Islamischen Unterricht". Was Fladerer bedauert, weil er es im Prinzip wichtig findet, "den Islam aus den Hinterhöfen zu holen". Bis jetzt aber hat das Gymnasium keinen Lehrer gefunden, den man für qualifiziert genug erachtete. Und auch das Lehrbuch "Saphir" findet er schönfärberisch. So hat die Schule sich entschieden, lieber zu warten, bis das Fach, wie Fladerer sagt, "aus dem Experimentierstadium heraus ist".

Nur an ein paar zusätzlichen Schulen in München - welche das sind, steht noch nicht fest - wird im kommenden Schuljahr der islamische Unterricht angeboten werden. Und so sind die Kinder vom Pfanzeltplatz auch etwas traurig, dass es "Islam" für sie nach dem Schulwechsel vermutlich nicht mehr gibt. Über das Leben des Propheten Mohammed, die vier Haltungen beim Gebet, die Bedeutung des Opferfestes und darüber, warum Christen Weihnachten feiern, haben die Kinder in diesem Schuljahr etwas erfahren. "Identitätsstiftend" sei das Fach, sagt die Rektorin, und zugleich "Toleranz fördernd", weil es dem Unwissen zuleibe rücke. Dem Unwissen über die eigene Religion - und über das Christentum.

Demnächst werden die Viertklässler aus Perlach wieder ihren "Abschiedsweg" gehen: von der evangelischen zur katholischen Kirche, diesmal auch weiter zur Moschee an der Carl-Wery-Straße. In den letzten Jahren war es bei dem Rundgang mehrmals vorgekommen, dass muslimische Kinder sich weigerten, mit in die Kirche zu gehen. Ihre Eltern wollten das nicht, sagten sie dann. Weil man sich in der Kirche doch bekreuzigen müsse und damit automatisch ein Christ sei.

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