Isarvorstadt:Praktische Deutschlandkunde

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Eine Zeitung machen ist aufwendig. "Wir machen das trotzdem", findet das Team um David Offenwanger (links) von Arrival Aid. (Foto: Catherina Hess)

Ob Flohmarkt, Wohngemeinschaften, Stellenbewerbung oder die AfD: Das Monatsblatt "Arrival News" will Neubürgern erklären, wie diese Gesellschaft funktioniert - in möglichst einfacher Sprache

Von Franziska Gerlach, Isarvorstadt

Nehmen wir die Stipendiatin aus Mexiko, die an einer Münchner Hochschule ihre Doktorarbeit schreibt. Sie ist ein Ass in Physik, doch was es bedeutet, in einer Wohngemeinschaft zu leben, das weiß sie nicht. Oder den Ingenieur aus Pakistan, der aus dem Effeff einen Airbag programmieren kann. Doch was ein Flohmarkt ist, das weiß er nicht. Und dann ist da natürlich noch der junge Flüchtling aus Syrien, der sich hier eine Zukunft aufbauen möchte. Vielleicht eine Ausbildung zum Elektriker beginnen, sein eigenes Geld verdienen - doch wo er sich auf eine solche Stelle bewerben kann, das weiß er nicht.

Neu in München sind sie alle, da ist es völlig normal, nicht sofort alles zu wissen über die Gepflogenheiten der Deutschen im Allgemeinen und der Münchner im Besonderen. Damit sich das neue Leben in der neuen Stadt für den Flüchtling, den Expat und die Studentin in der Anfangszeit etwas leichter gestaltet, gibt es seit September Arrival News, eine kostenfreie Zeitung für Neubürger. Sie liegt zum Beispiel in den Stadtteilbibliotheken aus, in Sprachschulen und in Flüchtlingsunterkünften.

"Das Thema ist ja immer das gleiche: Ich bin neu in der Gesellschaft und muss mich erst einmal zurechtfinden", sagt David J. Offenwanger, Geschäftsführer von Arrival Aid. Die gemeinnützige Organisation wurde 2015 gegründet, einige Monate, bevor die Münchner am Hauptbahnhof die vielen Menschen, die da aus den Zügen kletterten, mit Teddybären und warmer Kleidung begrüßten. Die Mitarbeiter von Arrival Aid helfen Flüchtlingen bei der Jobsuche und unterstützen sie bei Anhörungsverfahren - letzteres mittlerweile nicht mehr nur in München, sondern auch in Stuttgart, Köln, Düsseldorf und Frankfurt am Main. In speziellen Seminaren schulen sie ehrenamtliche Helfer, machen sie fit für die nicht immer einfache Aufgabe als Begleiter auf dem Weg zur Integration.

Eines Morgens wachte Offenwanger auf und wusste, dass noch eine Zeitung hermusste. "Das ist zu aufwendig", sagten ihm viele. "Wir machen das trotzdem", entgegnete er. Offenwanger sitzt in einem kleinen Büro an der Adlzreiterstraße an einem großen Tisch. Vor ihm liegen: die letzten drei Ausgaben der Arrival News, für die er und seine Kollegen Paul Kuhlmann und Martin Rubin selbst Beiträge schreiben. Andere Texte stammen von ehrenamtlichen Autoren. Für sie alle gilt: Schachtelsätze oder Passivkonstruktionen machen einen Text nur unnötig kompliziert. Überhaupt verkneift sich stilistische Eskapaden besser, wer für Leute schreibt, die die deutsche Sprache gerade lernen. "Das Ziel ist, komplexe Sachverhalte in einfacher Sprache auszudrücken", sagt Offenwanger. "Und das ist gar nicht so einfach."

Eine Pädagogin der Schlauschule hat das Team bei der Entwicklung der Zeitung beraten, die Offenwanger auch als Lernmedium versteht. In Lila, Rot und Türkis sind die Deckblätter gehalten. Das sieht ganz ohne Zweifel schick aus. Die Frage ist allerdings: Gibt es nicht schon genug Medien in München? Blogs zum Beispiel, die alle für sich in Anspruch nehmen, den Stadtbewohner rund um die Uhr mit allen relevanten Inhalten zu versorgen? Braucht es da tatsächlich noch Arrival News? Na und ob, findet Offenwanger. Es werde ja immer nur über Migranten geschrieben, sagt er. Niemals aber für sie. In der NeuLandZeitung (deren Autoren im Übrigen zu jeder Ausgabe der Arrival News einen Text beisteuern) schreiben zwar Flüchtlinge für Flüchtlinge. Eine Zeitung, die Informationen aus Gesellschaft und Politik in verständlichem Deutsch darstellt, die habe bislang gefehlt. Die Debatte um #MeToo oder das Thema Pflege haben bereits Eingang gefunden in die Zeitung, die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit der AfD.

Neben Tipps und Terminen werden auch ganz praktische Dinge des Alltags aufgegriffen - was ist ein Flohmarkt, wie lebt es sich in einer WG, und was hat es eigentlich mit der Umweltbewegung auf sich? Wer in einem Land leben möchte, muss verstehen, wie es funktioniert. Und die Sprache beherrschen. Sonst wird es kaum funktionieren mit der Integration. Inzwischen arbeiten Münchner Berufsschulen mit der Zeitung, deren Texte mit einem Vokabelteil ausgestattet sind. Und immer wieder hört Offenwanger von Ehrenamtlichen, die sich Arrival News gemeinsam mit Flüchtlingen vornehmen. Nächstes Ziel? Die Hochschulen.

Dass die Publikation gelesen wird, zeugt wiederum vom Bedarf eines Marktes, der sich erst allmählich auf Flüchtlinge als Zielgruppe einstellt. Lange Zeit hatten die großen Sprachlernverlage vor allem den akademischen Lerner im Blick, den sie mit Einheiten wie "Freizeit" oder "Familie" oder "Mein letzter Urlaub" ans Deutsche heranführten. Das sind schöne Inhalte, wenn man über das Geld verfügt zu verreisen. Wer sich aus Afghanistan oder Syrien nach München durchgekämpft hat, der hat aber vermutlich andere Sorgen: den Aufenthalt zu sichern, einen Schulabschluss zu bekommen, einen Job zu finden. In jeder der monatlichen Ausgaben wird deshalb ein Beruf vorgestellt, den man wie jenen des Steinmetz vielleicht nicht unbedingt kennt. Auch eine Stellenbörse findet sich hier.

Momentan erscheinen Arrival News in München und Stuttgart. Über kurz oder lang soll es das Blatt in ganz Deutschland geben. Das sei natürlich eine "Finanzierungssache", sagt Offenwanger. 3500 Euro fallen jeden Monat für die Produktion an, für Druck, Grafik und Vertrieb. Ein Teil der Kosten wird über Stellen- und Werbeanzeigen sowie Spenden beglichen, demnächst sollen "Abo-Patenschaften" verkauft werden - dann ließe sich eines Tages vielleicht eine Redakteursstelle finanzieren. Gestartet war man mit 5000, mittlerweile werden jeden Monat 15 000 Exemplare gedruckt. "Am Anfang haben wir die Zeitung kaum losbekommen", sagt Offenwanger. "Jetzt ist sie schon Mitte des Monats vergriffen."

© SZ vom 07.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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