Erfundene Maschinen:Ein Schaf auf dem Plattenteller

Im Low-Tech-Instruments Museum in der Isarvorstadt zeigt Charly-Ann Cobdak kinetische Kunstmaschinen, die wunderschöne Geschichten erzählen. Von Kinderträumen, Isarschwimmern und einer verschwundenen Krimi-Autorin

Von Nicole Graner, Isarvorstadt

Ach, wenn es nur so einfach wäre: Man dreht an einem Rädchen. Die Zeiger einer Uhr flitzen nach vorne oder zurück, man setzt sich auf einen alten Stuhl, der einst für Krankentransporte gut gewesen ist, drückt einen Knopf. Das Taxometer rattert, zwei Flügel eines Deckenventilators beginnen auf- und abzuschlagen. Und schon fliegt einen die Zeitmaschine, die gerade im Low-Tech-Museum startet, in die Zeit der Ritter und Räuber oder zu einem berühmten Wellness-Hotel auf den Mars. Ins Jahr 2050. Wenn es nur so einfach wäre! Dann könnte man die Zeit austricksen, Dimensionen verschieben. . .

Doch das Schwingen und Rattern, das Leuchten und Tönen, das Drehen und Klingeln dauert nur einen Moment, einen Augenblick, der suggeriert, dass der Mensch in Zeitensphären umherwandern, auf Knopfdruck Vergangenheit und Zukunft bereisen könnte. Allein der Gedanke daran hat ein befreiendes Gefühl und offenbart die so tief liegende menschliche Sehnsucht nach Imagination, nach Ortswechseln. Und so steigt der Betrachter im Jahr 2015 gerne ein in die Zeitmaschine der Künstlerin Charly-Ann Cobdak, versinkt in eigene Zauberwelten und verfolgt das Drehen der Motoren, das Blinken der Lichter.

Es ist egal, dass die Zeitmaschine in Wirklichkeit nicht funktioniert. Die Faszination über ihre bloße Existenz hilft schon, den Alltag zu vergessen. So wie die 1964 in München geborene Künstlerin, die die Zeit vergisst, wenn sie ihre kinetischen Kunstwerke baut. Wenn sie hartnäckig ausprobiert, ob sich die Dinge drehen, die sich drehen sollen. Stundenlang, monate-, ja, jahrelang.

Ab in die Zeitmaschine! In das Jahr 2009. Da hörte die damals 45-Jährige eines Tages die Nussknacker-Suite von Tschaikowsky. Auf einer Schallplatte aus Kindheitstagen, die ihr ihr Vater geschenkt hatte. Die verschwundene Zeit der Kindheit, eine kleine, rote Nussknacker-Figur als Hampelmann - plötzlich war sie da, die Idee von einem bewegten Objekt. Ein Wecker, ein altes Spinnrad, eine Backform und viele andere Gegenstände baute sie in die Tschaikowsky-Maschine ein. "Ich hatte wirklich keine Ahnung von Technik", sagt Cobdak. "Musste mir alles genau erarbeiten." Aber das sei - wie auch heute noch - immer eine große und vor allem schöne Herausforderung für sie. Und nachdem sie jahrelang als Grafik-Designerin gearbeitet hatte, wusste sie plötzlich: Diese Maschinen, diese filigrane Auseinandersetzung mit Bewegung und die stete Frage nach der Machbarkeit waren genau das Richtige für sie. War ihre künstlerische Ausdrucksform. Keine Bilder malen, keine Figuren formen. Zu statisch. Zu festgezurrt. Sagt Cobdak.

Low Tech Instruments  Museum  Ausstellung der Künstlerin  Charly-Ann Cobdak

Reise nach irgendwo: An der Zeitmaschine baute Charly-Ann Cobdak mehr als zehn Jahre.

(Foto: privat)

Die Zeitmaschine ist wieder gelandet. Direkt im Low-Tech-Museum. Schnell einen Schalter an einem der Objekte zurechtgerückt, ein Rad gedreht. Mittlerweile beherrscht die zierliche Frau mit den großen, dunkeln Augen die Technik sehr genau, weiß, wie jeder Motor tickt. Trotzdem: Jedes neue Objekt hat andere Tücken. Nichts Elektronisches piepst, keine Displays blinken. Die Technik solle in ihren Arbeiten nicht überwiegen, sagt sie. Alles Elektronische sei für sie "absolut unsinnlich". Dinge, denen man auf den Grund gehen muss, das zu erforschende Verhältnis von Ursache und Wirkung - ohne diese beiden Komponenten gäbe es keine Arbeiten von Charly-Ann Cobdak. Und ohne die Freude am Kleinen, am Lyrischen, manchmal sogar Romantischen, an den Gegensätzen und am Humor auch nicht. Nie sind es nur bewegte Sammlerteile, sondern immer auch liebevoll umgesetzte Kleinigkeiten, die die Objekte so wunderbar einzigartig machen.

Beim "Sonntagsspaziergang für Stubenhocker" entdeckt man durch den Blick eines Fernglases im Guckkasten eine Walze mit Figürchen. Sieht die Isar. Einen Badenden im rot-gestreiften Turnvater-Jahn-Schwimmanzug. Man dreht die Kurbel weiter. Plötzlich wird ein Hund beerdigt, ein Kamel spaziert durch den Englischen Garten. Und auch Schafe zählen, ja, auch das geht mit Cobdaks Instrumentarium. Wieder ein Blick in einen Guckkasten. Leise Musik im Hintergrund. Ein Schaf weidet auf Kunstrasen. Auf einem alten Plattenteller. Es dreht sich, dreht sich, dreht sich. Der Schlaf kann kommen.

Eine Sammlerin - ihren Fundus befüllt sie nach ausgedehnten Spaziergängen auf dem Flohmarkt, mit ersteigerten Ebay-Schnäppchen -, eine Tüftlerin. Beides ist jene Frau, die das Leise bewegt. Und die mit einem großen literarischen Blick auf die Welt schaut. Da ist die Geschichte von Alice im Wunderland, die sie mit ihrer Maschine nacherzählt. Da ist die Frage, wohin Agatha Christie elf Tage lang spurlos verschwand. Ein Mann muss im Spiel gewesen sein, sagt Cobdak. Und so sitzt ein kleines Männerpüppchen auf einem großen Rad, Agatha ein Rad weiter vorne. Beide drehen sich, aber sie begegnen sich nur auf der gedanklichen Ebene. Und da ist jene Beschäftigung mit Raum und Zeit von H. G. Wells - und eben ihre Zeitmaschine.

Low Tech Museum Ausstellung von Charly-Ann Cobdak

Die Maschine kocht nach einer ausgiebigen Sportrunde sogareinen Kaffee.

(Foto: Grabsdorf/oh)

Cobdaks zerlegbare Maschinen, die alle im Wohnzimmer der Künstlerin entstehen, passen in die Räume an der Aventinstraße 10 - der Galerie von Gerhard Grabsdorf, die sich seit fünf Jahren vor allem der Fotografie widmet, aber auch "Kunst mit Humor", wie Grabsdorf sagt. Die Räume selbst haben auch eine Geschichte. Einst wurde hier Keramik gebrannt, später wurden Parfüms verkauft. Bei den Renovierungsarbeiten der Galerie entdeckte man einen alten Fliesen-Fußboden. In jenem Raum steht die Zeitmaschine, die, wenn sie real wäre, in ferne Länder fliegen könnte. Sie ist nicht real, aber schön. Wie alle Maschinen Cobdaks. Weil sie das Kind in einem bewahren helfen. Ein Kind, das auch Charly-Ann Cobdak mit großer Freude geblieben ist. Anteil daran hat ein bisschen auch Tschaikowsky.

Low-Tech-Instrument Museum: bis März 2016, Aventinstraße 10, Telefon 21 03 13 01. Öffnungszeiten: samstags, 15 bis 20 Uhr. Termine nach Vereinbarung. Eintritt frei. Sonderführung, Mittwoch, 28. Oktober, 18 bis 22 Uhr. www.lowtechmuseum.com.

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