Interview zum Streit um die Meiserstraße:"Meiser war kein Rassist im Sinne der Nazis"

"Der jüdische Verstand hat etwas Zerfressendes, Ätzendes, Auflösendes." Das Zitat stammt von Bischof Hans Meiser. Warum hält Landesbischof Friedrich daran fest, einen Antisemiten zu ehren?

Joachim Käppner und Monika Maier-Albang

Lange wollte sich Johannes Friedrich, Bayerns evangelischer Landesbischof, nicht zum Thema Meiserstraße äußern. Mittlerweile hat Nürnberg seine Bischof-Meiser-Straße umbenannt und auch die kirchliche Augustana-Hochschule in Neuendettelsau hat Meiser, der während der NS-Zeit Bischof der bayerischen Protestanten war, aus ihrem Namen gestrichen. In München, wo der Verwaltungssitz der Landeskirche in der Meiserstraße liegt, spricht sich Friedrich gegen die Umbenennung aus.

SZ: "Der jüdische Verstand hat etwas Zerfressendes, Ätzendes, Auflösendes." Das Zitat stammt von Bischof Hans Meiser. Warum halten Sie daran fest, einen bekennenden Antisemiten zu ehren?

Friedrich: Wir waren es doch, die in den vergangenen Jahren auf diese schrecklichen Äußerungen von Hans Meiser hingewiesen haben. Ich habe immer deutlich gesagt: Ich kann nicht verstehen, warum er sich in dieser Weise über die Juden ausgelassen hat, warum er sich während des Drittes Reiches nicht klarer für die Juden eingesetzt hat. Ich will hier nichts relativieren. Was immer ich auch Positives zu Meiser sage: Es hebt die Kritik an diesen schrecklichen Äußerungen nicht auf.

SZ: Aber den Namen behalten wollen Sie dennoch.

Friedrich: Ich wäre nie dafür, eine Straße neu nach ihm zu benennen. Eine Umbenennung hat für mich aber einen völlig anderen Charakter. Das empfinden viele Protestanten als eine totale Abwertung der gesamten Person. Wir sind der Meinung: Die Meiserstraße muss bleiben, weil es uns nicht egal ist, was er alles für seine Kirche geleistet hat.

SZ: ... wenn da nicht noch die andere Seite Meisters wäre.

Friedrich: Wenn ein Straßenschild abgeschraubt wird, könnte das so wirken, als wolle man das historische Problem, das Hans Meiser darstellt, damit einfach erledigen. Wir haben ja angeboten - unabhängig von der Entscheidung des Stadtrates - einen Bereich des Münchner NS-Dokumentationszentrums zu finanzieren, der sich differenziert und kritisch mit der Rolle der Kirche unter Hitler auseinandersetzt. Die antijüdischen Äußerungen Meisers sind für mich mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. Die evangelische Theologie in ihrer Breite hat ja leider erst nach 1945 dazugelernt, aufgrund der bitteren Erfahrung. Selbst Leute wie Dietrich Bonhoeffer sind in einer Theologie aufgewachsen, die davon überzeugt war, dass wir als Christen das neue Gottesvolk sind, die Juden aber Christus ermordet haben. Gott sei Dank hat Bonhoeffer rechtzeitig dazugelernt.

SZ: Es geht nicht nur um einen Straßennamen, sondern um die historische Identität der evangelischen Kirche.

Friedrich: Wir müssen uns der Vergangenheit stellen. Ich habe in der Landeskirche wesentlich mit angestoßen, dass wir uns mehr mit dem Thema Christen und Juden beschäftigen, schon vor dem Hintergrund meiner Israel-Erfahrung. Hans Meiser war mit seinen Äußerungen, die er vor 1933 über die Juden gemacht hat, ja leider nicht allein, im Gegenteil, er sprach für eine Mehrheit auch in der evangelischen Theologie. Es gab einen grässlichen Antijudaismus...

SZ: ... für den der Name Meiser steht.

Friedrich: Es war nicht der Rassenantisemitismus der Nazis. Der theologische Antisemitismus zielte - was ich keineswegs verharmlosen möchte -auf Bekehrung, nicht auf Vernichtung. Dieser Antijudaismus ist im Dritten Reich ganz schrecklich missbraucht und auch mit herangezogen worden für die Begründung der Judenverfolgung. Aber Hans Meiser war kein Rassist im Sinne der Nazis.

SZ: Aber die Kirche hat doch selbst mit der Demontage des Idols begonnen: In der Augustana-Hochschule in Neuendettelsau soll das Hans-Meiser-Haus umbenannt werden. In Nürnberg hat sich die Kirche nicht gegen die Umbenennung einer nach Meiser benannten Straße gewehrt. Warum soll hier falsch sein, was dort richtig war?

Friedrich: Es ist nicht Sache des Landesbischofs, sich zu Namensänderungen in Nürnberg oder sonstwo zu äußern. Auch in Nürnberg hat die Kirche die Umbenennung weder gestützt noch begrüßt, sondern lediglich akzeptiert. Die Augustana in Neuendettelsau ist eine unabhängige Hochschule, wo die zuständigen Gremien meinten, so entscheiden zu müssen. Ich finde das nicht richtig. Die Hochschule in Neuendettelsau gäbe es ohne Hans Meiser gar nicht.

SZ: Jetzt geht es um Ihren Amtssitz.

Friedrich: Sicher, wir widersprechen auch deshalb, weil wir hier als Anlieger direkt gefragt sind. Und rein rechtlich haben wir ganz andere Möglichkeiten des Widerspruchs und auch der Klage.

SZ: Sie wollen gegen eine Umbenennung der Meiserstraße klagen?

Friedrich: Wir prüfen das juristisch gerade gemeinsam mit dem Landeskirchenrat, und das würden wir nicht tun, wenn wir es nicht für eine realistische Möglichkeit hielten. Die Stadt hat im Jahr 2003 Kriterien für die Umbenennung von Straßen aufgestellt - an denen werden wir die Entscheidung messen.

SZ: Einen Namen wegen antisemitischer Äußerungen seines Urhebers zu tilgen, dürfte nicht so schwer sein.

Friedrich: Nach Vorgabe der Stadt können Straßen umbenannt werden, wenn dem Träger des alten Namens schwerwiegende persönliche Handlungen wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Rassismus, Kriegsverbrechen zuzuschreiben sind. Das kann man doch bei aller Kritik von Hans Meiser nicht behaupten. Durch ihn persönlich sind Menschen nicht zu Schaden gekommen, im Gegenteil.

SZ: Hans Meiser hing ja nicht nur einem theologischen Antisemitismus an: Er hat die Bitten von Glaubensbrüdern abgelehnt, für die verfolgten Juden einzutreten, er hat noch 1944 eine antisemitische Schrift verbreiten lassen und ist nach 1945 für inhaftierte Kriegsverbrecher eingetreten. Ist das wirklich ein Mann, dessen Andenken man in solchen Ehren halten sollte?

Friedrich: Man muss aber für das Gesamtbild dazu sagen, dass Hans Meiser vor 1945 mehr als 120 verfolgten Menschen das Leben gerettet hat. Das hebt seine Verfehlungen nicht auf. Aber er war eben auch der einzige Bischof, der die Fluchthilfe durch das Büro des Propstes Grüber in Berlin unterstützt und sich um Verfolgte gekümmert hat, meist um getaufte Juden, aber auch um nichtgetaufte. Das war mehr, als viele andere Menschen gewagt haben. Es gibt ein jüdisches Sprichwort: "Wer eine Seele rettet, rettet die ganze Welt." Er hat sich nicht generell für die Kriegsverbrecher von Landsberg eingesetzt, sondern für einige dort inhaftierte Menschen, von denen er meinte, es geschehe ihnen Unrecht. Meiser hat versucht, gegen den Druck des Regimes die Landeskirche zu bewahren - und ist dabei viele Kompromisse eingegangen. Heute wissen wir, dass das oft nicht richtig war. Nur: Wie wir uns selbst verhalten hätten, das wissen wir nicht.

SZ: Aber es hat ihn auch niemand gezwungen, 1944, als man schon vieles über die Judenverfolgung wusste, noch antisemitische Schriften herumzuschicken.

Friedrich: Ich verstehe nicht, warum er das getan hat. Ich finde das schrecklich. Da kommt sein theologischer Antijudaismus wieder zum Tragen. Meine Hauptkritik war immer: Warum hat er nach 1945 nicht deutlich genug gesagt, dass die Landeskirche und auch er selbst nicht klar genug für die Werte des Glaubens eingetreten sind? Er hat andererseits aber auch das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 unterschrieben. Er hat immer gesagt: Er halte nichts von großen Worten, man müsse die Menschen an ihren Taten erkennen. Heute wären wir sehr dankbar, er hätte an dieser Stelle mehr von den Worten gehalten.

SZ: Sehen Sie eine Alternative für den Namen der Straße, der ja zum Synonym für die evangelische Kirche in Bayern geworden ist?

Friedrich: Wir haben uns bewusst keine Gedanken über Alternativen gemacht. Wir wollen den Namen behalten und den Stadtrat von unserer Position überzeugen. Ich bin ein optimistischer Mensch und glaube an die Kraft der Argumente. Ich frage mich aber schon, ob die Stadt ihre political correctness mit der Meiserstraße erfüllt hat oder ob man mit vielen anderen Namen ebenso konsequent sein will. Was ist mit Ludwig Thoma, Richard Wagner, Heinrich von Treitschke? Sie alle haben sich antisemitisch geäußert, nach ihnen sind Straßen benannt. Da sagen nicht nur Protestanten in München: Warum immer wir?

SZ: Wie ist die Stimmung unter den Protestanten? Es gibt ja sogar Pläne, gegen die Umbenennung zu demonstrieren.

Friedrich: Das halte ich für völlig daneben. Stellen Sie sich vor, Protestanten würden das vielleicht auch noch in der Meiserstraße selbst tun. Das würde eine Parallele zur damaligen Kundgebung von 1934 für den von den Nazis inhaftierten Landesbischof Meiser darstellen, die ich für nicht vertretbar halte, denn: Wir leben, anders als die Menschen damals, in einer Demokratie, und der Stadtrat hat natürlich das Recht, eine Entscheidung zu treffen, auch wenn sie uns nicht gefällt. Ich merke aber, dass sich mehr Gemeinden und Kirchenvorstände für den Erhalt des Straßennamens engagieren, als ich es erwartet hätte.

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