Interview:"Rechtliche Rahmenbedingungen ausreizen"

Die Debatte über den Umgang mit Sexualstraftätern ist nach dem Mord an Peter A. wieder entbrannt. Franz Joseph Freisleder, Ärztlicher Direktor der Heckscher Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, über die Forderungen nach Zwangstherapie und Sicherungsverwahrung für heranwachsende Täter.

Interview: Anne Goebel

SZ: Aus der Politik kommt die Forderung nach Zwangstherapie für Sexualstraftäter. Ist das medizinisch sinnvoll?

Freisleder: Generell ist es in der Psychiatrie so: Je kooperationsbereiter ein Patient, desto günstiger die Voraussetzungen für eine Therapie. Wehrt er sich gegen die Behandlung, sind die Chancen auf Erfolg denkbar gering. Bei der Therapie von Sexualstraftätern sind die Erfolgsaussichten ohnehin nicht sehr groß.

SZ: Nach welchen Kriterien wird die Therapie eines Sexualstraftäters als erfolgreich angesehen?

Freisleder: Die Prognose ist gut, wenn beim Täter eine Einsicht besteht. Wenn er in der Lage ist, sich in sein Opfer hineinzuversetzen, das Leid zu ermessen, das er ihm zugefügt hat. Es muss der tiefgehende Wunsch des Patienten erkennbar sein, von seinem Problem wegzukommen. Vor diesem Hintergrund muss der Ruf nach Zwangstherapie äußerst differenziert beleuchtet werden.

SZ: Martin Prinz wurde nach Jugendstrafrecht verurteilt und als voll schuldfähig nicht in die Psychiatrie eingewiesen. Damit gab man die dauerhafte ärztliche Kontrolle seiner Entwicklung aus der Hand. War das eine Fehlentscheidung?

Freisleder: Ich kenne die Gutachten über Herrn Prinz nicht. Es ist aber so, dass Sexualstraftätern auch im normalen Strafvollzug die Gelegenheit gegeben wird, eine Therapie zu machen. Das hat in seinem Fall offenbar nicht zum Erfolg geführt, er wurde nach dem Verbüßen seiner Haft noch immer als gefährlich eingestuft. Die Frage ist: Sind die rechtlichen Rahmenbedingungen im Umgang mit solchen Tätern ausgereizt?

SZ:Das heißt, Sie stimmen der Forderung nach einer Ausweitung der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu?

Freisleder:Mein Vorschlag wäre: Man sollte tatsächlich überlegen, in seltenen Extremfällen nachträgliche Sicherungsverwahrung für heranwachsende Täter zu ermöglichen, auch wenn sie nach Jugendstrafrecht verurteilt wurden. Es geht mir nicht darum, unser sehr bewährtes Jugendstrafrecht in den Grundfesten zu erschüttern. Aber vor einem nicht änderungsfähigen Einzeltäter müssen weitere Opfer geschützt werden.

SZ: Was ist ein seltener Extremfall?

Freisleder: Wenn ein Täter nicht therapiewillig ist und nicht therapierbar. Wenn er einschlägig, also in mindestens zwei Fällen, im Zusammenhang mit Sexualstraftaten massiv auffällig wurde. Bei Herrn Prinz war es sogar ein Tötungsdelikt. Und wenn beim Täter nach Absitzen einer langjährigen Haftstrafe die einschlägige Gefährlichkeit weiter besteht.

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