Interview mit dem Preisträger des bayerischen Oscars:Von der Anfeindung zur Auszeichnung

Heute bekommt Michael Verhoeven den Ehrenpreis des Bayerischen Filmpreises. Die Auszeichnung des Freistaates gilt als einer der bedeutendsten deutschen Medienpreise. Dabei hat man sich doch gerade in Bayern lange Zeit schwer getan mit dem Filmemacher.

Jochen Temsch

SZ: Herr Verhoeven, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung.

Verhoeven: Na, noch habe ich sie ja nicht.

SZ: Was sollte jetzt noch schiefgehen?

Verhoeven: Das kann man nie wissen.

SZ: Edmund Stoiber bezeichnet Sie als ,,einen herausragenden Repräsentanten des deutschen Films''. Was werden Sie ihm bei der Preisverleihung erwidern?

Verhoeven: Da nehme ich mir nichts vor. Er hat mir schon öfters die Hand geschüttelt. Ich weiß nicht, ob er ein häufiger Kinogänger ist. Wahrscheinlich ist er heute mit seinen Gedanken noch ganz woanders, in Wildbad Kreuth zum Beispiel.

SZ: Was bedeutet Ihnen dieser Ehrenpreis?

Verhoeven: Viel, gerade weil es ein bayerischer Preis ist. Man darf ja all die Vorgeschichten nicht vergessen. Bereits 1970 haben sie mich für meinen Vietnamfilm "O.K." in Bayern ganz besonders heftig als Kommunist und Antiamerikaner angefeindet. Zuvor wurde schon "Tische" aus dem Jahr 1969 von allen Seiten kritisiert. Es geht darin um die sogenannten Vietnam-Vorgespräche in Paris, wo man wochenlang nicht über die Beendigung des Krieges, sondern um die Form des Verhandlungstisches gestritten hatte.

SZ: Wie reagierte man 1982 auf "Die Weiße Rose"?

Verhoeven: Die bayerische Filmförderung lehnte das Projekt ab - einen Film über die Weiße Rose, das muss man sich mal vorstellen! Heute ist das Tor geöffnet für viele Weiße-Rose-Filme, von denen hoffentlich auch noch mehr kommen werden. Es ist eine andere Generation nachgewachsen. Es waren ja Leute, die älter waren als ich, die mich 1970 und Anfang der achtziger Jahre behindert haben. Das war so eine Lagerhaltung, die gibt es heute nicht mehr.

SZ: Aber zunächst traten Sie sogar gegen den Bundesgerichtshof an.

Verhoeven: Die Leute, die den Weiße-Rose-Studenten und ihrem Professor Kurt Huber die Köpfe abschlagen ließen, sind laut Bundesgerichtshof ganz normale Richter gewesen. In den höheren Lagen der deutschen Justiz saßen eben nach dem Krieg auch ehemalige Blutrichter der Nazis.

Dafür, dass ich das in meinem Film thematisiert habe, wurde ich wieder ganz besonders in Bayern angegriffen, auch in sehr wichtigen Zeitungen, sogar der SZ. Vielerorts kamen alle diese Klischees, dass ich doch in die DDR gehen soll und so weiter.

SZ: War es eine Genugtuung, dass der Bundestag nach Ihrem Film erklärt hat, der Volksgerichtshof sei ein Terrorinstrument der Willkürherrschaft gewesen?

Verhoeven: Was ich heute noch nicht verstehen kann, ist, dass das erst mühsam erklärt werden musste. Es hat ja jeder gewusst, aber man hat Rücksicht genommen auf das Restdenken und die noch aktiven Juristen aus der braunen Zeit. Die Urteile gegen die Weiße Rose waren nie aufgehoben worden, dabei wäre die Initiative zur Rehabilitierung Sache des Staates gewesen, nicht etwa der Angehörigen wie der armen Witwe Huber, die sogar noch 250 Reichsmark für die Reinigung der Guillotine hat bezahlen müssen. Das sind so Zynismen, die ich eben formuliert habe. Ich wundere mich nur, dass immer ich das machen musste.

SZ: Warum müssen Sie das denn überhaupt immer wieder tun?

Verhoeven: Wenn es in unserer Gesellschaft nicht so viele Bestrebungen gegeben hätte und noch gäbe, die Vergangenheit unter den Teppich zu kehren, würde sie mich vielleicht gar nicht so sehr beschäftigen. Die Vergangenheit berührt mich als nicht erledigtes Phänomen meiner Gegenwart und darüber hinaus meiner Zukunft. Es ging und geht mir immer um die Gegenwart - auf diese Feststellung lege ich großen Wert.

SZ: Haben Sie mit Ihrem Lebenswerk zu diesen Veränderungen beigetragen, die Ihre offizielle Anerkennung überhaupt erst möglich machen?

Verhoeven: Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann. Es geht dabei um eine so großflächige Auseinandersetzung, dass der Einzelne nicht viel ausrichtet. Ich habe meine politische Wirkung immer im Zusammenhang mit Autoren und anderen Filmemachern gesehen. Ich bin ja auch kein Aufrührer, der zu irgendetwas aufruft, ich halte nur nicht mit meiner Meinung hinterm Berg.

SZ: Dabei wirken Sie immer sehr ruhig. Würden Sie sich überhaupt als Kämpfer bezeichnen?

Verhoeven: Das wäre eine Selbstheroisierung. Ich bin weniger der Angreifer als der Angegriffene. Aber wenn jemand gegen mich kämpft, dann erschreckt mich das nicht, dann stelle ich mich. Ich spreche aus, was auch viele andere denken. Warum es so wenige politische oder politisch wirksame Filme gibt, weiß ich nicht.

Vielleicht, weil Filmemacher meinen, das sei nicht gut für sie - egal, ob es um den Nationalsozialismus geht, um Wehrdienst-verweigerung wie in meinem ZDF-Film "Die Mutprobe" von 1982 oder um den Zölibat wie in "Eine unheilige Liebe" von 1993. Wir schimpfen über den Islam und kapieren gar nicht, dass wir im Christentum selbst, zumindest mit der römisch-katholischen Prozedur, den Frauen so begegnen, als wären sie Menschen zweiter Klasse.

SZ: Für Ihren neuesten Film ,,Der unbekannte Soldat'' haben sie sieben Jahre lang über Verbrechen der Wehrmacht recherchiert. Zu Podiumsdiskussionen darüber haben Sie auch Rechtsextreme geladen. Warum?

Verhoeven: Man macht einen ganz großen Fehler mit diesem Verdikt, dass man nicht mit denen diskutieren darf. Die sehen sich durch die ausgrenzende Haltung als Märtyrer, und diese Rolle steht ihnen nicht zu. Deswegen muss man lernen, mit ihnen zu reden. Aber ich habe auch gesehen, dass man auf die Auseinander-setzung mit den Rechten und Ultrarechten nicht präpariert ist.

Veranstaltungen wurden gestört, und was soll man denn sagen, wenn jemand bei einer Diskussion als Anführer der NPD auftritt und glaubt, ,,Der unbekannte Soldat'' sei von den Siegermächten, er meint wahrscheinlich die USA, bezahlt? Da hilft nur Aufklärung. Wir machen es uns zu leicht. Man kann die NPD verbieten, aber nicht ihre Anhänger. Die Gesellschaft muss sich dem Problem gründlicher und engagierter stellen, sonst schlägt das zurück.

SZ: Das bedeutet, die Vergangenheit wird Sie auch in Zukunft nicht loslassen. Sie erinnern weiterhin ans Erinnern?

Verhoeven: Das ist wohl so. Ich erfahre aber viel Ermutigung dafür, vor allem in meiner Familie.

SZ: Welche Rolle spielt Ihre Frau Senta Berger, mit der sie seit 40 Jahren verheiratet sind, für Ihr Lebenswerk?

Verhoeven: Sie ist meinen Weg mitgegangen und hat ganz früh erfahren, dass ich angegriffen werde - und wurde ja selbst bei ihren politischen Auftritten angegriffen. Sie hat eine ganz große Klarheit in Bezug auf politische Haltung. Ich verdanke ihr und der Auseinandersetzung mit ihr sehr viel.

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